20 Stunden dauerte die Fahrt mit dem Bus von Herat nach Kabul, mit der Khodadad Ataiy und seine Familie ihr Leben aufs Spiel setzten. Doch der afghanische Soldat, der seine Ausbildung zum Oberleutnant unter anderem in Donaueschingen bei der Bundeswehr absolvierte und dort auch Deutsch lernte, wusste sich nicht mehr anders zu helfen.

Er gehört der Minderheit Hazara an, weil er Kontakt zur Bundeswehr hatte, aber nie für sie vor Ort gearbeitet hat, kam er ursprünglich nicht für das Schutzprogramm des Bundes in Frage. Frühere Gesuche wurden abgelehnt. Der SÜDKURIER berichtete.

Khodadad Ataiy 2015 mit Kameraden in Donaueschingen bei einer Übung zu seiner Ausbildung als Oberleutnant.
Khodadad Ataiy 2015 mit Kameraden in Donaueschingen bei einer Übung zu seiner Ausbildung als Oberleutnant. | Bild: Khodadad Ataiy

Inzwischen liegt sein Fall erneut beim Auswärtigen Amt. Die Nummer des Krisenreaktionszentrums ist permanent besetzt. Nach Angaben des Bundestagsabgeordneten Thorsten Frei sind 200 Mitarbeiter im Krisenstab mit der Evakuierungsmission betraut.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis hat den Fall auf Bitten des SÜDKURIER weitergegeben. Am 25. August schreibt sein Mitarbeiter Christian Friedrich: „Unsererseits haben wir die Information, dass Herr Ataiy heute auf eigene Faust von Herat nach Kabul verlegt, an den Krisenstab im Auswärtigen Amt weitergeleitet. Wir hoffen, dass dies entsprechend Berücksichtigung findet.“

Inzwischen hat sich auch das Patenschaftsnetzwerk eingeschaltet. Lucas Wehner ist Regionalbeauftragter im Schwarzwald und gibt den Fall seinerseits weiter. Er nimmt Kontakt mit Ataiy auf, der vor seiner Abreise vorwarnte, dass er voraussichtlich 24 Stunden nicht schreiben könne. „Er meldete mir auch schon 24 Stunden Funkstille. Hoffen und beten wir, dass er nun sicher durchkommen wird“, schreibt uns Wehner.

Flucht nach Kabul

Am 25. August meldet sich Ataiy überraschend am späten Abend: „Ich bin gerade im Flughafen, wo die Leute evakuieren können. Leider die Situation ist hier schrecklich“, schreibt er, begleitet von drei weinenden Emoticons. Mit dem Bus und schließlich mit einem Taxi schaffte er es bis dorthin.

Unterwegs seien sie unzählige Male von den Taliban kontrolliert worden, schreibt er uns. Sie hätten den Bus angehalten, nach Soldaten gefragt. Ataiy hatte die Dokumente, die belegen, dass er Soldat ist und bei der Bundeswehr eine Ausbildung gemacht hat, sicherheitshalber bei seiner Frau versteckt. „Sie durchsuchen nicht normalerweise die Frauen“, erklärt er.

Bild 2: Oberleutnant Khodadad Ataiy in Kabul hofft auf die letzten Evakuierungsflüge: Gelingt ihm noch die Flucht aus Afghanistan?
Bild: Khodadad Ataiy

Am nächsten Tag schickt er Bilder vom Flughafen. Menschen drängen sich hinter einem hohen Zaun, dahinter liegt ein Wasserkanal, den die Menschen durchwaten, um auf die andere Seite zu gelangen, wo eine weitere Mauer auf sie wartet. „Hier kommen Soldaten und kontrollieren Dokumente“, schreibt er. „Aber keine Deutsche kommt hier.“ Was er meint, ist, dass er keine Bundeswehrsoldaten sehen kann.

Menschen drängen sich vor dem Flughafen in Kabul, in der Hoffnung, das Land verlassen zu können – unter ihnen auch der afghanische ...
Menschen drängen sich vor dem Flughafen in Kabul, in der Hoffnung, das Land verlassen zu können – unter ihnen auch der afghanische Soldat Khodadad Ataiy mit seiner Familie. | Bild: Khodadad Ataiy

Einen Tag lang habe er nichts zu essen gehabt, „nur ein paar Kekse“. Aber das ist gerade nicht seine größte Sorge. Er schickt ein Video vom Flughafen, von dem Gedränge dort. Menschen schreien.

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So ist die Lage am Flughafen in Kabul Video: Khodadad Ataiy

„Allein letzte Nacht waren die Kinder tot getrampelt und viele waren vermisst“, schreibt er uns. Geschlafen hat die Familie in der Nacht offenbar kaum. „Wir sind alle okay, aber todmüde“, schreibt er.

Wir schicken ihm Nummern von der Botschaft, doch er kommt nicht durch. Auch beim Krisenreaktionszentrum ist von hier aus kein Durchkommen. Niemand weiß, ob Ataiy inzwischen auf der Liste jener ist, die noch außer Landes gebracht werden sollen.

Ataiys letzte Hoffnung war ein deutscher Soldat in Kabul. Doch der wolle nicht helfen, schreibt er. Überprüfen kann der SÜDKURIER das nicht. Doch Ataiy klingt verzweifelt.

Khodadad Ataiy bittet um Rat, was er tun soll. „Ich warte noch zwei oder drei Tage hier“, schreibt er. Wenn er nicht rauskommt, wird er zurückkehren nach Herat. Sein Schicksal scheint dann besiegelt.

Doch auch am Flughafen wird es immer bedrohlicher. Am Nachmittag geht eine Bombe hoch – Ataiy reagiert gleich: Er sei „in Sicherheit“. Noch.