Wieder ist es ein Zettel, geschrieben von einem Mädchen, den das Landgericht im Schwurgerichtssaal zeigt. Darauf steht: „Also mein Stiefvater hat mich zum S** gezwungen.“

Es ist das Dokument, der dieses Verfahren ins Rollen brachte und der dafür sorgte, dass ein 25-Jähriger und die Mutter des Mädchens seit Dezember 2023 in Untersuchungshaft sitzen. Zugestellt wurde der Zettel per Matheheft. Der Klassenlehrer einer Schule in Friedrichshafen alarmierte daraufhin die Behörden.

Am Freitag wurde der Prozess wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Mädchens am Landgericht Konstanz fortgesetzt: Der 36-jährigen Frau aus Friedrichshafen und dem 25 Jahre alten Busfahrer aus Hagnau drohen lange Haftstrafen, beide räumten am ersten Tag bereits weite Teile der Vorwürfe ein.

Dem Mann wird vorgeworfen, zwischen Juli 2021 und Mai 2023 ein damals acht- bis zehnjähriges Mädchen mehr als 100 Mal sexuell missbraucht zu haben. Die Mutter soll ihre Tochter dem Mann für diese Taten überlassen haben, ihr Kind und den Mann dazu gar unter Druck gesetzt haben soll.

Es habe ihr Spaß gemacht

Das Gericht hat viele Zeugen an diesem Tag geladen – unter anderem Familienmitglieder, Nachbarn, Lehrer, eine Pädagogin vom Landratsamt. Eine Kriminalbeamtin hatte am Freitag zuerst über die Vernehmung des Angeklagten ausgesagt, und wie sich der 25-Jährige selbst immer in die passende Rolle gebracht habe, um anderen die Schuld für sein Handeln zu geben.

Die Verwerflichkeit seiner Taten habe er nicht begriffen. Er sei zum Missbrauch gedrängt worden, die Mutter habe ihn gezwungen, bei ihnen zu übernachten. Das Mädchen habe seine Nähe gesucht, und es habe ihr Spaß gemacht.

In Nachrichten, die das Mädchen einer Freundin schrieb, hört sich das anders an: Da schreibt sie, sie sei vergewaltigt worden, es habe weh getan und sie sei immer wieder dazu gezwungen worden.

Ein erschreckendes „Okay“

Am Ende des Vormittags ist aber ein einfaches „Okay“, das viele Zuhörer am meisten verschreckt. Eine junge Frau spricht es aus, die als Zeugin vor Richter Joachim Dospil sitzt. Sie gibt an, mit dem Angeklagten noch immer eine Beziehung zu führen. Das „Okay“ ist ihre Reaktion darauf, dass ihr vermeintlicher Partner bereits ein Geständnis abgelegt hat.

Das hatte ihr Staatsanwalt Karol Thalheimer vorgehalten, als die Zeugin noch ausgesagt hatte, dass sie sich den Missbrauch nicht vorstellen könne. Außerdem sei sie von der Mitangeklagten immer wieder bedroht worden: Sie solle ja die Finger von dem Mann lassen, er gehöre ihr.

Das hielt die Frau, die selbst eine elfjährige Tochter hat, aber nicht davon ab, sich weiter mit dem Busfahrer einzulassen. Sie habe oft bei ihm übernachtet und mit ihm geschlafen. Alles sei ganz normal gewesen, bis der Mann im Dezember plötzlich inhaftiert wurde.

Der Sachverständige Roman Knorr, Psychiater und Psychotherapeut, sagt später über den Angeklagten: Eine Störung könne er dem 25-Jährigen nicht attestieren, auch deswegen nicht, weil dieser sich nicht auf ein Gespräch einlassen wollte. Der Angeklagte suche die Gründe für sein eigenes Verhalten bei anderen. Hinweise auf pädophile Neigungen könne Knorr erkennen.

Anzeige gegen Jugendamt

Auch eine Vertreterin des Jugendamts sollte eigentlich aussagen, das Gericht erreichte aber die Mitteilung eines Anwalts, dass die Frau zwischenzeitlich vom leiblichen Vater des Mädchens angezeigt worden sei.

Der Grund: Das Amt sei nicht rechtzeitig eingeschritten. Die Frau werde daher nicht aussagen. Schon am ersten Prozesstag war schnell klar, dass Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung schon lange vor Dezember 2023 vorlagen.

Eine Nachbarin beschreibt nicht nur, in welch vermüllten Zuständen die Familie gehaust habe, sondern auch, wie die Mutter ihre Töchter dazu zwang, dem jungen Mann Nachrichten zu schreiben, dass er bei ihnen vorbeikommen müsse.

Nach ihrer Aussage verlässt die Zeugin fluchtartig den Saal. Es wird zu viel. Vorher sagte sie noch: „Wenn ich sowas je mitgekriegt hätte, wäre ich die Erste, die bei der Polizei gewesen wäre.“

Mädchen geht es wohl besser

Der Klassenlehrer des Kindes, der den Fall im Dezember ins Rollen brachte, und ein weiterer Lehrer der Schule können dem Gericht später immerhin etwas Positives sagen: Den zwei Töchtern scheint es heute besser zu gehen und sie zusammen in einer Pflegefamilie untergebracht seien.

Der Prozess wird am 5. August fortgesetzt, an dem Tag sollen auch Staatsanwalt Thalheimer und die Verteidiger Björn Bilidt und Gerd Pokrop ihre Plädoyers halten.