Wie erreicht die Schweiz ihre Klimaziele? Lange war es still um das Thema. Auch jenseits der Grenze dominierte Corona über Monate hinweg alles. Wie in Deutschland war die Aufregung um freitägliche Klimastreiks oder blockierte Straßen vorbei. Die Pandemie scheint abzuklingen und der Klimaschutz kehrt zurück – in Deutschland und der Schweiz.
Deren Einwohner stimmten gerade gegen ein neues CO2-Gesetz. Der vom Parlament beschlossene Kompromiss sollte bis 2030 die Reduzierung des Treibhausgases auf 50 Prozent des Wertes von 1990 ermöglichen. Im Nein seiner Landsleute erkennt Nils Epprecht, Geschäftsleiter der Schweizerischen Energiestiftung, „durchaus Parallelen“ zur Debatte hierzulande.

Die privatfinanzierte Stiftung setzt sich für die Umstellung auf erneuerbare Energien ein und war für das neue CO2-Gesetz.
Höhere Benzinpreise und Flugticket-Abgabe als Auslöser für Ablehnung
Maßnahmen wie eine mögliche Erhöhung der Benzinpreise um maximal zwölf Rappen je Liter, eine Flugticket-Abgabe oder höhere Heizöl-Preise mobilisierten die Eidgenossen.
Die Gesetzesgegner machten mit Slogans wie „Autofahren nur noch für Reiche“ Stimmung. „Offensichtlich ist es nicht gelungen, aufzuzeigen, dass das Gros der Bevölkerung über die Rückverteilung gar profitiert“, sagt Epprecht.
Das spiegelt die Atmosphäre in Deutschland wider: Geht es um konkrete Maßnahmen im Alltag, etwa höhere Benzinpreise, ist es mit der Bereitschaft zum Klimaschutz weniger weit her als bei vage formulierten Zukunftszielen.
Wie würden die Deutschen über ein CO2-Gesetz abstimmen?
Einen wesentlichen Unterschied gibt es aber zwischen den Nachbarländern: In der Schweiz stimmen die Bürger direkt ab. „Sie ist einfach anders“, sagt Klaus Fuchsschwanz, dem seit mehr als 20 Jahren der Gemüseladen im Tägermoos nahe dem Grenzübergang von Kreuzlingen nach Konstanz gehört.

Er selbst klingt skeptisch, ob weitreichende Maßnahmen zur Eindämmung des CO2-Ausstoßes überhaupt notwendig sind. So kenne er Landwirte aus Nordkanada, die wenig dagegen haben, wenn es dort wärmer und das Klima weniger rau würde. Vor allem aber glaubt Klaus Fuchsschwanz, selbst Deutscher aber mit Schweizer Aufenthaltsberechtigung: „Gäbe es in Deutschland eine solche Abstimmung, dann wäre das Ergebnis wohl ähnlich.“
Der Schweizer Politik-Experte Michael Hermann teilt die Einschätzung des Gemüsehändlers. „Erfolgreiche Änderungen in der Klimapolitik funktionieren nicht über Basisdemokratie“, sagt er. Hermann analysiert seit Jahren die politische Stimmung im Land und ordnet diese ein. Für ihn lösten die Maßnahmen in der Bevölkerung ein Unbehagen aus: „Die möglichen Folgen werden persönlich negativ wahrgenommen, der Nutzen aber nur für eine große Allgemeinheit.“
Leidet der Ruf der Schweizer unter dem Nein zum Klima-Gesetz?
Zum Bedauern von Olivia Wagner aus Ermatingen, die gerade den Gemüseladen von Klaus Fuchsschwanz verlässt. „Irgendwo müssen wir doch anfangen“, sagt sie. Nach der knappen Mehrheit gegen das Gesetz sorgt sie sich überdies um den Ruf ihres Heimatlandes. „Es wird doch wieder heißen: ‚Die reichen Schweizer müssen unbedingt ihr eigenes Ding machen‘“, sagt Wagner.
Den Befürwortern des neuen CO2-Gesetzes wurde im Nachgang vorgeworfen, sie hätten nicht deutlich genug dafür geworben. Auch dass es für Mehrkosten fürs Autofahren oder Fliegen einen finanziellen Ausgleich geben soll, sei unklar gewesen. So blieb haften: Die Zeche für die Bekämpfung der Klimakrise werden Geringverdiener und sozial benachteiligte Menschen zeigen.
Warum stimmten viele junge Schweizer gegen ein neues Klimagesetz?
Ein Fehler in der Kampagne, sagt der Kreuzlinger Silvio Krumm.

Er engagiert sich für die Thurgauer Sektion von Klimastreik Schweiz, vergleichbar mit der Fridays-for-Future-Bewegung und sagt: „Die Sorgen, sein Leben einschränken zu lassen, haben sicher zur Ablehnung beigetragen.“ Überraschenderweise übrigens gerade unter den jungen Schweizerinnen und Schweizer. Laut Befragungen stimmte keine Altersgruppe deutlicher mit Nein als die 18- bis 34-Jährigen.
„Es kommt dazu, dass die Schweizer Klimabewegung intern uneins war und keine klare Linie verfolgte“, sagt Krumm. Tatsächlich lehnte ein großer Teil der Aktivisten den Kompromiss ab und stimmte daher mit Nein. Seinen Freunden von Fridays-for-Future Konstanz, mit denen seit einiger Zeit ein Austausch besteht, rät er daher zu Geschlossenheit und Kompromissbereitschaft.

Bundestagswahl statt Volksabstimmung als Richtungsentscheidung
Lena Gundelfinger von Fridays-for Future sieht dieses Problem auch auf die Diskussionen in Deutschland zukommen. „Es muss abgewogen werden zwischen dem, was gerade politisch realistisch ist und was dem Idealziel entspricht“, sagt die Konstanzer Aktivistin.
Die anstehende Bundestagswahl sieht sie als Fingerzeig für die Bereitschaft der Bürger, ob und wie weit der bisherige Lebensstandard fürs Klima aufgegeben wird. Der Unterschied zur Schweiz: Hier wird sich dies in Prozenten für Parteien und nicht für konkrete Gesetzesvorschläge niederschlagen.