Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg hat am Mittwoch in Singen zwei syrische Staatsangehörige festgenommen. Nach Angaben der Generalbundesanwaltschaft handelt es sich um Ibrahim Al I. (29) und Oasama A. (32). Gegen beide erließ der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs Haftbefehle wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, wegen Kriegsverbrechen gegen Personen und wegen Mordes. Ibrahim Al I. soll zur Tatzeit noch ein Heranwachsender gewesen sein.
Die Männer wurden an verschiedenen Adressen gefasst und am Donnerstag in Karlsruhe dem Ermittlungsrichter vorgeführt. Dieser eröffnete die Haftbefehle und ordnete Untersuchungshaft an. Weitere Fragen, etwa seit wann die Beschuldigten in Deutschland leben, ob sie bereits vorbestraft sind, beantwortete die Generalbundesanwaltschaft mit Hinweis auf laufende Ermittlungen nicht.
Vorwurf: Hinrichtung in Ostsyrien
Nach den Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft reicht die Geschichte zurück bis in den syrischen Bürgerkrieg. Als das Assad-Regime ab 2011 mit Gewalt gegen Demonstranten vorging, formierte sich die oppositionelle „Freie Syrische Armee“ (FSA). Ab 2012 weitete sich die Auseinandersetzung zu einem Bürgerkrieg aus. Während die FSA den Sturz von Präsident Baschar al-Assad anstrebte, verfolgte der „Islamische Staat“ (IS) das Ziel, ein Kalifat zu errichten – beide Gruppen gerieten dabei immer wieder auch untereinander in Gefechte.
Ibrahim Al I. und Oasama A. sollen sich im Frühjahr 2014 in der ostsyrischen Stadt Muhasan dem IS angeschlossen haben. Nach Übernahme der Stadt durch die Terrororganisation seien im Juni 2014 sechs Kämpfer der FSA festgenommen worden.
Die Gefangenen wurden laut Anklage zunächst in einem Haus des IS-Geheimdienstes festgehalten und dort vom IS zum Tode verurteilt. Am 19. Juni 2014 seien sie zu einem Hinrichtungsort gebracht und erschossen worden. Oasama A. soll selbst den Abzug gedrückt haben, Ibrahim Al. I. habe die Gefangenen bewacht.
Was hat das mit Singen zu tun?
Nach SÜDKURIER-Informationen soll es sich bei den beiden Festgenommenen um Mitglieder einer syrischen Großfamilie handeln, die in Singen seit Jahren im Fokus von Polizei und Justiz steht. Immer wieder kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und Anzeigen.
Am 14. Dezember 2020 griffen acht Männer der Familie am Friedrich-Ebert-Platz die Insassen eines VW-Busses an. Ein Opfer erlitt 13 Messerstiche und überlebte schwer verletzt. Das Landgericht Konstanz verurteilte im Oktober 2021 in einem Verfahren, das aus Platzgründen in Stuttgart-Stammheim geführt werden musste, sechs Angeklagte zu mehrjährigen Haftstrafen. Der nun verhaftete Ibrahim Al I. saß auch damals auf der Anklagebank.
Frühe Hinweise auf IS-Verbindung
Der Vorsitzende Richter sprach von einem „ausgesprochen brutalen Überfall“ und stellte klar, dass die Tat nicht nur die Familie, sondern auch andere Flüchtlinge in Verruf gebracht habe. Bereits in diesem Verfahren wurde erwähnt, dass gegen einen Angeklagten und ein weiteres Familienmitglied wegen Unterstützung beziehungsweise Mitgliedschaft des IS ermittelt werde.
Auch danach blieb die Familie im Stadtbild präsent. Am 29. März 2022 kam es vor dem Einkaufszentrum Cano zu einer Massenschlägerei und vielen Verletzten. Die Stadt Singen verhängte daraufhin gegen 27 Verdächtige Aufenthaltsverbote für die Innenstadt.
Oasama A. musste sich 2023 vor dem Amtsgericht Singen verantworten. Nach Überzeugung des Gerichts war er an einer Attacke im April 2020 beteiligt, bei der mehrere Täter einen Mann niederschlugen und ihm die Kleidung vom Leib rissen.
Wie groß ist die Dimension?
Wie viele IS-Anhänger in Baden-Württemberg leben, ist nicht genau bekannt. Nach Einschätzung des Landesamts für Verfassungsschutz bleibt islamistischer Extremismus eine ernsthafte Bedrohung. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht nennt für das Bundesland ein islamistisches Personenpotenzial von 4.020 Menschen. Der salafistischen Szene, zu der auch Terrororganisationen wie der sogenannte „Islamischen Staat“ zählen, werden 1.350 Anhänger zugerechnet.