Vor 17 Jahren fing es an, und es hat noch lange kein Ende. Vor 17 Jahren siedelte die Schwester von Michael Böhm in den Norden Deutschlands um und bezog dort ein altes Haus. Eines Tages hörten ihre Kinder merkwürdige Geräusche im Geschoss über den Wohnräumen.
Dieses Geschoss war nicht bewohnt, und doch vernahmen die Kinder Schritte. „In der oberen Etage läuft doch jemand“, stellten sie fest. Sie alarmierte ihren Bruder Michael, der aus dem fernen Singen am Hohentwiel anreiste und das Dachgeschoss untersuchte. Er stellte es buchstäblich auf den Kopf.
Er sieht sich als Empiriker
Der Geist, von dem die Kinder sprachen und mutmaßten, geht inzwischen nicht mehr um. Er ist, wie Michael Böhm im Gespräch sagt, zur Ruhe gekommen. Wobei er nicht von einem Geist spricht. Dieses Gruselwort vermeidet er; es klinge nicht nur unwissenschaftlich, sondern es verneble den klaren Blick auf die Tatsachen. Böhm sieht sich als Empiriker, als jemand, der ungewöhnlichen Phänomen mit unbestechlicher Technik auf die Spur kommen will.
Er will ernst genommen werden in seiner Arbeit, die er mit seinem Team (Ex-Frau Petra und seine Tochter) verrichtet. Das Klopfen des Geistes, Stimmen, Schritte, sind für ihn „paranormale Erfahrungen“. Also nichts, was ihn und sein kleines Team schrecken würde.

Was damals im Haus der Schwester mit einer privaten Untersuchung begann, hat seither eine beachtliche und zeitraubende Dimension angenommen. Böhm hat sich inzwischen mit umfangreicher Technik eingedeckt.
Er benutzt eine Reihe von Kameras. Eine ist mit Infrarot ausgerüstet und kann eine nächtliche Szenerie mit Kontrasten versehen. Dunkles ins Helle ziehen. Dazu kommen Mikrofone, die den akustischen Schatten eines Geistes markieren sollen. Und eine Reihe von Rechnern, die miteinander verknüpft werden und die Aufnahmen aufzeichnen.
Eine romantisch-gruselige Begegnung mit dem Unbekannten stellt man sich eigentlich nicht so nüchtern vor. Der 52-jährige Forscher geht es anders an. Möglichst unvoreingenommen will er sein, offen, registrierend. „Ich schließe nichts aus“, sagt Böhm, und: „Ich spreche nicht von Geistern, sondern von Energien.“ Damit nimmt er dem Phänomen den Anschein eines Horrorfilms.
Treffen im Friedinger Schlössle
Wir treffen uns im Friedinger Schlössle, das zur Stadt Singen gehört. Das alte Gemäuer mit dem breiten Innenhof ist so etwas wie das heimliche Hauptquartier des Ghosthunter-Explorer-Teams (so nennt es sich selbst). Es ist spät am Abend. Im Innenhof wärmt sich eine Abendgesellschaft an bauchigen Feuerschalen, einige mühen sich mit Pfeil und Bogen ab. Eine Weihnachtsfeier, launig und lärmig.
Michael Böhm hat in einer Stube im Pfortenhaus bereits seine Gerätschaften aufgebaut. In einer hölzernen Stube sind Kameras, Kabel und Laptop deponiert. Das Friedinger Schlössle haben die Geisterjäger untersucht und belauscht wie kein zweites Bauwerk.
2015 veranstaltete das kleine Team um Böhm hier ein deutschlandweites Treffen der Geisterjäger. Immer an Pfingsten, dem Fest des Heiligen Geistes, treffen sich Böhm und seine Kolleginnen. Dass die Wahl irgendwann auf Friedingen im Hegau fallen würde, war nur eine Frage der Zeit.
In Irland ist Spuk normal
Manche sehen ihn schräg von seitlich an, wenn er von seiner nächtlichen Jagd berichtet. „In Deutschland ist das Thema noch nicht angekommen“, bedauert er. „Hier sagt niemand, dass es in einem Haus spukt.“ In Irland oder Großbritannien dagegen sei das ein ganz normaler Befund: In einem alten Haus geht ein Geist um; es geschehen Dinge, die eigentlich nicht passieren dürften – das gehört dort zum Alltag, hat Böhm dort erfreut erfahren.
So verwundert es nicht, dass die Ghosthunter aus Singen auch schon nach Irland geflogen sind und dort ihre Techno-Geräte auspackten. In einem alten Theater schlugen die Apparaturen an. Sie erfassten den Schatten eines Jungen, der durchs Bild geistert.
