Mit einer großen Überraschung begann der dritte Verhandlungstag im Prozess um Zwangsprostitution und Menschenhandel in Aach, Singen und Stockach: Achim Ziegler, Verteidiger des Hauptangeklagten Eugen B., verlas im Landgericht Konstanz einen persönlichen Brief auf rotem Papier, den die Mitangeklagte Lorena J. wenige Wochen vor Prozessbeginn aus dem Gefängnis an seinen Mandanten geschickt haben soll.

Darin drückt sie nach fast sechs Monaten Untersuchungshaft ihre uneingeschränkte Liebe und Sehnsucht nach ihrem Lebenspartner und Zuhälter aus. „Du bist mein König und mein perfekter Mann, der erste, der mein Herz geklaut hat – ich will mein ganzes Leben mit dir verbringen“, soll die 21-Jährige Mitte Januar in der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Gmünd geschrieben haben.

„Ausbeuterische Zuhälterei“

Eugen B. und das gemeinsame Kind würden ihr sehr fehlen. Sie befürchtet, dass ihr dreijähriger Sohn sie gar nicht mehr wiedererkenne. „Ihr zwei seid alles für mich. Ich warte auf den Tag, an dem wir wieder zusammen kommen wie eine glückliche Familie. (…) Wenn wir draußen aus dem Knast sind, will ich keine Sekunde ohne dich sein. (…) Ich liebe dich bis Gott und zurück“, so Lorena J. an den 30-Jährigen.

Er soll der mutmaßliche Bandenchef und für Zwangsprostitution und Menschenhandel in Aach, Singen und Stockach verantwortlich sein: Eugen B.
Er soll der mutmaßliche Bandenchef und für Zwangsprostitution und Menschenhandel in Aach, Singen und Stockach verantwortlich sein: Eugen B. | Bild: SK/Privat

Dieser leidenschaftliche Liebesbrief überrascht insofern, da sich die Beschuldigte bisher stets damit verteidigte, nur ein weiteres Opfer ihres Zuhälters Eugen B. zu sein. Außerdem hatte sie ihm die alleinige Schuld für die vorgeworfenen Taten zugeschanzt – darunter ausbeuterische Zuhälterei und bandenmäßiger Menschenhandel in zwei Fällen sowie Betrug um rund 10.000 Euro.

Strafen für Zeugen

Bereits am ersten Prozesstag hatte Lorena J. eine Erklärung verlesen lassen, wonach ihr erst durch die räumliche Trennung von ihrem „Peiniger“ bewusst geworden sei, was er ihr alles angetan habe. Im Gefängnis habe Lorena J. ihre Menschenwürde wiedererlangt. Allein durch seinen Anblick fühle sie sich in Panik versetzt, weshalb sie nicht im selben Gerichtssaal wie er sitzen wolle, was die Vorsitzende Richterin Friederike Güttich jedoch abgelehnt hatte.

Die Vorsitzende Richterin Friederike Güttich (Mitte), links und rechts von ihr die beiden Schöffen und am rechten Bildrand Staatsanwalt ...
Die Vorsitzende Richterin Friederike Güttich (Mitte), links und rechts von ihr die beiden Schöffen und am rechten Bildrand Staatsanwalt Kulikow. | Bild: Hanser, Oliver

Nachdem trotz zahlreicher Ladungen bisher noch kein einziger Zeuge erschien, mieden auch am dritten Verhandlungstag mehrere Auskunftspersonen den Schwurgerichtssaal des Konstanzer Landgerichts. Zwei ferngebliebene Zeugen erhielten deshalb eine Ordnungsstrafe von jeweils 150 Euro oder ersatzweise drei Tage Ordnungshaft aufgebrummt, weitere Zeugen könnten zwangsweise vorgeführt werden.

Kuriose Zeugenaussagen

Immerhin zwei Freier der angeklagten Lorena J. erschienen jedoch vor Gericht. So erzählte der verheiratete Martin P. (Name von der Redaktion geändert) etwas zögerlich, wie er auf einer einschlägigen Webseite, die Frauen für sexuelle Dienstleistungen anbietet, auf das Profil der 21-Jährigen stieß und sie anschrieb. Ein Treffen in Stockach folgte, dabei habe sie ihren Preis genannt: „150 Euro egal wie lange und für was“, so der Mann aus der Bodenseeregion.

Lorena J. muss sich vor dem Konstanzer Gericht verantworten.
Lorena J. muss sich vor dem Konstanzer Gericht verantworten. | Bild: Oliver Hanser

Erst beim zweiten Treffen sei es dann einmalig zum Sex gekommen, für den er die genannte Summe im Voraus zahlen habe müssen. Nach der Prostitution soll Lorena J. ihn gebeten haben, ihr 500 Euro zu leihen, weil das 3000 Euro teure Steuergerät ihres Wagens kaputt gegangen sei und ihr genau dieser Betrag noch fehle. In einer Woche würde er 600 Euro zurückerhalten – wozu es niemals kam.

