Es sind Szenen, wie man sie sonst nur aus dem Kino kennt: Eine Handvoll bewaffneter Drogenhändler sitzt in einer unscheinbaren Lagerhalle in Immendingen. Sie sind damit beschäftigt, Dutzende frisch eingetroffene Päckchen mit Kokain zu zählen.

Was die Männer zu diesem Zeitpunkt nicht wissen: Seit Monaten überwacht sie die Rottweiler Kripo mit Unterstützung des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg. Die Behörden haben dafür eigens eine benachbarte Lagerhalle angemietet und zumindest einen verdeckten Ermittler in die Gruppe eingeschleust.

Zwei Tage vor Weihnachten 2021 gelingt die Überraschung: Ein Elitekommando der Polizei, unterstützt von einer Hubschrauberstaffel und Rauschgift-Spürhunden, stürmt den Betrieb. Zeitgleich greifen die Behörden an sechs weiteren Orten zu, darunter auch in Gottmadingen und Pfullendorf.

Drogen im Wert von 300 Millionen Euro

Am Ende der Razzien nehmen die Spezialkräfte sieben Tatverdächtige fest und beschlagnahmen 233 Kilogramm Kokain, das laut Polizei mindestens 50 Millionen Euro wert sein soll. „Es handelt sich um eine der größten je in Baden-Württemberg sichergestellten Kokainmengen“, teilte das zuständige Konstanzer Polizeipräsidium mit.

Außerdem stellen die Ermittler 50 Kilo Cannabis, hochwertige Autos, digitale Datenträger, Unterlagen über internationale Finanzströme sowie mehrere Zehntausend Euro Dealer-Geld sicher, wie der SÜDKURIER zuerst berichtete.

Bei dieser Lagerhalle in Immendingen soll es zum Zugriff eines Spezialeinsatzkommandos der Polizei auf die mutmaßlichen Drogenhändler ...
Bei dieser Lagerhalle in Immendingen soll es zum Zugriff eines Spezialeinsatzkommandos der Polizei auf die mutmaßlichen Drogenhändler gekommen sein. | Bild: rla

Für ihre mutmaßlichen Taten müssen sich die laut Polizei „hochprofessionell agierenden Täter“ seit Oktober vor dem Landgericht Konstanz verantworten. Die Staatsanwaltschaft Konstanz wirft den Angeklagten vor, bei im Laufe von gut zwei Jahren insgesamt 1,5 Tonnen Kokain von Lateinamerika nach Europa transportiert zu haben, was einem Marktwert von etwa 300 Millionen Euro entsprechen würde. „Die Sicherheitsvorkehrungen sind außerordentlich“, sagt Gerichtspräsident Christoph Reichert.

Eine Frau, drei Reisepässe

Drei Beamte der Kripo mit Funkclips im Ohr halten auf der Rückseite des historischen Gebäudes die Augen offen. Mehr als ein Dutzend Justizwachebeamte führen die seit der weihnachtlichen Razzia in Untersuchungshaft sitzenden Angeklagten in den Großen Schwurgerichtssaal. Bei jedem Schritt klimpern die engen Fußketten der sechs mutmaßlichen Mitglieder einer internationalen Drogenbande.

Darunter ist auch eine Frau, die wegen ihrer geringen Tatbeteiligung am ersten Prozesstag – nach zehn Monaten U-Haft – auf freien Fuß am. Die 55-Jährige wuchs in der Dominikanischen Republik auf und besitzt neben einem Schweizer auch einen italienischen und einen dominikanischen Pass. Laut Staatsanwalt soll sie die Bande hauptsächlich als Übersetzerin und Fahrerin unterstützt haben und auch das eine oder andere Geldgeschäft erledigt haben.

Morddrohungen gegen Angeklagten

Auffallend ist auch, dass am Vormittag des ersten Prozesstages zwei Polizisten mit umgehängten, halb automatischen Langwaffen für den Ernstfall im Gerichtsaal bereit stehen. Auch an den folgenden Verhandlungstagen sitzen zwei bewaffnete Kripo-Beamte in kugelsicheren Westen direkt hinter einem der Angeklagten und scheinen ihn nicht aus den Augen zu lassen.

Edward N. (Mitte) hatte zuletzt seinen Wohnort in Madrid. Jetzt muss sich der mutmaßliche Drogenhändler vor dem Landgericht Konstanz ...
Edward N. (Mitte) hatte zuletzt seinen Wohnort in Madrid. Jetzt muss sich der mutmaßliche Drogenhändler vor dem Landgericht Konstanz verantworten. Hinter ihm geht ein Kripo-Beamter, der ihn beschützen soll. | Bild: han

Grund dafür ist nicht in erster Linie die Gefahr, dass Edward N. durch Komplizen befreit werden könnte – im Gegenteil. Der 52-jährige Dominikaner hat – wohl für seine Bereitschaft, mit den Behörden zu kooperieren – ernst zu nehmende Morddrohungen erhalten und muss besonders beschützt werden, wie aus dem Landgericht zu erfahren ist.

