Wenn Tamara Brünker über ihren Vater spricht, nennt sie ihn „den Papa“. Am Telefon spricht sie mit fester Stimme. Sie wirkt gefasst – und das, obwohl sie und ihre Familie etwas Schreckliches durchleben mussten.

Vor zwei Jahren, am 23. Dezember 2022, ist Tamaras Vater Dirk Brünker in Villingen spurlos verschwunden. Was für seine Familie folgte, war eine 77-tägige Tortur der Ungewissheit. Dirk Brünkers Schicksal bewegte auch die Region: Bei einer von der Familie organisierten Suchaktion am zweiten Weihnachtsfeiertag 2022 kamen mehr als 400 Menschen zusammen, um nach dem vermissten Familienvater zu suchen. Erfolglos.

Erst 77 Tage später wurde Dirk Brünker gefunden. Er wurde nur 61 Jahre alt. Eine Frage quält die Familie noch immer: Was ist mit ihm an jenem Abend wirklich passiert?

Erst auf dem Friedhof wird es real

Eine Woche später, und er wäre in Rente gewesen, sagt Tochter Tamara Brünker im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Die Wunden, die Brünkers Verschwinden und Tod hinterlassen haben, sind immer noch frisch.

„Je mehr Zeit vergeht, desto mehr wundert man sich, wie man das alles überstanden hat“, sagt Tamara Brünker. „Man kann gar nicht glauben, dass einem das passiert ist.“ Erst auf dem Friedhof werde es real, „da steht sein Name“, sagt sie.

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Tamara Brünker erinnert sich noch gut an die Ereignisse vor zwei Jahren. Als sie von ihrer Mutter am Vormittag des 24. Dezembers 2022 darüber informiert wurde, dass ihr Vater nicht nach Hause gekommen war, wusste sie „sofort, dass etwas Schlimmes“ passiert ist. „Das war einfach nicht typisch für Papa.“

Dirk Brünker war Fußballer, eine Profikarriere scheiterte an einer Verletzung. Sein Sohn Kai Brünker steht aktuell beim Drittligisten 1. FC Saarbrücken unter Vertrag, mit dem er es 2024 ins DFB-Pokal-Halbfinale schaffte.

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Dirk Brünkers Verschwinden wirft Fragen auf

Noch immer lässt der Abend des 23. Dezembers 2022 der Familie keine Ruhe. „Wenn ich im Moment an den Papa denke, dann denke ich nicht direkt an ihn“, sagt Tamara Brünker. „Ich denke nicht darüber nach, wann ich ihn das letzte Mal gesehen habe oder wann er meine Kinder das letzte Mal gesehen hat. Ich denke nur daran, was ihm passiert ist.“

Denn das Geschehene verarbeiten, das konnte die Familie noch nicht. Ungeklärte Fragen und Zweifel plagen die Angehörigen, und sie machen der Polizei Vorwürfe: Diese habe der Familie zugesichert, nach Abschluss des Verfahrens vollständige Einsicht in Dirk Brünkers Akte zu bekommen, was bisher nicht passiert sei. Lediglich „zusammenhanglose Aktenfragmente“ hätten sie zu sehen bekommen, die lückenhaft wirken. Den Rest habe man der Familie bisher verwehrt.

Am 21. März 2023 fand in Villingen die Trauerfeier für Dirk Brünker statt – das ist nun fast zwei Jahre her.
Am 21. März 2023 fand in Villingen die Trauerfeier für Dirk Brünker statt – das ist nun fast zwei Jahre her. | Bild: Andreas Block

Zur Begründung habe die Polizei der Familie gesagt, dass sich die „Geheimhaltungsbedürftigkeit“ der vermissten Akten darauf berufe, dass diese Rückschlüsse zulassen würden auf Einsatztaktiken sowie polizeiliche Vorgehensweisen.

