Streuobstwiesen, hübsch hergerichtete Häuschen, nach dem Regenguss taucht die Abendsonne die Landschaft in goldenes Licht, immer wieder blitzt bei der Fahrt nach Gaienhofen der blaue See durch. Sehnsuchtsort tausender Touristen, Wohnort von Künstlern und Leuten, die es sich leisten können. Und bald auch Standort von mehreren Windkraftanlagen?
Ausgerechnet hier, auf der Halbinsel Höri, hat das Land einen möglichen Standort für Windräder ausgewiesen. Es wären die ersten am Bodensee, wenn sie denn kommen, und danach sieht es aus. Auf dem Schiener Berg bläst es laut Windatlas des Landes ausreichend, auf 190 bis 250 Watt pro Quadratmeter kommt dort die sogenannte mittlere gekappte Windleistungsdichte 160 Meter über Grund – das macht den Ort zu einem wirtschaftlich geeigneten Standort.
Weithin sichtbar am Bodensee
Theoretisch zumindest, praktisch könnte es auch anders sein, erklärt Andre Baumann, Staatssekretär im Umweltministerium des Landes, dem interessierten Publikum im Johanneshaus in Gaienhofen-Horn. Nur etwa 50 sind gekommen, vielleicht ist noch nicht allen die Brisanz des Themas klargeworden, dass sich auf dem Schiener Berg, der sich hinter Gaienhofen erhebt, bald weithin sichtbar Rotoren drehen könnten.
Eingeladen hat zu diesem Austausch die grüne Landtagsabgeordnete des Wahlkreises Konstanz, Nese Erikli. Sie hat zu dem Thema ein ganz klare Meinung. „Wir haben echt ein Problem. Wir haben 1000 Windräder im Koalitionsvertrag stehen, aber im ersten Quartal dieses Jahres wurden nur drei gebaut“, sagt sie. Notwendig ist der Ausbau aus ihrer Sicht nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch, weil der Ukrainekrieg klar gemacht habe, dass Deutschland weg müsse von fossilen Energieträgern. „Das beginnt bei uns vor der Haustür.“
Bei uns vor der Haustür ist das entscheidende Stichwort. Die Einstellung zur einst vom ehemaligen Ministerpräsidenten Teufel als „Verspargelung der Landschaft“ gescholtenen Windkraftausbau hat sich zwar verändert, aber je näher so ein Windrad ans eigene Haus rückt, desto mehr pflegen die Bedenken zuzunehmen. Das ist auf der Höri nicht anders als anderswo.
Die Bedenken und Einwände gegen Windräder am Bodensee
Es gibt viel Zuspruch zur Windenergie bei der Veranstaltung im Johanneshaus, aber auch viele berechtigte Einwände: Was ist mit den Zufahrtsstraßen? Wie sollen da die Lkw hochkommen? Bleiben dann die Touristen weg, wenn jahrelang im Wald gebaut wird? Was ist mit den Umweltschäden, die durch die Erdverdichtung entstünden? „Und das soll eine positive Energiebilanz haben?“, sagt Wolfgang Engelmann aus Moos.
Andere hegen grundsätzlichere Bedenken: „Ich finde es unehrenhaft, dass wir die heilige Kuh Energieverbrauch nicht schlachten“, sagt eine Interessierte aus Bankholzen. Dagmar Eisenhart aus Rielasingen-Worblingen hingegen ist für den Bau, obwohl sie die Windräder wohl auch von ihrem Zuhause aus sehen könnte. „Ich bedaure sehr, dass wir den Wind bisher nicht nutzen. Die Energie ist ja da.“ Auch Andrea Dix aus Öhningen ist für die Windkraft, trotzdem befürchtet sie durch das Vorgehen des Landes verhärtete Fronten. „Wir leben hier im Paradies von Deutschland.“ Auch das Landschaftsbild sei ein zu schützender Wert.
