Eigentlich sollte sich Heinrich Schwind gerade darum kümmern, dass Militärfahrzeuge in der Kaserne der Deutsch-Französischen Brigade in Mülheim abfahrbereit sind. Stattdessen schiebt der Zeitsoldat seit Montag Schrebtischdienst. Er hängt an der Strippe, telefoniert zwischen 8 und 17 Uhr mit Menschen aus dem Landkreis Lörrach, die sich selbst mit dem Coronavirus infiziert haben oder Kontaktpersonen sind.

Ungewohnt, aber unabdingbar. Denn das Lörracher Gesundheitsamt hat die Belastungsgrenze schon überschritten. Ohne die Unterstützung der Bundeswehr könnte man hier Infektionsketten überhaupt nicht mehr nachzuvollziehen.

Soldaten kommen nach Hilfegesuch schnell

Da kam die landesweite Abfrage des baden-württembergischen Gesundheitsamtes, ob Hilfe von Soldaten benötigt wird, wie gelegen. Nur wenige Tage nach Einreichung des Amtshilfe-Antrags, trudelten am 3. November die ersten Soldaten ein.

Heinrich Schwind und seine neun Kameraden arbeiten zwischen Mitarbeiterparkplatz und einer Großbaustelle vor dem Landratsamt. Sie teilen sich fünf Container in Zweierteams. Ein Mini-Callcenter wie in der Sardinenbüchse.

Heinrich Schwind sitzt an seinem Schreibtisch im engen Container. Mit einer Liste arbeitet er die Kontakte telefonisch nacheinander ab.
Heinrich Schwind sitzt an seinem Schreibtisch im engen Container. Mit einer Liste arbeitet er die Kontakte telefonisch nacheinander ab. | Bild: Küster, Sebastian

Auf rund zehn Quadratmetern steht trotzdem alles, was der 25-Jährige braucht. Computer, Tastatur, Desinfektionsmittel, Notizblock und – ein Telefon. Der Feldwebel muss schließlich Kontaktpersonen beibringen, dass sie sich vielleicht angesteckt haben. Er ist zum Überbringer schlechter Nachrichten geworden. Kein einfacher Job, der normalerweise zum bitteren Alltag von Ärzten gehört.

„Das ist nicht immer leicht“, sagt Schwind. Vor allem weil einige Menschen, mit denen er telefoniert einen schweren Verlauf haben oder sogar sterben. Wenn man dann noch mit einer alten Dame telefoniert, die im Nebenraum ihren schwer kranken Mann pflegt, sei das für Soldaten heftig.

Belastung pur von 8 bis 17 Uhr. Dann ist erstmal Schluss. Denn die Bundeswehr arbeitet im Wochenwechsel. Sieben Tage Corona-Callcenter, sieben Tage militärischer Regeldienst. Dort werden Überstunden abgebaut und „sie sehen mal wieder etwas anderes als nur das Telefon“, sagt Informationsfeldwebel Christoph Liesmann. Der Ausgleich sei für die Soldaten wichtig, um wieder „runterzukommen“.

Informationsfeldwebel Christoph Liesmann findet es wichtig, dass die Soldaten auch wieder „runterkommen“.
Informationsfeldwebel Christoph Liesmann findet es wichtig, dass die Soldaten auch wieder „runterkommen“. | Bild: Küster, Sebastian

31 Kreise in Baden-Württemberg werden von Soldaten unterstützt

Die Bundeswehr hilft derzeit in 31 der 44 Land- und Stadtkreise Baden-Württembergs mit insgesamt 476 Soldaten. Bundesweit stehen 16.000 Kräfte zur Verfügung. Davon sind 6800 von ihnen derzeit schon in der Amtshilfe im Einsatz. Die Zahlen ändern sich beinahe täglich. Immer wieder kommen neue Kreise hinzu, die Hilfe benötigen.

Bild 3: Soldat Heinrich Schwind hilft in Lörrach bei der Corona-Kontaktverfolgung – warum setzen andere Ämter nicht auf Bundeswehr-Hilfe?
Bild: Bernhardt, Alexander

Sigmaringen, Konstanz und Bodenseekreis beantragen keine Hilfe bei Bundeswehr

Doch während die Soldaten-Unterstützung in Lörrach gut klappt, ist sie im südlichen Landesteil sonst eher selten. Die Landkreise Sigmaringen und Konstanz und der Bodenseekreis verzichten derzeit noch auf Unterstützung von der Bundeswehr.