Erstes Treffen in Gottmadingen

Wie lange die Behörden der internationalen Drogenbande schon auf der Spur waren, ist unklar. Im Frühjahr 2021 schafft es ein verdeckter Ermittler, das Vertrauen der Gruppe zu gewinnen, wie aus den Befragungen der Angeklagten vor Gericht hervor geht.

Offenbar äußerst glaubhaft gibt der Polizeibeamte vor, direkten Zugang zum Hamburger Hafen zu haben, wo immer wieder Drogenlieferungen versteckt in Containern von Frachtschiffen ankommen.

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Das erste Kennenlernen zwischen dem verdeckten Ermittler und der Bande fand im April 2021 in einer Werkstatt in Gottmadingen statt. Neben deren Besitzer waren auch Edward N. und die 55-jährige Angeklagte dabei, die damals mit N. liiert war und ihren Lebensgefährten im BMW herumchauffierte.

Von der Werkstatt fuhr das Quartett per Auto ins nahe gelegene Diessenhofen im Kanton Thurgau. In einem italienischen Restaurant in der direkt am Hochrhein gelegenen Altstadt aßen sie und begannen reichlich Alkohol zu trinken.

Probelieferung für Behörden

„Ich sagte dem Agenten 20 Kilo Kokain zu, um sein Vertrauen zu gewinnen“, erzählt Edward N. vor Gericht. Im Restaurant habe man über die Einfuhr von Drogen aus Lateinamerika im großen Stil über den Hamburger Hafen gesprochen.

Dabei habe der äußerst überzeugend auftretende verdeckte Ermittler immer wieder insistiert, auf seine guten Kontakte hingewiesen und gefragt, ob N. nicht mehr Rauschgift beschaffen könne, so dessen Version.

Die Gruppe sprach im Diessenhofener Restaurant auch über eine Testlieferung aus Kolumbien mit 40 Kilogramm Kokain. Diese solle in Hamburg ankommen. Später sollten noch größere Mengen transportiert werden.

Am Ende sei ein mit Kunststoffgranulat beladener Container als Probelieferung, aber ohne Rauschgift unterwegs gewesen, um zu sehen, ob sie durchkommt oder von den Behörden abgefangen wird.

Drogendealer fahren nicht betrunken

Der gemeinsame Abend im Restaurant endete offenbar in einem Trinkgelage. Der Werkstattbesitzer erzählt vor Gericht, dass sie zu viel tranken und nicht mehr in der Lage waren, nach Hause zu fahren. Deshalb holte sie an diesem Abend ein weiterer Angeklagter, Raimond C., in Diessenhofen ab und brachte die Gruppe zurück nach Gottmadingen, wo der offenbar trinkfeste verdeckte Ermittler bei einer Tankstelle ausgestiegen sein soll.

Einer der mutmaßlichen Drogenhändler in Fußfesseln vor dem Landgericht Konstanz
Einer der mutmaßlichen Drogenhändler in Fußfesseln vor dem Landgericht Konstanz | Bild: han

Der Angeklagte C. soll als Tarnung extra eine Importfirma für Kunststoffgranulat gegründet haben, um in den Metallrahmen von mit legalen Waren befüllten Schiffscontainern Kokain verstecken zu können, so der Vorwurf. Später kaufte der verdeckte Ermittler der Drogenbande zumindest ein Kilo Kokain ab, wohl um den Anschein zu wahren.

„40 Prozent sind handelsüblich“

Drei Monate später, im Juli 2021, rief ein weiterer dominikanisch-stämmiger Angeklagter – er wohnt im Bodenseekreis – bei Edward N. an und bat ihn um Hilfe, eine Tonne Kokain aus dem Hamburger Hafen rauszubringen. Er wendet sich an den verdeckten Ermittler, der nicht wie vorgegeben im Großhafen der Hansestadt arbeitet, sondern bei der Polizei.

Ihm verspricht Edward N. 20 Prozent der Ladung, also 200 Kilo Kokain, wenn es ihm gelinge, die „Ware“ zu befreien. Weitere 200 Kilo stünden für diesen Fall auch N. selbst zu. „40 Prozent sind handelsüblich“, sagt der 52-Jährige über den riskanten Job, riesige Mengen an Rauschgift aus Großhäfen rauszubringen.

Daraufhin forderte der verdeckte Ermittler, der sich offenbar ausgezeichnet mit den Gepflogenheiten im internationalen Drogenmilieu auskennt, ein Pfand von 50.000 Euro für die Aktion. Am Ende scheiterte der Deal, die Besitzer des Kokains hätten sich selbst um den Stoff gekümmert, heißt es vor Gericht. Wer diese sind, ist vorerst noch offen, könnte aber an einen der noch folgenden Verhandlungstagen ans Licht kommen.

Die Urteile fallen voraussichtlich im Dezember. Es gilt die Unschuldsvermutung.