Endlich zu dritt sein, endlich eine Familie gründen – das war der Traum von Franziska (27) und Christoph (31) Schwab aus Volkertshausen. „Wir haben uns riesig gefreut, als wir im Februar 2020 erfahren haben, dass ich schwanger bin“, sagt Franziska lächelnd. Doch schon in der 16. Schwangerschaftswoche fangen die Sorgen an: „Ich hatte plötzlich Blutungen!“
Beim Gynäkologen erfährt sie, dass sie eine Plazenta praevia hat, also einen Mutterkuchen, der vor dem Gebärmutterausgang liegt. Immer wieder hat sie Blutungen, alle paar Tage wird per Ultraschall kontrolliert, ob das kleine Herzchen noch schlägt. „Das waren harte Wochen voller schlafloser Nächte“, sagt Christoph.
Im Mutterleib ist es am besten

Als sie eines Abends zu Hause im Bett liegt, platzt überraschend ihre Fruchtblase – viel zu früh, in der 24. Schwangerschaftswoche (6. Monat). Die beiden fahren sofort ins Hegau-Bodensee-Klinikum. „Nichts ist für die Entwicklung des Fötus so gut wie der Mutterleib, solange es Mutter und Kind gut geht. Deshalb versuchen unsere Geburtshelfer auch bei einem frühzeitigen Blasensprung, die Geburt so lange wie möglich hinauszuzögern“, erklärt Professor Andreas Trotter, Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche und Neonatologe in Singen.
Professor Andreas Trotter (57) ist Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche am Hegau-Bodensee-Klinikum Singen und Neonatologe. Die Klinik ist auf die Betreuung kranker Neugeborener und frühster Frühgeborener spezialisiert.
Doch die Ärzte stellen fest, dass überhaupt kein Fruchtwasser mehr in Franziskas Bauch ist – und eine Geburt deshalb nicht mehr lange aufzuhalten ist. Um einer Infektion vorzubeugen, bekommt Franziska Antibiotika, um die Entwicklung der Lunge des Babys zu fördern, sogenannte Lungenreifespritzen mit Kortison. Aber schon nach vier Tagen ist ein Notkaiserschnitt nicht mehr aufschiebbar: „Ohne das schützende Fruchtwasser hat der Kleine ständig die Nabelschnur abgedrückt und damit seine Versorgung unterbrochen“, so Franziska.
Wie eine winzige Puppe

Die werdenden Eltern werden von einer Kinderkrankenschwester sachte auf den Anblick eines Frühchens vorbereitet: „Mit einer winzigen Puppe, an der ganz viele Schläuche waren“, erinnert sich Christoph, „zum Glück! So waren wir nicht allzu geschockt, als wir Henry das erste Mal sahen.“ Nur 540 Gramm Geburtsgewicht und eine Größe von 31 Zentimetern misst er, als er am 21. Juli 2020, in Schwangerschaftswoche 24+6 Tagen, das Licht der Welt erblickt. „Er war nicht viel größer als meine Hand“, sagt Christoph, „hat so klein und zerbrechlich gewirkt.“
Anfangs wird Henry intubiert, weil die kleine Lunge noch sehr unreif ist. Im Brutkasten (Inkubator) ist er von einer hautschonenden Luftfeuchtigkeit umgeben, wird gewärmt, mit Bluttransfusionen, Antibiotika, Muttermilch, Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Nach einer Woche dürfen seine Eltern ihn das erste Mal auf die nackte Brust legen: „Das waren wunderschöne erste Eltern-Kind-Momente“, schwärmt Franziska.
Der Körperkontakt tut allen gut
Andreas Trotter erklärt: „Der enge Körperkontakt stärkt die Bindung – und tut den Kindern gut, das merkt man auch daran, dass deren Herzfrequenz sinkt.“ Aber nicht nur das: „Unser Pflegeteam legt großen Wert darauf, Eltern frühestmöglich in die Betreuung ihres Kindes einzubeziehen, weil Frühchen-Eltern oft extremen Respekt vor ihrem so kleinen Kind haben“, erklärt Trotter.

Ob Wickeln, Füttern, Baden oder später auch die Medikamentengabe – alles lernen Franziska und Christoph von geduldigen Kinderkrankenschwestern. „Sie waren eine liebevolle Unterstützung“, sagen die jungen Eltern, „wir haben uns aufgehoben gefühlt und schnell Berührungsängste verloren.“
Er entwickelt sich prächtig
Und das Beste: Henry entwickelt sich prächtig. Keine Hirnblutungen, keine Atemwegsprobleme, keine bleibenden Darmschädigungen – alles Faktoren, die bei so frühen Frühchen eine Rolle spielen und bleibende Schäden hinterlassen können. Nur zwei Leistenbrüche, die bei Frühchen häufig vorkommen, müssen später noch operiert werden.

Am 15. Oktober, fast drei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin, darf Henry nach Hause. Beim Übergang nach Hause werden die Eltern von speziell ausgebildeten Pflegekräften (Bunter Kreis) sozialmedizinisch begleitet. Bei regelmäßigen Untersuchungen im sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) des Klinikums wird seither getestet, ob die motorische und kognitive Entwicklung normal verläuft.
„Er ist kerngesund und unser Wunderbaby“, sagt Franziska Schwab, „ein kleiner Frechdachs, der durch die Wohnung kraxelt, alles ausräumt und schon ganz stolz ‚Papa‘ sagen kann.“ Besonders freut sich Familie Schwab auf Weihnachten: „Die Glitzerdeko findet er ganz toll, deshalb haben wir extra Plastikkugeln für den Christbaum besorgt, die er gefahrlos abräumen und anfassen darf!“