Selten war die Ankündigung eines Ministeriums so weit von der Wirklichkeit entfernt. „Erste Terminvergaben sind ab sofort möglich“, heißt es auf der Startseite des Sozialministeriums des Landes, das für einen gerechten und zügigen Impfablauf sorgen soll.

Doch was ältere Menschen in diesen diesen Tagen erleben, entspricht dem glatten Gegenteil: Sie verbringen halbe Tage in der Warteschleife des Callcenters (500 Mitarbeiter), das vom Ministerium mit der Terminvergabe beauftragt wurde (116 117). Oder sie haben sich weit entfernt von ihrem Wohnort mühsam ein Zeitfenster ergattert und sind pro Impfung einen ganzen Tag unterwegs. Es läuft nicht gut in den ersten Tagen.

Zwei Senioren, 1200 Kilometer

Zum Beispiel Wolfgang Neher und seine Frau. Das Ehepaar aus Bodman-Ludwigshafen (beide 83) sind „im Internet gut bewandert“, wie Neher an den SÜDKURIER mailt. Er lässt sich also nicht auf die Bank der internetfremden Senioren schieben.

Sein Problem war, dass es kaum mehr offene Plätze gibt. Inzwischen konnte er je zwei Termine für sich und seine Frau ergattern, einmal in Stuttgart und einmal in Ulm. „Wir werden 4 Tage unterwegs sein und insgesamt 1200 Kilometer fahren“, hat der Senior ausgerechnet. Das wird er tun, Hauptsache Spritze.

Bei ihr kommt die Impfung ins Haus: Bewohnerin Ella Holdenried (Straßberg, Zollernalbkreis) wird von einer Medizinstudentin gegen das ...
Bei ihr kommt die Impfung ins Haus: Bewohnerin Ella Holdenried (Straßberg, Zollernalbkreis) wird von einer Medizinstudentin gegen das Coronavirus geimpft. | Bild: Felix Kästle

Auch Achim Hermann aus Hilzingen (Hegau) versteht die Vorgehensweise nicht. Er wollte lediglich für seine Mutter (82) einen Termin buchen und erhielt die häufige Antwort: „Rufen Sie doch morgen wieder an.“ Seine Eindrücke fasst er so zusammen: „Die Leute werden mit der Zeit impfmüde und lassen es dann bleiben.“

Alles ausgebucht, und jetzt?

Wer bereit ist und ein Zentrales Impfzentrum (ZIZ) ansteuert, kann mit Glück einen Termin ergattern. Dafür legt er einige hundert Kilometer zurück. Wer sich auf ein Kommunales Zentrum (KIZ) in seinem Landkreis verlässt, ist im Moment schlecht bedient. Denn die KIZ legen erst am 15. Januar los, und das auch nur in der Theorie.

Auf der Homepage des Landkreises Waldshut heißt es dazu in dürren Worten: „Es gibt keine Möglichkeiten zur Anmeldung. Es werden keine Wartelisten geführt.“ In einer Pressemitteilung informierte der Kreis Ende Dezember, dass Termine erst dann vereinbart werden können, wenn die Impfstoffe angeliefert worden sind – das soll am 15. Januar der Fall sein. Gleichzeitig stellte der Kreis damit klar, dass sein KIZ erst am 19. Januar den Betrieb aufnimmt.

Termin erst, wenn Impfstoffmenge feststeht

Ähnlich klingt es von der zuständigen Behörde im Schwarzwald-Baar-Kreis: „Das Landratsamt kann keine Termine vereinbaren.“ Auch hier setzt man die Möglichkeit der Terminvereinbarung mit der Impfstofflieferung in Verbindung, ermöglicht sie aber immerhin einen Schritt früher als im Kreis Waldshut. Sobald die angelieferte Menge feststehe, sei eine Terminvereinbarung möglich, informiert das Landratsamt, ohne ein genaues Datum zu nennen.

Das Stuttgarter Versprechen des offenen Terminkalenders trifft nicht zu. Über Singen als Standort des Impfzentrums für den Landkreis Konstanz heißt es wiederum: „Termine in Singen vorerst ausgebucht.“ Wann es die Möglichkeit zur Terminvereinbarung geben wird, bleibt unklar.

Mehr Spritzen als verfügbare Termine?

Die Erklärung des Landes dafür lautet: „Die Impftermine sind an die verfügbare Menge Impfstoffs angepasst.“ Fachleute widersprechen dieser Darstellung inzwischen.

Nach Darstellung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte Baden-Württemberg bis Anfang Januar 168.000 Impfdosen erhalten, aber erst 24.000 Menschen damit versorgt. Friedemann Taut, Facharzt für Klinische Pharmakologie aus Konstanz, versteht dieses Vorgehen nicht. In einem Brief an die Landtagsabgeordnete Nese Erikli schreibt er: „Hier wird eine lebensrettende Impfung den Menschen unseres Bundeslandes vorenthalten. Es liegen offenbar 144.000 Dosen in den Kühlschränken der Impfzentren unseres Bundeslandes. Das ist nicht hinzunehmen.“

Thorsten Frei, Bundestagsabgeordneter aus Donaueschingen: „Es sind mehr Impfdosen da, als verimpft werden.“
Thorsten Frei, Bundestagsabgeordneter aus Donaueschingen: „Es sind mehr Impfdosen da, als verimpft werden.“ | Bild: Büro Thorsten Frei MdB

Auch der CDU-Rechtspolitiker Thorsten Frei sieht die holprige Impfpraxis kritisch. Die Rede vom knappen Impfstoff hält er für eine Phantomdebatte. „Es sind mehr Impfdosen da, als verimpft werden.“ Der Bundestagsabgeordnete verweist auf Bayern und Nordrhein-Westfalen, wo eine deutlich höhere Quote von Impfungen pro 100 Einwohner erzielt wird.

Keine schlüssige Erklärung

Das zielt gegen das Landes-Sozialministerium, das federführend ist. Stand 4. Januar seien bereits 27.000 Menschen im Land geimpft worden, teilte eine Sprecherin mit. „Bis jetzt haben wir knapp 170.000 Impfdosen vom Bund erhalten“, bestätigt sie. Und: „Die Hälfte des Impfstoffs müssen wir zurückhalten für die Zweitimpfung“, heißt es. Die hohe Diskrepanz erklärt das aber nicht, selbst wenn man die zweite Dosis für die 27.000 bereits Geimpften dazurechnet. Eine weiterführende Erklärung konnte die Stuttgarter Behörde nicht liefern.

Die Verwaltung lässt alte Leute in der Hotline hängen

Auch die mühsame Terminvergabe hält nicht nur Thorsten Frei für falsch. Frei, früher OB von Donaueschingen und mit Verwaltungsdingen vertraut, wird deutlich: „Man sollte es über 80-Jährigen nicht zumuten, dass sie in Hotlines und Warteschleifen landen.“ Er favorisiert ein Anschreiben von Seiten des Amtes. „Die Verwaltung hätte die Initiative ergreifen müssen“, sagt er.

Damit dürfte er auch Elisabeth Wilkens aus dem Herz sprechen. Die Seniorin gibt der Stadtverwaltung Konstanz folgende Sätze mit ins neue Jahr: „Schreiben Sie in einem Brief mit Rückumschlag alle über 80-jährigen Mitbürger an und geben sie denen, die keine Möglichkeit haben, privat an einen Impftermin zu kommen, die Gelegenheit, sich bei der Stadt Konstanz zu melden, damit hier bei der Vergabe des Impftermins geholfen wird.“