Herr Fuchs, Sie sitzen hier und lachen. Eigentlich müssten Sie todtraurig sein, wenn die Fasnacht als vollleibliches Erlebnis ins Wasser fällt. Wie geht es Ihnen?

Mir geht es gut, solange mich der Virus im Griff hat….

Ist das ein Witz? Sind Sie Coronapatient und sagen nichts?

… gemeint ist der Fasnachtsvirus. Der steckt in einem drin und stimmt mich neugierig, was sich andere Infizierte Narren in den nächsten Tagen einfallen lassen, trotz der repressiven Situation.

Michael Fuchs, Präsident des Narrenmuseums Langenstein.
Michael Fuchs, Präsident des Narrenmuseums Langenstein. | Bild: Fricker, Ulrich

Wenn Sie die Narretei ein Virus nennen, muss es sehr tief sitzen.

Ja. Ich liebe die Kraft der Fasnacht, ihre schöpferischen Momente und auch ihre Widerspenstigkeit.

Widerspenstig die einen, sehr angepasst die anderen.

In vorauseilendem Gehorsam rufen Zunftmeister in den letzten Tagen zur Zurückhaltung auf, sie warnen sogar vor närrischem Treiben. Bürgermeister gehen in Schulterschluss mit der Polizei. Manche Narrenzünfte gebärden sich wie Hasenzüchtervereine, wobei ich nichts gegen Hasenzüchter habe. Aber offenbar haben sie die eigenen Statuten nicht mehr auf dem Schirm.

Was steht da drin ?

Oberste Priorität sollte es sein, die Bräuche zu pflegen und zu bewahren.

Damit warb die Narrenvereinigung Hegau-Bodensee für ihre beiden digitalen Narrentreffen: Rechts die Nebelspalter aus Owingen ...
Damit warb die Narrenvereinigung Hegau-Bodensee für ihre beiden digitalen Narrentreffen: Rechts die Nebelspalter aus Owingen (Bodenseekreis), links die Froschenzunft Hoppetenzell (Stockach). Die Bändel sind corona-korrekt. | Bild: Michael Fuchs

Aber wie können Bräuche ausgelebt werden, wenn sich die Maskierten nicht treffen dürfen?

Schon recht, die Coronamaßnahmen stehen hier auch an erster Stelle. Doch ist der Narr als solcher gegen den Strich gebürstet und müsste eigentlich Schlupflöcher finden um Verbote elegant und trotzdem Pandemiekonform zu umschiffen. Die Schelmenstreiche scheinen aber rar geworden zu sein.

Nicht einmal die alten Bändel dürfen hängen bleiben. Wie bewerten Sie diese amtliche Posse?

Ein ganz klein wenig Farbe und Lebensfreude sollte in solch schweren und tristen Zeiten einfach möglich sein. Wenn der Amtsschimmel besonders laut wiehert wie im Kreis Tuttlingen, dann verstehe ich das nicht. In Möhringen mussten die Narren ihre Dekoration wieder abhängen.

Der Radolfzeller Kappedeschle ist das Urbild des aufsässigen Narren. Auch in Hüfingen existiert diese Narrenfigur im Fensterrahmen.
Der Radolfzeller Kappedeschle ist das Urbild des aufsässigen Narren. Auch in Hüfingen existiert diese Narrenfigur im Fensterrahmen. | Bild: Fricker, Ulrich

Nochmals zum Kern der Narretei – das ist ein Anrennen gegen den Trott des Alltags. Der Narr ist ein Grundverkehrter, ein Ungezähmter.