Die offizielle Version der Polizei wird angezweifelt

Und auch ein anderes Detail bringt die Familie zum Zweifeln. Laut den Aktenaufzeichnungen, in die die Brünkers bereits Einsicht gehabt haben sollen, wurde Dirk Brünker nach seinem Besuch im Gasthaus Ott in der Villinger Färberstraße erneut beim Irish Pub und der Justizvollzugsanstalt am Romäusring gesichtet, von wo aus er seinen Weg in die Bertholdstraße in Villingen fortgesetzt haben soll.

Am Irish Pub soll er Zeuge einer Festnahme gewesen sein und sich in diese eingemischt haben – Polizeibeamte sowie der Festgenommene sollen ihn identifiziert haben, nachdem die Fahndungsfotos von Dirk Brünker veröffentlicht worden waren.

Ein Verein will Familie Brünker unterstützen

Unterstützung hat sich die Familie bei dem Verein Recherche-Zentrum aus Berlin geholt. Dieser will den Brünkers helfen, Antworten auf ihre Fragen zu bekommen. Laut dem Recherche-Zentrum gibt es „begründete Zweifel“ an der offiziellen Version von Dirk Brünkers Verschwinden, teilt der Verein im Gespräch mit dem SÜDKURIER mit.

Nach Ansicht des Recherche-Zentrums sowie der Familie sei die Öffentlichkeit nicht ausreichend über Dirk Brünkers Sichtung bei der Festnahme nach seinem Besuch im Gasthaus Ott informiert worden – die Befürchtung sei hier, dass so wertvolle Zeugenaussagen verloren gegangen sind, die Aufschluss über Dirk Brünkers Verbleib hätten geben können.

Und auch die lückenhaften Aktenfragmente sowie das Verweigern der Herausgabe der restlichen Akten seitens der Polizei wirkten auf den Verein „als würde man etwas unter den Teppich kehren wollen“.

Man wolle aber nicht spekulieren, sagen sowohl das Recherche-Zentrum als auch Tochter Tamara Brünker. „Wir können uns einfach kein Bild von dem Abend machen“, so die Tochter des Verstorbenen. „Ich will wissen, dass er nicht gelitten hat. Das bin ich ihm schuldig. Für uns hätte er auch jeden Stein umgedreht.“ Deshalb soll nun weiter um die verbliebenen Akten gekämpft werden.

Die Polizei macht keine Angaben

Mit den Vorwürfen konfrontiert, äußert sich das Polizeipräsidium in Konstanz kurz. Eine Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft Konstanz habe laut Pressesprecher Daniel Brill ergeben, dass die Staatsanwaltschaft alle Akten zur Einsichtnahme zur Verfügung stellte.

Allerdings tat dies die Polizei nicht, wie Brill bestätigt. „Die Gründe hierfür können vielfältig sein, sind mir aber nicht bekannt.“ Da der Anwalt der Familie gegen die nicht gewährte Einsichtnahme vorgeht, spreche man von einem laufenden Verfahren. Deshalb erteilt die Polizei zum Fall Brünker keine weitere Auskunft.

Die Beerdigung war eine Erleichterung für die Familie

In der Todesanzeige von Dirk Brünker steht der 9. März 2023 als Todesdatum. Das war der Tag, an dem sein Leichnam am Ufer der Brigach in Donaueschingen von Spaziergängern entdeckt wurde.

Am Ufer der Brigach in Donaueschingen wurde Dirk Brünker am 9. März 2023 gefunden – 77 Tage, nachdem er verschwunden war.
Am Ufer der Brigach in Donaueschingen wurde Dirk Brünker am 9. März 2023 gefunden – 77 Tage, nachdem er verschwunden war. | Bild: Norbert Trippl

Es sei eine Erleichterung gewesen, dass er gefunden wurde, sagt Tamara Brünker heute. Die Familie sei dankbar, dass man ihn beerdigen konnte. „Die 77 Tage Ungewissheit haben vollkommen gereicht.“ Noch im März 2023 hat sie ihr Studium wieder aufgenommen, ihre Kinder hätten ihr Kraft gespendet. „Sie haben mir jeden Tag einen Grund gegeben, aufzustehen“, sagt Tamara Brünker.