Es ist einer der vielen kleinen Abschiede, die Gerlinde Kretschmann in den kommenden Monaten bevorstehen. Aber die gerade noch 77-Jährige, deren Miene an diesem sonnigen Junitag mit ihrer farbenfrohen Kleidung um die Wette strahlt, wirkt kein bisschen wehmütig.
Sie erzählt ihren Gästen – 32 Frauen aus allen Landesteilen, die sich ehrenamtlich seit Langem in der Chorarbeit und beim Singen mit Kindern engagieren – an diesem Dienstag im Restaurant in der Stuttgarter Wilhelma, dass sie so allmählich alle ihre Ehrenämter abgibt.
„Ich habe die Schirmherrschaften und die Aufmerksamkeit ja durch das Amt meines Mannes bekommen. Er hört ja auf, und damit endet auch meine Amtszeit“, sagt sie. „Ich mache das jetzt seit 14 Jahren. Es wird auch Zeit, die Ämter in andere, jüngere Hände zu übergeben.“

Ehrenamt ist ihr schon immer ein Anliegen
Das Ehrenamt zu würdigen, den vielen Aktiven im Land einmal persönlich Danke zu sagen, das ist Gerlinde Kretschmann ebenso wie ihrem Ehemann, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne), schon seit jeher ein Anliegen.
Zum dritten Mal lädt sie jetzt engagierte Damen beim jährlichen Ehrenamtskaffee zu einer Führung in die Stuttgarter Wilhelma ein. „Ehrenamt ist ja meistens wenig Ehre und viel Amt“, sagt sie.
„Es isch jetzt gut“
Es ist die letzte dieser Art der Ehrenamts-Würdigung. Nach der Landtagswahl 2026 wird Baden-Württemberg einen neuen Ministerpräsidenten haben, wohl wieder einen Mann, und wohl eine neue First Lady an dessen Seite, an die dann Begehrlichkeiten und Schirmherrschaften herangetragen werden.
Irgendwann, sagt Gerlinde Kretschmann, die als frühere Lehrerin schon über zehn Jahre in Pension ist, könne sie ja auch mal in Rente gehen. „Es war alles wichtig und richtig. Aber ich habe schon das Gefühl: Es isch jetzt gut.“
Gesundheitlich hatte Kretschmann einige Probleme
Ohnehin hatte Gerlinde Kretschmann zuletzt privat einige Päckchen zu tragen. Anfang 2021 schockte die Nachricht von ihrer Brustkrebserkrankung mitten in der heißen Phase des Landtagswahlkampfs die Öffentlichkeit, Grünen-Spitzenkandidat Winfried Kretschmann zog sich damals einige Wochen zurück, um seiner Frau beizustehen. Der Krebs wurde besiegt, Gerlinde Kretschmann kehrte allmählich zu öffentlichen Auftritten zurück.
Kurz nach Weihnachten 2024 aber, bei einer Feier im Familienkreis, stolperte sie über eine Bodenschwelle und brach sich die Schulter. Sie musste operiert werden, trägt eine Metallplatte im Oberarm. Sechs Wochen musste sie zu Jahresbeginn den linken Arm in Schiene und Schlinge tragen, zugleich muckte auch das linke Knie, keine einfache Zeit, berichtet sie.
Sie habe sich nicht allein an- und ausziehen können, konnte kaum noch etwas selbst erledigen, brauchte Unterstützung, der Sozialdienst kam ins Haus nach Laiz. „Mein Mann konnte mir ja nicht die ganze Zeit helfen, er musste ja zum Schaffen“, erzählt sie.

Ihr Alter merkt sie langsam
Jetzt, ein halbes Jahr später, merkt man ihr äußerlich nichts mehr davon an. „Es ist alles gut verheilt, ich habe aber immer wieder etwas Schmerzen. Der Arzt meinte, es könne ein Jahr dauern, bis alles wieder hergestellt ist.“ Allmählich aber, räumt die 77-Jährige ein, merke sie ihr Alter.
„Ich bin in der Zeit recht kraftlos geworden. Objektiv weiß ich ja, dass ich älter werde. Aber da habe ich zum ersten Mal auch ganz subjektiv empfunden, dass ich langsam eine alte Frau bin. Aber ich will da nicht nachgeben. Ich baue jetzt meine Kräfte wieder auf und will auch wieder zum Fitnesstraining gehen.“ Auch die geliebten Wanderungen daheim rund um Sigmaringen hat sie wieder aufgenommen.
Chorproben lässt sie nie ausfallen
Was die begeisterte Sängerin aber praktisch nie ausfällen lässt: Die Chorproben und Veranstaltungen ihres Laizer Kirchenchors St. Peter und Paul, in dem sie seit 34 Jahren aktiv ist. An diesem Tag sind in der Wilhelma auch die langjährigen Chorvorständinnen Barbara Glunz und Frieda Krug dabei, die mit Gerlinde Kretschmann im Chor die Altstimme singen.
„Sie ist immer dabei, auch bei den Festen, und spielt für die Gemeinschaft eine ganz wichtige Rolle, zwischenmenschlich und sozial, sie ist einfach ein toller Mensch“, sagt Glunz.
So erinnern sich die Frauen an das Eröffnungsspiel zur Fußball-EM im Juni 2024, als der Laizer Kirchenchor zum gemeinsamen Fußballspielschauen einlud und Gerlinde Kretschmann – die einen schottischen Schwiegersohn hat – heimischen Schnaps und schottischen Whisky für alle mitbrachte, um jeweils auf deutsche oder schottische Tore anzustoßen. „Der Whisky wurde trotzdem leer, obwohl die Schotten nur ein Tor geschossen haben“, berichtet die Chor-Vorständin.
Reisen soll große Rolle spielen
Singen wird Gerlinde Kretschmann wohl weiter. Aber gibt es schon Pläne für die Zeit danach, für den Ruhestand gemeinsam mit Winfried? Reisen wird für sie wohl wieder eine größere Rolle spielen, dafür war zu wenig gemeinsame Zeit.
Ohnehin ist sie viel unterwegs, gerne auch mit einer oder mehreren ihrer vier Schwestern, von denen sie die Schwester Annette Kienle, ebenfalls begeisterte und langjährige Ehrenamtlerin und Choraktive, auch in der Wilhelma begleitet. „Es gibt keine konkreten Pläne, ich lasse das auf mich zukommen. In so einem langen Laben ist schon manches anders gekommen als geplant“, sagt Gerlinde Kretschmann. „Wenn mein Mann dann daheim ist, muss ich ja wieder kochen. Das mache ich dann auch. Und ich freue mich darauf, dass wir wieder Freundschaften pflegen können, Freunde einladen.“
50 Jahre mit Winfried verheiratet
Eines aber müsste sich von ihr aus nicht wirklich ändern. „Die vielen Veranstaltungen, zu denen mein Mann als Redner eingeladen wird, das ist schon toll. Ich bin da oft wegen meinem Mann mit, weil ich seine Reden so gut finde. Zum Beispiel jetzt an Himmelfahrt in Stuttgart bei der Bachakademie, da ist mein Mann Mitglied und er hat die Rede gehalten.“
Da kommt Gerlinde Kretschmann, die in diesem Jahr 50 Jahre mit Winfried verheiratet sein wird, regelrecht ins Schwärmen. „Das war toll. Wenn ich ihn reden höre, verliebe ich mich immer wieder aufs Neue.“ Das dürfte sich nicht ändern. Denn die eine oder andere Redeneinladung für Winfried, da ist sich Ehefrau Gerlinde sicher, wird auch 2026 noch ins Ruheständler-Haus Kretschmann flattern.