Zum ersten Mal gibt es richtig Streit in der schwarz-roten Koalition – und ausgerechnet jetzt fehlt der Kanzleramtsminister beim Koalitionsausschuss. Robin Alexander, bestens verdrahteter Hauptstadtjournalist und stellvertretender Chefredakteur der Welt unkt, dass das alles „sehr, sehr ungewöhnlich“ sei. „Kneift der Kanzleramtschef?“, fragt die Bild-Zeitung.
Am Mittwochabend herrscht Aufregung in der Berliner Journalistenblase – auch in Donaueschingen kommt etwas davon an. Dort nämlich, statt in Berlin, weilt der Kanzleramtschef Thorsten Frei an diesem Abend.
Zu Gast bei der Sparkasse
In seinem Wahlkreis, in der Stadt, der der CDU-Politiker jahrelang als Oberbürgermeister vorstand und in der er weiterhin mit seiner Familie lebt, hat die Sparkasse zu einem Event für gute Kunden eingeladen. Über 1000 Menschen haben sich am Mittwochabend in den Donauhallen eingefunden, um Thorsten Freis Ausführungen zu lauschen.
Schon vor der Bundestagswahl sei der Termin verabredet worden, so sein Büro. Nun kollidiert dieser mit dem kurzfristig angesetzten Koalitionsausschuss zum Streitthema Strompreis, das im Grunde ein Streit um die Klimapolitik ist.

Von Friedrich Merz freibekommen
In Donaueschingen also berichtet Arendt Gruben, Vorstandsvorsitzender bei Sparkasse Schwarzwald-Baar, dem amüsierten Publikum, dass der Redner von Friedrich Merz für diesen Abend freibekommen habe, die Veranstaltung somit die wohl einzige deutschlandweit sei, die mit ausdrücklicher Genehmigung des Bundeskanzlers stattfinde.
Den aufgeregten Presseanfragen aus Berlin habe man Absagen erteilt. Dass Frei trotz seiner Aufgaben in der Hauptstadt den Auftritt möglich gemacht habe, wird zu Hause wertgeschätzt: „Das zeigt deine Verlässlichkeit und Bodenständigkeit, dass du das möglich gemacht hast“, sagt Gruben.
Alles dem Wirtschaftswachstum unterordnen
„Ich hätte noch eine Terminalternative gehabt, aber garantiert keine so schöne“, scherzt der so Gelobte eingangs seiner Rede. Dann wendet er sich anderen Themen zu. Eine Stunde lang blickt Frei – ohne Manuskript – auf die Herausforderungen der Zeit und speziell der schwarz-roten Koalition, arbeitet sich vom russischen Angriffskrieg und seinen Auswirkungen auf die Sicherheit Deutschlands (“Wir sind mittendrin, ob wir wollen oder nicht“) vor zur Steuerpolitik, zur alternden Gesellschaft und den Anreizen, mit denen die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht werden soll.
Letzterer, so muss man Frei verstehen, soll im Inland alles untergeordnet werden – so wie außenpolitisch die Anforderung der Verteidigungsfähigkeit alles überlagert.
Wirtschaftswachstum hat für den 51-Jährigen oberste Priorität. „Man muss sich manchmal dafür schon entschuldigen. Aber wie will man in einer alternden, schrumpfenden Gesellschaft sonst all die Herausforderungen bezahlen?“, fragt er.
Von der maroden Infrastruktur bis zur leeren Pflegekasse – es gibt viel zu tun, und für (fast) alles wird viel Geld nötig sein. Bei allem, was die Regierung angeht, will Frei deshalb die Frage stellen: Dient es der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft?
Der Ex-Oberbürgermeister mag es pragmatisch
Auch wenn Frei nicht in Berlin dabei ist, lässt sich bei ihm in Donaueschingen heraushören, zu welchem Ergebnis der Koalitionsausschuss kommen dürfte: Die Strompreissenkung für Privatpersonen und nicht-produzierende Unternehmen ist nicht drin, es gibt nur die Entlastung bei den Netzentgelten und der Gaspreisumlage, so lautet das Ergebnis dann auch am Donnerstagmorgen.
Zu hoch wären die Kosten dafür, um den Verbraucher um ein paar Dutzend Euro im Jahr zu entlasten, entstünde eine 5-Milliarden-Euro-Lücke im Haushalt. „Wenn die beste Lösung nicht geht, kümmern wir uns um die zweitbeste“, gibt Frei in Donaueschingen die Devise aus. „Ich bin da kommunalpolitisch geprägt, das heißt total pragmatisch.“

