Die Drohkulisse steht: Wenn die jährlichen Wartungsarbeiten an der wichtigsten Pipeline für die deutsche Gasversorgung beginnen, könnte der Gashahn dauerhaft abgedreht werden. Das zumindest halten Experten für möglich. Für den nächsten Winter könnte das nicht nur Einbußen für die Industrie bedeuten, sondern auch zu Knappheit bei der Versorgung von Privathaushalten führen. Erste Stadtwerke nehmen ob der nicht mehr kalkulierbaren Preise deshalb keine Neukunden mehr auf. Was Verbraucher jetzt wissen sollten.

Matthias Bauer von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg ist für den Bereich Bauen, Wohnen und Energie zuständig.
Matthias Bauer von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg ist für den Bereich Bauen, Wohnen und Energie zuständig. | Bild: Wolfram Scheible

Wie stark werden die Preise steigen für Gas und Strom?

Das weiß derzeit niemand genau zu sagen, „nicht einmal die, die am Markt einkaufen“, sagt Matthias Bauer von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg in Stuttgart. Beim Strom, so Bauer, „könnten wir noch mit einem blauen Auge davon kommen“, weil die EEG-Umlage ab 1. Juli weggefallen ist. Allerdings hatten einige Stromanbieter für August Preiserhöhungen angekündigt, so dass der Effekt verpuffen dürfte. Bauer rechnet damit, dass die Strompreis auf 40 Cent pro Kilowattstunde ansteigen könnten.

Beim Gas gehen Experten von einer Verfünffachung bis Verzehnfachung der Preise aus. Alles steht und fällt damit, ob das Gas nach der elftägigen Wartung der wichtigsten Pipeline aus Russland, Nordstream I, wieder fließt oder abgestellt bleibt.

Im niedersächsischen Burgwedel wird nach Erdgas gebohrt, insgesamt betreibt ExxonMobil in seinen Fördergebieten im Norden und Osten ...
Im niedersächsischen Burgwedel wird nach Erdgas gebohrt, insgesamt betreibt ExxonMobil in seinen Fördergebieten im Norden und Osten Deutschlands 100 Bohrungen. Die Gasknappheit werden diese Stellen aber nicht auffangen können. | Bild: Julian Stratenschulte

Was bedeutet das für den Gaspreis für Bestandskunden?

Kunden mit laufenden Verträgen müssen erst einmal keine Auswirkungen fürchten. Zumindest, solange die Bundesregierung das letzte Mittel, um die Insolvenz von Energieversorgern zu verhindern, erst so spät wie möglich aus dem Instrumentenkasten zieht: die Freigabe, Preiserhöhungen direkt an den Verbraucher weiterzugeben. Heizen könnte sich dann nicht mehr jeder leisten, fürchtet Bauer.

Was könnte helfen, damit der Gaspreis nicht durch die Decke geht?

Wenn Russland den Gashahn nach der jährlichen Wartung wieder aufdreht und das Gas normal weiterfließt, würde das eine Eskalation erst einmal verhindern. Andernfalls bleibt nur die Hoffnung auf einen milden Herbst und Winter.

Stimmt es, dass Stadtwerke Neukunden ablehnen dürfen? Was bedeutet das, wenn ich umziehe?

Nein. „Verbraucher, die in die Grundversorgung fallen, sind aufzunehmen“, stellt Verbraucherschützer Bauer klar. Wer umzieht und seinen bisherigen Vertrag nicht mitnehmen kann, erhält zunächst die sogenannte Ersatzversorgung (ohne konkreten Vertrag) und dann die meist sehr teure Grundversorgung (Vertrag mit kommunalem Grundversorger).

Die sogenannte Sonderversorgung (private Verträge zu besseren Konditionen, die auch bei den kommunalen Grundversorgern möglich sind) müssen nicht zwingend angeboten werden. Für sie gelten die gleichen Regeln wie für private Unternehmen: Kunden müssen nicht aufgenommen werden.

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Gibt es ein Szenario, in dem Grundversorger Neukunden komplett ablehnen dürfen?

Nein. Aber auch Grundversorger können in Schwierigkeiten kommen und insolvent gehen. „Das haben wir bisher noch nie erlebt“, beschwichtigt Bauer, hält dies aber gerade bei kleinen kommunalen Versorgern für möglich. Diese weisen im Vergleich zu größeren Anbietern auch schon jetzt höhere Preise auf, so der Verbraucherschützer.

Was ist mit privaten Anbietern?

Hier sieht es für Neukunden nicht gut aus: Kunden annehmen müssen sie nicht. Hinzu kommt: Die Anbieter können von vorne herein höhere Preise verlangen und tun dies auch. Bauer rät Bestandskunden, unbedingt bei ihren Verträgen zu bleiben: „Alles andere wird zwangsläufig teurer.“

Neukunden, die tatsächlich darauf angewiesen sind, einen neuen Energieversorger zu finden, rät er zur Eigenrecherche: „Vergleichsportale zeigen immer weniger Angebote auf und oft auch nicht die Grundversorger“, warnt er. Hinzu kommt: Allein von 2021 auf 2022 sind 40 Energieanbieter insolvent gegangen oder haben sich vom Markt zurückgezogen.

Erdgas wird in den kommenden Wochen womöglich noch knapper: An der wichtigsten Pipeline aus Russland, Nordstream I, müssen jährliche ...
Erdgas wird in den kommenden Wochen womöglich noch knapper: An der wichtigsten Pipeline aus Russland, Nordstream I, müssen jährliche Wartungsarbeiten vorgenommen werden, für die die Gasversorgung ganz ausgeschaltet wird. Fraglich ist, ob sie danach wieder angeschaltet wird. | Bild: Bernd Weißbrod

Was kann ich tun, wenn mein Anbieter kurzfristig die Preise erhöht?

Die Preissteigerungen müssen transparent und nachvollziehbar kommuniziert werden, Kunden also detaillierte Informationen über die Kostenerhöhungen bekommen. Bei der Sonderversorgung (private Energieversorger) haben Betroffene vier Wochen Zeit, sich einen anderen Anbieter zu suchen, wenn sie die Preiserhöhung so nicht hinnehmen wollen, beim Grundversorger sind es sechs Wochen.

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