Warum? Im Kreis Konstanz etwa legt man viel Wert darauf, dass die Mitarbeiter aus der Region kommen, um die Lage am Telefon besser einschätzen zu können. Darüber hinaus sei es einfacher Verwaltungsbeamte aus anderen Behörden für die Arbeit im Gesundheitsamt einzulernen, weil sie bereits Erfahrung im Verwaltungsapparat mitbringen, heißt es in einer Pressekonferenz.

Ämter setzen auf andere Personalquellen

Ähnlich handelt der Kreis Sigmaringen. Das Gesundheitsamt sei zwar sehr ausgelastet, aber man habe zunächst nur beim Land „zusätzliches Personal angefordert. Wir hoffen, 27 weitere Mitarbeiter aus Landesbehörden zu bekommen“, so Pressesprecher Tobias Kolbeck.

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Robert Schwarz vom Bodenseekreis sagt: „Wir rekrutieren die nötige personelle Verstärkung aus anderen Ämtern des Landratsamts. Hier gibt es im Haus erfreulicherweise eine große Hilfsbereitschaft. Es ist von Vorteil, wenn die Ermittler die Kreisverwaltung und auch den Landkreis gut kennen.“

Soldat Heinrich Schwind klopft Corona-Kontakte ab

Für Heinrich Schwind stehen bei seinen Telefonaten derweil dieselben Fragen im Vordergrund wie für andere Gesundheitsamt-Mitarbeiter: Wo war der Kontakt? In einer medizinischen Einrichtung? Auf einer Party? Im Bus zur Arbeit? Und: Wie war der Kontakt? Wurde die Maske getragen? Wurde man angehustet? Hat man sich umarmt?

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„Ich versuche mir von den Menschen am anderen Ende der Leitung so genau wie möglich erklären zu lassen, was geschah“, sagt Schwind und faltet dabei die Hände auf seiner Hose in Tarnfarben. Nur durch genaues Fragen ist es möglich, die Personen in zwei Kategorien einzuteilen: Kontaktperson ersten Grades mit hoher Ansteckungswahrscheinlichkeit und sofortiger Quarantäne. Oder Kontaktperson zweiten Grades mit geringerem Risiko ohne Quarantäne-Pflicht.

Soldaten entscheiden nicht alleine

Die letztendliche Entscheidung darüber trifft weiterhin das Gesundheitsamt. Die Soldaten geben aber nach vorgegebenem Abfragemuster eine Art Empfehlung ab. Die Nachsorge der Betroffenen übernehmen allein die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes. Bei Heinrich Schwind dauert ein Telefonat ungefähr 15 Minuten. Mal mehr, mal weniger. Das ist davon abhängig wie diskussionsfreudig der Angerufene ist.

Corona-Leugner am Telefon weigern sich Quarantäne zu akzeptieren

Denn der Feldwebel stößt auch auf Widerstand. „Die meisten machen den Eindruck, als würden sie sich an die Quarantäne dann halten. Es gibt aber auch welche, die das nicht wahrhaben wollen. Dann versuche ich die Menschen zu überzeugen, dass sie sich isolieren müssen. Ich mache meinen Job schließlich nicht zum Spaß“, sagt der 25-Jährige entschieden.

Potentielle Quarantäne-Verweigerer werden gemeldet

Dabei allein bleibt es jedoch nicht. Wenn sich eine Person am Telefon auffällig verhält und sich vielleicht nicht an die Quarantäne halten wird, vermerkt das Gesundheitsamt diesen Vorgang. Im Anschluss informiert die Behörde die zuständige Ortspolizei der Heimatgemeinde der Person. Ob die Quarantäne überprüft wird, entscheidet die Kommunalverwaltung eigenständig.

Für Corona-Leugner hatte Heinrich Schwind sowieso noch nie etwas übrig. Dass einige die Gefährlichkeit des Virus immer noch unterschätzen, sei fatal. „Wahrscheinlich merken sie es erst, wenn sie einen Fall in der Familie haben oder selbst schwer erkranken. Dann könnte es aber schon zu spät sein.“

Die Amtshilfe in Lörrach dauert noch mindestens bis 4. Dezember. Eine Verlängerung bis Ende des Jahres gilt als sehr wahrscheinlich.