Verlässt man den Mannheimer Hauptbahnhof und läuft zum Marktplatz, durchquert man eines der am besten überwachten Viertel in ganz Baden-Württemberg. Überwachungskameras verfolgen jeden Schritt, denn die Straßenzüge gelten als Brennpunkt für Kriminelle.
Auch Tübingen will seinen Busbahnhof überwachen lassen, um Graffitisprayer abzuschrecken oder schwere Straftaten zu verhindern - zum Ärger des obersten Datenschützers, der mit einer Klage droht. Denn die Kriminalitätsbelastung am Busbahnhof hebt sich nicht deutlich vom restlichen Stadtgebiet ab - und das sei auch später nicht zu erwarten, betont der Landesbeauftragte für den Datenschutz, Tobias Keber.
CDU will Polizeigesetz ändern
Für die CDU kann das kein Kriterium mehr sein. Sie will, dass nicht die Statistik entscheidet, ob ein Ort überwacht wird, sondern das Rathaus. «Wir wollen das Polizeigesetz so ändern, dass unsere Kommunen überall dort, wo sie es für notwendig halten, KI-gestützte Videoüberwachung einsetzen können», sagt CDU-Landes- und Fraktionschef Manuel Hagel der Deutschen Presse-Agentur. «Wir wollen wegkommen davon, dass Videos nur an Kriminalitätsschwerpunkten aufgezeichnet werden.»
Hagel wirbt vor allem für die Vorzüge der KI bei der Videoüberwachung. «Eine substanzielle Verbesserung der Sicherheit durch Kameras ist verfassungsrechtlich nur möglich mit dem Einsatz der künstlichen Intelligenz», sagte er. «Sie schützt die Grundrechte, weil nicht alles pauschal aufgezeichnet wird.»
Die Technik sei rund um die Uhr im Einsatz, sie schlägt aber laut Hagel nur dann an, wenn Muster erkannt werden. Dazu zählten verdächtige Bewegungen sowie das Detektieren von Waffen, Messern und anderen gefährlichen Gegenständen.
Hagel: «Nicht alles filmen, aber das Richtige»
So soll die Kamera etwa Alarm auslösen, wenn Absperrungen überwunden werden. In einer Menschenmenge soll sie erkennen können, ob sich Personen unnormal verhalten oder ob es zu einer Schlägerei kommt. «Mit KI wird nicht alles gefilmt, aber es wird das Richtige erkannt», erklärt Hagel. Schlägt das Kamerasystem Alarm, wird ein Polizeibeamter eingeschaltet, der die Situation bewertet.
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer argumentiert beim Busbahnhof in seiner Stadt mit Vandalismus und häufigen Situationen, «die von einem Teil der Menschen, die dort als ÖPNV-Nutzende passieren müssen, als bedrohlich wahrgenommen werden und das subjektive Sicherheitsgefühl einschränken», wie es in der Beschlussvorlage für den Gemeinderat heißt.
Mehr als jeder Zweite fühlt sich sicherer
Eine Umfrage aus Mannheim, die das Innenministerium in Auftrag gegeben hat, stützt das: Demnach wird der Schutz durch die insgesamt 70 Kameras in der Quadratestadt von über 80 Prozent der Befragten befürwortet. Laut Ministerium haben 58 Prozent zudem angegeben, sie fühlten sich mit den Kameras subjektiv sicherer als ohne.
Das ist auch Hagels Linie: «Viele Menschen haben Angst, wenn sie an öffentlichen Orten sind», sagt er. «Wir wollen aber, dass lebendige Orte sichere Orte sind.» Moderne Technik dürfe in der Debatte nicht ausgeschlossen werden: «Wenn wir jede technische Möglichkeit wegen Sorgen und Bedenken von vornherein beiseiteschieben, bringen wir die innere Sicherheit nicht voran.»
Zustimmung kommt aus den Reihen der Polizei: KI-gestützte Überwachung schaffe nicht nur Sicherheit. Sie könne auch in größerem Umfang als bisher eingesetzt werden, weil sie nicht in die Grundrechte eingreife, sagte der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer. Für die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte deren Landeschef Gundram Lottmann, bei einem Einsatz von KI auch die digitale Kompetenz der Polizisten zu unterstützen und in digitale Ausstattung und Weiterbildung zu investieren.
Expertin: Kameras kein Allheilmittel
Videokameras sind aber kein Allheilmittel gegen die Angst im Bahnhofviertel oder in der Fußgängerunterführung, betont Rita Haverkamp von der Universität Tübingen. «Sie sind vielmehr oft eine Beruhigungspille, die nicht unbedingt wirkt», sagt die Professorin für Kriminalprävention und Risikomanagement. Menschen könnten sich beim Anblick von Kameras sicherer fühlen. Andere hingegen könnten noch mehr fürchten, in Gefahr zu sein, weil sie erst durch die Schilder und Kameras auf das Risiko an diesem Ort hingewiesen würden.
Es gebe zudem einen Gewöhnungseffekt, auf den auch Studien aus Großbritannien hinwiesen, sagt Haverkamp. Dort gibt es bereits etliche Überwachungskameras. So viele, dass der Einfluss auf das Sicherheitsempfinden nachlasse und eine bessere Videoüberwachung gefordert werde.
Beleuchtung als wichtiger Baustein
Videoüberwachung könne daher nur ein Baustein sein in einem ganzen Paket von Maßnahmen, sagt die Professorin. Sehr effektiv sei etwa auch eine gute Beleuchtung.