„Autofahren nur noch für Reiche?“ Mit Slogans wie diesem machten Gegner gegen die Neufassung des Schweizer CO2-Gesetzes Stimmung. Die Eidgenossen lehnten das Klimagesetz schließlich Mitte Juni ab. Neben Kritik an der geplanten Abgabe für kurze und lange Flugstrecken führte insbesondere die Angst vor steigenden Sprit- oder Heizölpreisen für Verbraucher zum Nein.

Den Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) ficht das nicht an. Der zweitgrößte Verkehrsverband des Landes fordert: Fossiler Treibstoff muss bis 2035 einen Franken (90 Cent) pro Liter teurer werden. Mit dieser und weiteren auf den Straßenverkehr abzielenden Maßnahmen soll das Land klimaneutral werden.

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Schon zwölf Rappen Aufschlag sorgten für Ängste bei Verbrauchern

Derzeit werden Treibstoff-Importeure dazu verpflichtet, ihre Emissionen mit klimafreundlichen Gegenmaßnahmen zu kompensieren. Die Kosten dürfen die Firmen mit fünf Rappen pro Liter für Diesel oder Benzin an die Verbraucher teils weitergeben. Das neue Gesetz hätte einen Aufschlag von maximal zwölf Rappen je Liter erlaubt. Befragungen nach dem Nein zum Klimagesetz ergaben: Das war vielen Schweizern nicht vermittelbar.

Für den Schweizer Interessensverband der Erdölbranche Avenergy Suisse stelle sich der VCS „gegen den Volkswillen“, sagt ihr stellvertretender Geschäftsführer Fabian Bilger.

Fabian Bilger ist stellvertretender Geschäftsführer von Avenergy Suisse, der Schweizer Interessensverband für Importeure flüssiger ...
Fabian Bilger ist stellvertretender Geschäftsführer von Avenergy Suisse, der Schweizer Interessensverband für Importeure flüssiger Brenn- und Treibstoffe. | Bild: Avenergy Suisse

Auch Avenergy hat sich vor der Abstimmung gegen das neue Gesetz positioniert. Ein knappe Mehrheit von 51,6 Prozent lehnte den Entwurf dann tatsächlich ab. Bilger spricht dennoch davon, dass die Bürger sich „klar gegen weitere Preiserhöhungen oder Abgaben auf Treib- oder Brennstoffe ausgesprochen“ haben.

Verkehrsclub: „Handlungsbedarf ist besonders groß und akut“

Der VCS begründet den Vorstoß dagegen damit, dass der Verkehr mehr als 30 Prozent des CO2-Ausstoßes der Schweiz ausmache. „Der Handlungsbedarf ist deshalb besonders groß und akut“, sagt Verbandssprecher Andreas Käsermann. Auch die weiteren Werkzeuge zur Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes – etwa das Verringern von Parkplätzen oder generelles Tempo 30 in Wohngebieten – dürften manchem Autofahrer sauer aufstoßen.

Käme es dann zum Tanktourismus nach Deutschland?

Doch stimmt deshalb auch, wovor Avenergy-Mann Fabian Bilger warnt? Die Forderung des VCS würde dem Klima sogar eher schaden, weil sie „einen massiven Tanktourismus in den Grenzgebieten der Schweiz bewirken, der zu Mehrverkehr, wirtschaftlichen Schäden und Steuerausfällen führen würde“. Nicht, wenn man sich an einem Vormittag im Juli 2021 in direkter Grenznachbarschaft zu Konstanz umhört.

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Zwar ist Diesel in der Schweiz durchschnittlich schon jetzt etwa 20 Cent je Liter teurer als diesseits der Grenze. Selbst der jahrelang für deutsche Tanktouristen sorgende niedrigere Schweizer Super-Preis ist auf wenige Cent Preisvorteil zusammengeschrumpft.

Trotzdem scheinen Schweizer Autofahrer, die derzeit rund um eine Tankstelle in Kreuzlingen unterwegs sind, zur knappen Minderheit der Klimagesetz-Befürworter zu gehören. Nahezu ausschließlich heißt es von ihnen: Der Vorstoß des VCS sei die „richtige Idee, weil die Leute sowieso viel zu viel unnötig herumfahren“, wie stellvertretend die Ermatingerin Annemarie Nater sagt.

„Man kann auch in der Schweiz bezahlbar leben“

Pragmatischer sieht es Irene Züst aus Ellighausen bei Kreuzlingen: „Natürlich würde ich mich nicht über höhere Preise an der Tankstelle freuen.“

Irene Züst aus Ellighausen bei Kreuzlingen tankt in der Schweiz – und würde das auch bei wesentlich höheren Spritpreisen in ihrem ...
Irene Züst aus Ellighausen bei Kreuzlingen tankt in der Schweiz – und würde das auch bei wesentlich höheren Spritpreisen in ihrem Heimatland tun. | Bild: Brumm, Benjamin

Aber wie sie schon jetzt keine Einkaufstouristin sei, würde sie auch keine Tanktouristin werden. „Ich lebe und arbeite hier, dann gehört es sich für mich auch so, hier meine Geschäfte zu erledigen.“ Sie könne zwar jeden verstehen, der anders handelt, „aber man kann auch in der Schweiz einigermaßen bezahlbar leben“, meint Irene Züst.

Auch der VCS erkennt im Nein zum CO2-Gesetz keine Schweizer Klimaschutz-Abneigung. Vielmehr sei das neue Gesetz nicht durchdacht gewesen und zudem schlecht vermittelt worden. Ein wiederkehrender Kritikpunkt: Die Regierung wollte zwei Drittel der Abgaben an die Bürger zurückzugeben. Eine vierköpfige Familie hätte so umgerechnet 320 Euro im Jahr wieder bekommen. Das übrige Geld sollte über einen Fonds in klimafreundliche Technologien, die Gebäudesanierung oder an die Gemeinden fließen.

VCS: Jeder Bürger erhielte über Rückverteilung 500 Euro pro Jahr

Der Schweizer Verkehrs-Club will dagegen eine vollständige Rückverteilung der Mehrkosten. Ein Beratungsunternehmen hat für den VCS errechnet, dass durch die Maßnahmen jeder Einwohner ungerechnet 500 Euro im Jahr erhalten würde. „Auf diese Weise profitiert über die Hälfte der Bevölkerung“, argumentiert Verbandssprecher Andreas Käsermann.

Zwei von drei Schweizern aus der niedrigsten Einkommensklasse würden mehr zurückerhalten als sie bezahlen. Der VCS verspricht sich durch ein sozial verträglicheres Konzept eine höhere Akzeptanz bei den Menschen.

Schlussendlich, so will es die besondere Form der direkten Schweizer Demokratie, wird es auf ihre Stimmen ankommen. Doch so weit ist es noch nicht. „Bevor das Volk entscheiden kann, muss die Politik aktiv werden“, sagt Käsermann. Dass es mit den Füßen – anders gesagt: mit dem Gaspedal – abstimmen wird, scheint sich in der derzeitigen Stimmung im Grenzgebiet nicht abzuzeichnen.

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