Fein säuberlich gestapelt liegen die Drogenpäckchen auf dem Tisch der Konstanzer Ermittler – übereinander und nebeneinander, schwarze und braune. Massenweise Kokain und Cannabis, für das auf der Straße mindestens 50 Millionen Euro ausgegeben werden müsste. Selten zuvor haben Kriminalisten bei einer Razzia in Baden-Württemberg so viel Kokain sicherstellen können wie beim jüngsten Einsatz gegen mutmaßliche Drogenhändler in der Bodensee-Region. Insgesamt beschlagnahmten die Sicherheitsbehörden fast 300 Kilogramm Rauschmittel, darunter 233 Kilogramm Kokain, wie Polizei und Staatsanwaltschaft Konstanz mitteilten.
Mehrere Monate lang hatten die Kriminalpolizeidirektion Rottweil, Spezialeinheiten des Landeskriminalamts Baden-Württemberg, die Kantonspolizei Zürich und die Staatsanwaltschaft Konstanz ermittelt. Im Visier der Behörden: eine mutmaßliche Bande von mindestens neun Verdächtigen im Alter zwischen 31 und 56 Jahren. Sie sollen im großen Stil Kokain per Schiffscontainer aus Süd- und Mittelamerika nach Deutschland geschmuggelt haben, um es in Südbaden und in der angrenzenden Schweiz zu verkaufen.
„Das darf doch nicht wahr sein“
Dabei dürften die Dimensionen der mutmaßlich gehandelten Rauschgiftmengen noch weit größer sein als bisher bekannt, wie der Ravensburger Anwalt Süleyman Yildirim dem SÜDKURIER sagt. Er vertritt einen der neun Festgenommenen, einen türkischstämmigen Deutschen aus Pfullendorf, der die Vorwürfe zurückweist und um seine Reputation kämpfen möchte.
Am Dienstag gegen 11 Uhr habe die Polizei seinen Mandanten bei der zeitgleich koordinierten Großrazzia an mindestens sieben Orten, darunter Gottmadingen, Rielasingen, Immendingen und Zürich, in dessen Wohnung in der Pfullendorfer Innenstadt festgenommen. Als dieser den Konstanzer Haftbefehl Stunden später zu lesen bekam, soll er laut seinem Anwalt ziemlich baff gewesen sein. „Das ist organisierte Kriminalität. Er war schockiert und hat gesagt, ‚das darf doch nicht wahr sein‘. Das ist eine Dimension, die europaweit für Aufsehen sorgen würde und vielleicht für Kolumbien oder Mexiko Alltag ist. Aber für diese Region wäre das schon ziemlich außergewöhnlich“, sagt Yildirim.
Weiteres Verfahren gegen Pfullendorfer
Laut ihm sei bei der Razzia in Pfullendorf kein Rauschgift gefunden worden, was Ronny Stengel von der Staatsanwaltschaft Hechingen bestätigt. Diese führe derzeit aber gegen den Pfullendorfer Verdächtigen ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen mutmaßlichen Drogenhandels neben dem aktuellen Großverfahren der Konstanzer Staatsanwaltschaft. Die Hechinger Ankläger hätten in diesem Zusammenhang auch eine Festnahme im hessischen Gießen veranlasst, wie Staatsanwalt Stengel dem SÜDKURIER erklärte.
Noch am Donnerstag hat Strafverteidiger Yildirim mit seinem Mandanten, der in der Justizvollzugsanstalt Hechingen in Untersuchungshaft sitzt, lange telefoniert: „Er sagt, die riesigen Mengen gehören nicht zu ihm und dass er definitiv kein Dealer sei.“ Von den acht weiteren Festgenommenen, die wegen Verdunkelungsgefahr per Anordnung auf unterschiedliche Haftanstalten im ganzen Land verteilt wurden, kenne er nur einen vom Namen her. Dieser sei aber kein Freund oder Geschäftspartner von ihm und habe sich nach außen hin immer als „groß“ dargestellt. „Oh, dann hat er vielleicht wirklich nicht gelogen“, soll Yildirims Mandant gesagt haben. Der Pfullendorfer denkt, dass er vielleicht wegen des Kontakts zu seinem Bekannten in den Oberservationsbereich der Polizei gelangt sei. Diese soll auch den Innenraum der Fahrzeuge von einigen Festgenommenen abgehört haben.
Stützpunkt für Lauschangriff in Immendingen?
Laut SÜDKURIER-Recherchen hat die Kriminalpolizei schon vor etwa drei Monaten die Gemeinde Immendingen gebeten, ihr eine ehemalige Gewerbehalle zur Verfügung zu stellen, wie ein Vertreter der Gemeinde, der namentlich nicht genannt werden will, bestätigte. Die Gemeinde sei dem Wunsch der Kripo nachgekommen. Die Beamten hätten die Schlösser der Gewerbehalle ausgetauscht und von diesem Stützpunkt aus vermutlich Überwachungs- und Abhöraktionen gegen die internationale Drogenbande durchgeführt.
Tatsächlich sind den Ermittlern am Dienstag eine Reihe von Festnahmen in Immendingen geglückt, wie die Staatsanwaltschaft Konstanz bestätigte. Am selben Tag hat die Gemeinde den Schlüssel für das neue Schloss ihrer Gewerbehalle von der Kripo ausgehändigt bekommen. Ist Immendingen also ein Drogenhotspot? Nein, sagt der Gemeindevertreter. Der Grund sei lediglich die verkehrsgünstige Lage seiner Gemeinde zwischen Autobahn und Bundesstraße. „Dafür könne keiner was“, ist dieser überzeugt.
Erste Spur vor etwa sechs Monaten?
Ein Anwohner in dem Gebiet, der anonym bleiben will, hatte schon vor etwa einem halben Jahr verdächtige Beobachtungen gemacht und damals die Polizei informiert, wie er dem SÜDKURIER erzählt: „Man hat gemerkt, dass da was stattfindet.“ Immer wieder seien Unbekannte, darunter auch eine Frau, in dem Gewerbegebiet aus einer alten Karre mit Frankfurter Kennzeichen gestiegen und hätten etwas beim nahen Bach oder Stromhäuschen deponiert. Die Polizei sei dann auch mit Spürhunden gekommen, die zwar nichts gefunden, aber etwas erschnüffelt hätten, so der Immendinger. Eine offizielle Bestätigung zu diesen Details gibt es vorerst von den Behörden nicht.

Und wie geht es jetzt weiter in dem Fall? Der Ravensburger Verteidiger Süleyman Yildirim will über die Feiertage etliche 1000 Seiten an Ermittlungsakten aus Abhörprotokollen durcharbeiten und später vielleicht versuchen, mit den anderen Anwälten der acht Festgenommenen eine gemeinsame Verteidigungslinie aufzubauen. „Von irgendwoher muss der Stoff ja gekommen sein, und wenn jemand so eine riesige Menge kauft, dann muss er eine Sicherheit hinterlegt haben“, ist sich der Jurist sicher.
Sein Mandant wolle jedenfalls bald konkrete Angaben zu den Vorwürfen machen, damit er sich entlasten könne. „Ich musste erst seine Familie beruhigen, die auch völlig überrascht, schockiert und in Panik war, aber da muss sie jetzt durch. Wer die Nerven verliert, der verliert insgesamt“, sagt Yildirim.