Vertrauen in den Staat will Frei zurückgewinnen, auch indem über Bürokratieabbau nicht mehr nur geredet wird. Ein „Lieferkettensorgfaltspflichtenaufhebungsgesetz“ ist dem CDU-Mann zufolge bereits in Arbeit, ein Sammelgesetz soll vor allem Unternehmen die Arbeit erleichtern.
Gleichzeitig weist Frei darauf hin, dass das Übel des Bürokratiewahns nicht nur in Parlamenten und Amtsstuben entsteht, sondern auch aus dem Sicherheitsbedürfnis der Bürger geboren wird. „Wenn irgendetwas passiert, ist die erste Frage: Wer ist schuld?“, sagt Frei.
Für den BND rund um die Uhr erreichbar
In Konstanz und Kreuzlingen weiß man das spätestens nach dem städteübergreifenden Flohmarkt am letzten Juni-Wochenende nur zu gut: Die immer schärferen Sicherheitsauflagen führen dazu, dass Absperrungen aus Frankreich angekarrt werden müssen, weil in der Region nicht genug vorhanden sind, und so ein Flohmarkt immer teurer wird, schildert Stefan Lutz, Chefredakteur des SÜDKURIER, der gemeinsam mit Gruben das Podiumsgespräch mit Frei führt.
Ob man auf die Poller gegen mögliche Terrorakte bald wieder verzichten könne? Das will Frei, zu dessen Verantwortungsbereich der Bundesnachrichtendienst zählt, nicht zusagen: „Das ist nicht von Lust und Laune abhängig. In den vergangenen Wochen ist die Bedrohungslage nicht kleiner geworden.“
Nur vier Stunden Schlaf
Für den BND ist Frei rund um die Uhr erreichbar. Auch sonst ist der Chef des Kanzleramts gut beschäftigt. Gearbeitet wird oft bis spät in die Nacht. Zur Zeit müssten vier Stunden Schlaf genügen, bekennt Frei auf SÜDKURIER-Nachfrage.
Seine Frau Katharina und die drei Kinder waren in den Pfingstferien eine Woche bei ihm in Berlin. Viel gemeinsame Zeit aber hatten sie nicht, bedauert Frei. Über sein sonstiges Leben als Strohwitwer sagt er: „Ich arbeite, bis alles vom Schreibtisch ist. Es wartet ja niemand auf mich.“

„In diesem Beruf ist immer irgendwas“
An Elan hat der Donaueschinger aber nichts eingebüßt in den ersten zwei Monaten Amtszeit. Die Herausforderungen im Umgang mit Donald Trump scheinen ihn nicht zu schrecken. Wie groß die Nervosität im Kanzleramt vor dem Antrittsbesuch von Friedrich Merz beim US-Präsidenten gewesen sei, wird er gefragt. „Im Kanzleramt herrschte schon Nervosität, das stimmt. Aber nicht bei mir!“
Merz habe zwar keine Regierungserfahrung, aber mit seinen langjährigen geschäftlichen Kontakten in den USA „wäre niemand in Deutschland besser geeignet gewesen, Donald Trump gegenüberzusitzen“, findet Frei.
„Ich fühl mich wie bei Markus Lanz“
Wenn Frei nicht im Kanzleramt arbeitet, sieht man ihn im Zweifelsfall in politischen Talkshows. „Ich fühl mich wie bei Markus Lanz“, sagt Frei über die Sessel auf dem Podium. Auch dort wisse er nie, wohin mit den Armen. Dort wie auf dem Podium bleibt der 51-Jährige immer ruhig, auch wenn‘s heikel wird.
Wie gelingt ihm das? „Training und Disziplin.“ Aus der Haut zu fahren, ist für ihn ein Zeichen mangelnder Souveränität. Außerdem: „In diesem Beruf ist immer irgendwas. Da müssen Sie eine gewisse Gelassenheit haben, sonst gehen Sie daran zugrunde.“
Am Donnerstagmorgen ging der Flieger in aller Frühe zurück nach Berlin. Vom verpassten Koalitionsausschuss ist da schon keine Rede mehr.