Der Appell ist eindringlich: „Die Coronalage im Kreis Tuttlingen ist dramatischer, als wir uns das bislang vorstellen konnten“, schreiben unter anderem Landrat Stefan Bär und Tuttlingens Oberbürgermeister Michael Beck sowie Klinik-Geschäftsführer Sebastian Freytag in einem offenen Brief an die Bevölkerung. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis unsere Kliniken Patienten abweisen müssen“, heißt es darin weiter.

Der Tuttlinger Landrat Stefan Bär.
Der Tuttlinger Landrat Stefan Bär. | Bild: Jutta Freudig

Landrat Stefan Bär sagt dem SÜDKURIER, er habe sich zu dem Schritt entschlossen, weil „wir den Eindruck hatten, dass vielen gar nicht mehr klar ist, wie ernst die Lage ist.“ Der sorglose Sommer habe auch bei Geimpften das Gefühl ausgelöst, es sei doch „alles gut“, Ungeimpfte sahen keine Notwendigkeit, sich impfen zu lassen. Beides hält er nicht mehr für vertretbar und hofft, dass sich möglichst viele im Landkreis doch noch impfen lassen.

Niedrige Quote trotz Impfaktionen

Dabei habe der Kreis schon im Sommer viele zusätzliche Impfaktionen gestartet, betont Bär. Nun sind die Impfzentren dicht. Die mobilen Impfteams muss sich Tuttlingen mit Konstanz teilen. Zwei Teams sollen künftig an festen Tagen und Orten im Landkreis unterwegs sein. Zusätzlich soll ein fester Impfstützpunkt, voraussichtlich in Tuttlingen selbst, eingerichtet werden. Bär geht davon aus, dass die Impfaktionen bis ins Frühjahr andauern werden, um auch die Auffrischungsimpfungen bewältigen zu können.

Mitarbeiterinnen des Kreisklinikums Tuttlingen laufen durch einen Flur.  Derzeit müssen hier 20 Covid-Patienten stationär behandelt ...
Mitarbeiterinnen des Kreisklinikums Tuttlingen laufen durch einen Flur. Derzeit müssen hier 20 Covid-Patienten stationär behandelt werden, fünf liegen auf der Intensivstation. | Bild: Mailin Mueller/Klinikum Landkreis Tuttlingen

Tatsächlich gehört Tuttlingen mit einer Inzidenz von 552,6 (Stand 18. November) zu den Kreisen mit der höchsten Inzidenz in Baden-Württemberg (Landesschnitt 414). Gleichzeitig liegt die Impfquote mit 58,5 Prozent (Stand 14. November) deutlich unter dem Landesdurchschnitt von damals 63,2, mit dem Baden-Württemberg auch im Bundesvergleich nur im Mittelfeld liegt. Auch die Autoren schreiben: „Leider erkennt man auch bei uns, dass es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Impfquote und der Auslastung unseres Klinikums gibt.“

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Viele Ungeimpfte im Krankenhaus

Die Patienten mit Covid, die in der Klinik behandelt werden müssen, sind demnach vornehmlich ungeimpft. Geschäftsführer Sebastian Freytag bestätigt das: Derzeit müssen 20 Patienten auf der Isolierstation mit Covid behandelt werden, fünf liegen auf der Intensivstation. 40 Prozent der Betten sollen maximal mit Covid-Patienten belegt sein, damit noch genügend Betten für Notfälle und Operationen frei sind. „Jetzt sind wir bei 50 Prozent“, so Freytag.

Sebastian Freytag, Geschäftsführer des Klinikums Landkreis Tuttlingen.
Sebastian Freytag, Geschäftsführer des Klinikums Landkreis Tuttlingen. | Bild: Landratsamt Tuttlingen

Zwei Drittel der Patienten auf der Intensivstation seien ungeimpft, vornehmlich Senioren über 75 Jahre, aber auch ein 42-Jähriger. Ältere Menschen, die trotz Impfung von einem schweren Verlauf betroffen seien, hätten dagegen meist Vorerkrankungen und seien zudem schon früh geimpft worden. „Wir wissen ja mittlerweile, dass der Impfschutz gerade bei älteren Menschen schneller nachlässt.“

Freytag betont aber: Patienten unter 60 Jahren, die geimpft seien und stationär aufgenommen werden, müssten dagegen meist nur mit zusätzlichem Sauerstoff versorgt werden, könnten aber nach wenigen Tagen wieder nach Hause.

Klinik rechnet mit massivem Anstieg

Noch sei das machbar, aber die Patienten, die jetzt in der Klinik liegen, seien Infizierte von vor zehn bis 14 Tagen. Damals lagen die Infektionszahlen aber deutlich niedriger.

Freytag rechnet deshalb mit einem massiven Anstieg der Patienten. Dann müssen Operationen verschoben werden: „Das wird dann erst im Februar wieder möglich sein, da dürfen wir uns nichts vormachen“, sagt Freytag. Das könne für manchen Patienten zu spät sein. „Diese Toten tauchen aber in keiner Covid-Statistik auf“, moniert er.

Das alles wäre vermeidbar gewesen, glaubt Freytag: „Wir rutschen jetzt in diese Situation, weil es zu viele Menschen gibt, die sich nicht impfen lassen wollen. Das ist schon bitter.“