Einer dieser Typen ist der Kappedeschle von Radolfzell. Er umgeht die Obrigkeit auf seine Art und Weise: Er lebte zur Zeit der badischen Revolution 1848, damals war die Fasnacht als aufrührerisch verboten. Der Kappedeschle fragte den preußischen Kommandanten, ob er sich wenigstens in seinem Fenster verkleidet zeigen dürfe. Das wurde ihm genehmigt. Nun bastelte der Kappedeschle einen Fensterrahmen und legte ihn über die Schulter. Damit ging er auf die Gasse, den Preußen hatte er also ausgetrickst. In Hüfingen (Schwarzwald-Baar-Kreis) gibt es eine ähnliche Figur – das Baptistle. Auch er schlüpfte in seinen mobilen Rahmen und umging so die Vorschrift.

Soweit die Helden der Historie. Heute ist die fünfte Jahreszeit längst ein Podium für Prominenz. Ehrengäste werden begrüßt, die Politiker in der ersten Reihe platziert. Sie zeigen sich gerne als Gönner.

Die Fasnacht braucht Unterstützer, heutzutage ist die Organisation dieses Brauchs zu einem kostspieligen Unterfangen geworden. Hier würde ich mir gelegentlich wünschen, dass der Obrigkeit kritischer der Kopf gewaschen wird.

Interview unter der Echthaar-Perücke: Michael Fuchs (rechts) mit SÜDKURIER-Redakteur Uli Fricker
Interview unter der Echthaar-Perücke: Michael Fuchs (rechts) mit SÜDKURIER-Redakteur Uli Fricker | Bild: Fricker, Ulrich

Für das neue Narrenmuseum Langenstein bereiten Sie die Digitalisierung vor – schon lange, bevor Corona ein Thema war.

Die Überlegung war: Wie empfangen wir den Besucher der Zukunft? Soll er weiterhin Figuren anschauen und unten ein Typenschild lesen? Oder wollen wir mehr Beteiligung der Besucher, die selbst handeln, etwas anfassen können? Ich plädiere für Letzteres. Ein modernes Museum ist digital, weil es Brücken schlägt zwischen der Wissensvermittlung und dem Spieltrieb des Menschen.

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Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir arbeiten mit „Augmented Reality“, das ist eine Mischung aus real und virtuell. Dabei schauen Sie in einen realen Raum, in den Gegenstände dann eingeblendet werden, die es tatsächlich nicht gibt. Die Gegenstände sind beweglich, mit ihnen kann der Besucher spielen.

Mit Großkopfeten haben Sie als Präsident des Narrenmuseums Langenstein mindestens einmal im Jahr zu tun. Dann sind Sie Gastgeber der närrischen Cumpaney, wie das so heißt. Sie verteilen bunte Ehrenmützen. Aber mal ehrlich: Ist das nicht eine Liga der Ehrenkäsigen, die sich gegenseitig im Gefühl von Wichtigkeit und regionaler Eminenz bestärkt?

Natürlich sind es die Großkopfeten aus Politik, Kultur und Wirtschaft, die dort dicht zusammenhocken. Allerdings werden die bei uns nicht geschont, ich wage sogar zu behaupten, dass sie auf Schloss Langenstein besonders hart angefasst werden. Es ist doch gerade die Schadenfreude der anderen, die diesen Abend über viele Jahrzehnte so erfolgreich gemacht hat.

Die organisierten Narren in Radolfzell und anderswo wollen keine Coronatreiber sein. Deshalb die Aufforderung „bleibt ...
Die organisierten Narren in Radolfzell und anderswo wollen keine Coronatreiber sein. Deshalb die Aufforderung „bleibt zuhause“ (Bleibet dehom). | Bild: Fricker, Ulrich

Wo kriegen Sie eigentlich die großen Narrenkappen her, um das Haupt eines Großkopfeten zu bemützen? Etwa aus China?

Letztes Jahr wurde Günther Oettinger vorgeführt, somit haben wir natürlich europäische Handelsverpflichtungen.

Wie kommt man an eine Eintrittskarte für die Cumpaney?

Das ist der springende Punkt: Wir haben keinen Platz mehr. Es ist alles bis auf den letzten Platz belegt, die Leute sitzen wie die Ölsardinen. Im Augenblick muss man warten, bis jemand aus gesundheitlichen Gründen ausfällt.