„Ist das dein Lover oder Zuhälter?“

Drei weitere Male soll die 21-Jährige den fast drei mal so alten „Kunden“ um Geld ersucht haben und dabei jeweils einen glaubwürdigen Vorwand erfunden haben. Einmal war es die Kaution für eine neue Wohnung, in der sie als Prostituierte arbeiten wollte – ein anderes Mal die Kosten für die Blinddarm-OP ihrer unversicherten Schwester.

„Das war so ausgefuchst und glaubwürdig, ich hatte keine großen Zweifel, dass das nicht stimmen könnte“, sagte Martin P. vor Gericht. Einmal soll sie auch gedroht haben, „alles“ seiner Ehefrau zu erzählen, wenn er ihr kein Geld gebe.

Eugen B. soll als mutmaßlicher Chef der Zuhälterbande die Fäden gezogen und die durch Zwangsprostitution verdienten Gelder an sich ...
Eugen B. soll als mutmaßlicher Chef der Zuhälterbande die Fäden gezogen und die durch Zwangsprostitution verdienten Gelder an sich genommen haben. | Bild: Hanser, Oliver

Als Martin P. jedoch eines Tages den schwarzen BMW Coupe sah, mit dem Lorena J. abgeholt wurde, stellte er sie zur Rede: „Ist das dein Lover oder Zuhälter?“, fragte er damals laut eigenen Angaben. Lorena J. soll geantwortet haben, dass der junge Mann, vermutlich der 30-jährige Eugen B., ihr Vater sei und der BMW nur geliehen.

Da schöpfte Martin P. Verdacht: „Ich habe nicht verstanden, warum ich für das Luxusleben von anderen zahlen soll“, sagte der um insgesamt 7400 Euro Betrogene.

Zeuge gerät in Erklärungsnot

Daraufhin ging er zur Polizei, die ihn warnte, dass alles nur gelogen sei. Doch selbst nach den Anzeigen wegen Betrugs gab er der 21-Jährigen noch weitere 500 Euro, wie sich im Gerichtssaal zur Überraschung aller Beteiligten und Beobachter herausstellte. „Ich habe mir gedacht, wenn ich ihr nicht helfe, dann kann sie nicht weiterarbeiten und dann sehe ich mein Geld nie wieder.“ Zumindest mit letzterer Einschätzung sollte er richtig liegen.

Lorena J. wird in Fußfesseln in den Konstanzer Gerichtssaal geführt. Sie muss sich unter anderem wegen Beihilfe zur Zwangsprostitution, ...
Lorena J. wird in Fußfesseln in den Konstanzer Gerichtssaal geführt. Sie muss sich unter anderem wegen Beihilfe zur Zwangsprostitution, Betrug in sieben Fällen und Drogenmissbrauch verantworten. | Bild: Hanser, Oliver

Kurios entwickelte sich auch die nächste Zeugenaussage des zweiten „Kunden“ Franz C. (Name geändert) Er kannte die Angeklagte Lorena J. nur unter dem Namen „Bianca“ – und zwar von der selben einschlägigen Webseite wie Martin P.

Dennoch verneinte der ebenfalls verheiratete Franz C. lange vehement, gewusst zu haben, ob und welcher Arbeit die 21-Jährige nachging. Als die Vorsitzende Richterin Chatprotokolle von dessen Handy vorlas, das er dem Gericht unmittelbar zuvor freiwillig zur Verfügung gestellt hatte, geriet er in Erklärungsnot. Denn darin war mehrfach von Lorena J.s „Kunden“ und ihrer „Arbeit“ die Rede.

„Taktik wie bei Schneeballsystemen“

Verteidiger Achim Ziegler erinnerte Franz C. daran, dass er sich strafbar mache, wenn er vor Gericht eine unwahre Zeugenaussage treffe. Schließlich räumte dieser ein, geahnt zu haben, dass Lorena J. eine Prostituierte sei, aber nachgefragt oder gewusst habe er das nie. Und zu Sex sei es nie gekommen, er habe lediglich für ein halbstündiges Treffen einmal 80 Euro bezahlt.

Lorena J. habe ihn gebeten, ihr mit 500 Euro zu helfen, weil ihr unversicherter Vater im Klinikum Albstadt nur dann eine Herz-OP bekomme, wenn sie zahlen würde. Ihre Forderung unterstrich sie mit Fotos aus dem Spital, das Franz C. wiedererkannte, weil dort sein Vater verstorben sei.

Nach einigen Tagen erhielt er die 500 Euro zurück, allerdings nur, um ihm daraufhin mit drei weiteren glaubwürdigen Vorwänden insgesamt 3000 Euro herauszulocken. „Das ist eine Taktik mit dem Zurückzahlen wie bei Schneeballsystemen. Ich dachte, sie sei ein ehrlicher Mensch, ich hatte wirklich Mitgefühl für sie“, sagte Franz C.

Der Prozess wird am 10. März fortgesetzt. An diesem Tag könnten Zeugen auch zwangsweise vorgeführt werden. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.