Für die Hobbyforscher war klar, dass es sich nur um einen Geist handeln kann. Kein Lebender außer ihnen selbst hielt sich nachts an diesem Platz auf. Böhm reagierte auf den Schatten auf ungewöhnliche Weise: Er schickte ihn freundlich weg. Der Schatten tauchte nicht wieder auf.
Weg vom Image des Abergläubischen
Warum immer nachts? Wenn man die Existenz von Geistern akzeptiert, können diese genauso tags aktiv sein. Doch nachts ist es viel ruhiger, sagt Böhm. „Da haben wir kaum Geräusche.“ So kann sich das Explorerteam ganz auf die Schattenmenschen konzentrieren. „Damit vermeiden wir auch Fehlinterpretationen“, sagt der Singener.
Die Nacht schärfe die Sinne, es gebe kaum Ablenkungen. „Dann schlagen wir uns die Nacht um die Ohren.“ Währenddessen laufen acht Kameras je sechs Stunden lang. Jedes Bild wird aufgezeichnet und später analysiert unter der Fragestellung: Befindet sich etwas auf dem Bild, das nicht dazugehört?
Die mühsame Arbeit verrichtet das Team ohne Spektakel. Es geht um Aufklärung. Was er vermeiden will: Sensationsjagd und das Dämonisieren der ruhelosen Energien, wie er es nennt. Er möchte weg vom Image des Abergläubischen, das der Jagd nach dem Unsichtbaren noch immer anhängt.

Je älter, desto besser. Übersinnliche Signale verbergen sich vor allem in alten Gebäuden, berichtet der Erkunder. Verlassene Räume, Lost Places, aufgegebene Hotels – das sind die Schauplätze, zu dem der Mann aus dem Hegau aufbricht. Er berichtet vom riesigen Hotel „Waldlust“ in Freudenstadt, das längst geschlossen hat und nun als prächtiger Schauplatz mit Zimmern im Stil der 70er Jahre dasteht.
Er hat sich dort für eine Nacht einschließen lassen, alleine im dritten Stockwerk. Furcht kennt er nicht, und es sei auch nichts passiert in dem grusligen Kasten. Vermutlich spielt dort die Fantasie mehr Streiche als die Geister. Vielleicht denkt der Außenstehende an das verlassene Resort in dem Horrorfilm „Shining“, in dem nachts die Geister der Toten mit blutigen Händen durch die Gänge ziehen.
„In Mauern speichert sich Geschichte“
Böhm ist überzeugt: „In Mauern speichert sich Geschichte.“ Je älter ein Bauwerk, desto mehr Menschen haben dort wohl gelebt. Und desto mehr Spuren von Schicksal und Verlust kleben unsichtbar an den Wänden. Deshalb bevorzugt er Burgen und alte Hotels. Generationen von Menschen sind dort durchgewandert. Nicht alle haben gute Stunden dort verlebt, und sie sind es, die einen Schatten zurücklassen.
Dass er mit dem Unerklärlichen möglichst rational umgeht, hat auch mit seinem Beruf zu tun: Wenn er nicht gerade merkwürdigen Geräuschen oder Bildern nachsteigt, arbeitet der 52-Jährige als Industriemechaniker bei einer Reichenauer Firma. Was er nachts auf Dachböden erlebt, nennt er paranormale Erfahrungen. Das Wort Spuk wird man von ihm nicht hören.
Abfuhr für den Hohentwiel
Doch nicht jedes ehrwürdige Monument ist erinnerungsaktiv. Die Ruine Alt-Bodman beispielsweise hat das Team auch schon erkundet. Aber dort regte sich nichts. „Es war ruhig“, erinnert sich Böhm mit einem leisen Anflug von Enttäuschung. Eine Abfuhr erhielt er für den Hohentwiel, dem geschichtsträchtigsten der Hegauberge.
Die Geisterjäger erhielten keine Genehmigung, um sich nachts auf dem Burggelände aufzuhalten. Und geradezu friedlich verliefen die Aufzeichnungen im Stammschloss des Grafen Dracul (Drakula) im heutigen Rumänien: „An anderen Orten haben wir mehr erlebt“, erinnert sich Böhm mit einem Schmunzeln.
Nach Veröffentlichung dieses Beitrags erreichte uns die Nachricht, dass Michael Böhm zwischenzeitlich verstorben ist. Unsere Reportage ist so unerwartet zu einem Andenken an ihn und sein Schaffen geworden.