Aha. Noch etwas: Fasnacht ist eines der letzten Reservate einer ungezügelten Männerwirtschaft. Haben Sie schon an eine Frauenquote gedacht?

Das entscheide nicht ich. Maßgeblich ist es das Gremium der Loschore („Lauschohren“), die sich im Land erkundigen, wer als nächster Alefanz in Frage kommt. Ich wünsche mir, dass es das nächste Mal kein Politiker und kein Mann ist.

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Es gibt so viele schöne Aktionen und Ideen, die man in diesen Tagen sehen kann. Ersatzhandlungen für die Straßenfasnacht, die mit Sicherheit ausfällt.

Das ist ein Lebensbeweis für die Fasnacht. Viele hatten schon Angst, dass die Tradition durch Corona langsam stirbt. Doch beobachte ich das Gegenteil. Diese Aktionen zeigen die Vitalität der Fasnacht, und das freut mich fast am meisten. Sie ist quicklebendig. Für das neue Museum sammle ich diese Aktivitäten.

In unserem neuen Museum, das 2022 eröffnet werden soll, planen wir eine Ausstellung zu „Corona und Fasnacht“. Dafür können die Leute dann ihre Bilder oder Clips einschicken. Denn Fasnacht ist nicht nur historisches Tun, sondern etwa Springlebendiges. In letzter Zeit wurden viele amüsante Ideen mit Herzblut umgesetzt und online gestellt. Es gab sogar virtuelle Narrentreffen. Die Narrenvereinigung Hegau-Bodensee erreichte erst 26.000 und das andere Mal 30.000 Teilnehmer. Die Akzeptanz dieser Formate ist groß.

Dieses Friedli (rechts) ging im Häs in Weilheim (Kreis Waldshut) beim Einkaufen gesichtet. Das ist erlaubt – und eine närrische ...
Dieses Friedli (rechts) ging im Häs in Weilheim (Kreis Waldshut) beim Einkaufen gesichtet. Das ist erlaubt – und eine närrische Idee dazu. | Bild: Claus Bingold

Werden die Narrentreffen der Zukunft digital stattfinden? Zeit sparen täte man ja…

Aber nein. Digital ist unwirklich, nicht authentisch, nicht echt. Fasnacht bedeutet Nähe, das Leibliche spielt eine große Rolle. Essen, trinken, küssen. Spontane Aktionen auf der Straße. Der Geruch von Bratwürsten und Suppen, ein schäumendes frisches Bier. Das kann digital nicht aufgefangen werden.

Immer wieder hört man den Vergleich: Wenn jetzt die Umzüge ausfallen, dann ist das wie vor 30 Jahren, als wegen des Golfkriegs alles abgesagt wurde.

Der Vergleich passt nicht. 1991 stand für uns eine moralische Frage im Mittelpunkt. Heute geht es um die Gesundheit aller Menschen. Wer sich 1991 als Narr dennoch auf der Straße zeigte, gefährdete dadurch niemanden. Das ist heute ein anderes Risiko, das abzuwägen gilt.

Ein bisschen Schmuck darf sein: Die Radolfzellerin Elisabeth Kohout schmückt ihren Balkon.
Ein bisschen Schmuck darf sein: Die Radolfzellerin Elisabeth Kohout schmückt ihren Balkon. | Bild: Fricker, Ulrich

Was machen Sie am Schmutzigen Dunschtig? Trauen Sie sich aus dem Haus?

Mit viel Abstand und im Narrenhäs gehe ich einkaufen und schaue, ob sich in der Stadt etwas tut. Ich bin guter Hoffnung, dass sich einige couragierte Narren mit alefänzigen Aktionen hervortun werden, und sei es nur am Fenster.

Mehr verraten sie nicht?

Natürlich nicht. Auch ein Narr hat sein Berufsgeheimnis.