Alles nichts Neues für Andre Baumann. Der Umweltstaatssekretär ist von Hause aus Naturschützer, vor seiner Ernennung 2008 war er Landesvorsitzender des Naturschutzbunds Nabu. In dieser Funktion hat er selbst gegen den Bau von Windrädern geklagt. Zur Zeit ist er hingegen viel im Land unterwegs, um für die Windkraft zu werben. Den Einwand mit der Landschaft trifft er überall an. „Jeder denkt, sein Landstrich ist am schönsten.“
Nur trifft es wohl auf wenige Orte so zu wie auf die Höri. Hier habe Gott die Landschaft geküsst, muss auch der Bodensee-Urlauber Baumann einräumen. Doch nützen wird dies wenig.
Das Land will schneller werden, um die im Koalitionsvertrag versprochenen 1000 Windräder auf den Weg zu bringen. Das bisher im Schnitt siebenjährige Verfahren soll in seiner Dauer halbiert werden. Um überhaupt auf eine annehmbare Zahl an Windrädern zu kommen, wurden auch die Landschaftsschutzgebiete wie der Schiener Berg für die Windkraft pauschal geöffnet.
Diese machen laut Baumann im Land immerhin 30 Prozent der Landesfläche aus. Früher waren sie tabu. Jetzt müssten die Investoren dafür sorgen, dass die naturschutzrechtlichen Vorschriften eingehalten werden.
Landschaftliche Schönheit bring keinen Nachlass
Baumann lässt an diesem Abend keinen Zweifel daran, dass das Land den Windkraftausbau forcieren wird. Es sei das ausgewiesene Ziel, zu Genehmigungen zu kommen, die Interessenten würden von 60 dafür angestellten Mitarbeitern an den Regierungspräsidien „an die Hand genommen“, damit es schnell geht. Auch für landschaftliche Schönheit gibt es keinen Nachlass, macht er klar. Jede Region müsse ihren Beitrag zu den zwei Prozent Fläche leisten, die für Windkraft ausgewiesen werden sollen, macht Baumann klar. „Wir werden sehr darauf achten, dass das auch so passiert.“ Und: „Ob es der Schiener Berg ist oder der Hegau – irgendwo müssen sie hin.“
Ob und wann es denn soweit kommt, dass sich auf dem Schiener Berg die Rotoren drehen, ist nicht ausgemacht. Zehn Investoren haben sich darum beworben, auf den 32 Hektar Staatswald Windräder bauen zu dürfen. Die Gebote liegen nun bei ForstBW in Tübingen, die Entscheidung soll „in den nächsten Wochen“ fallen, sagt Bernd Reißmüller, Referent für Windkraft beim Landesbetrieb Forst.
Das Landratsamt muss prüfen
Sind die Vertragsverhandlungen mit dem Land über die Pacht abgeschlossen, geht das Genehmigungsverfahren ans Landratsamt. Dann wird umweltrechtlich geprüft, auch der Artenschutz spielt eine Rolle, wobei auch die zuletzt abgenommen hat.
Konnten bislang ein paar Rotmilane eine Projekt zu Fall bringen, ist heute der Maßstab, dass die Rotmilan-Population landesweit gesichert sein muss. Die Chancen, solche Projekte zu stoppen, sind geringer geworden, seitdem Grün-Schwarz das Recht auf Widerspruch abgeschafft hat, auch wenn der Klageweg offen bleibt.
Der Bürgermeister ist weitgehend machtlos
Andreas Schmid ist Bürgermeister von Öhningen, auf dessen Gemarkung der künftige Windpark liegen würde. Er hat mit dem Projekt einstweilen seinen Frieden gemacht. Schon weil er, Stand heute, ohnehin nichts tun könnte, um die Windräder zu verhindern – dazu hätte die Gemeinde im Bebauungsplan vorab festlegen müssen, welche Gebiete sie bevorzugt. „Ich hoffe, wir werden irgendwann um Stellungnahme gebeten“, sagt er dem SÜDKURIER am Telefon. Wichtig ist ihm, dass das Landschaftsbild in die Abwägung einbezogen wird, das im Genehmigungsverfahren tatsächlich eine Rolle spielt.
Die Frage ist, ob Windräder tatsächlich die Ästhetik stören. Zwei, die im Johanneshaus nicht mehr zu Wort kommen, sind Bernd und Kornelia Stüben, die in Schienen-Waldheim selbst Ferienwohnungen vermieten. Was die Windräder anbelangt, sind die beiden unbesorgt: „Wir glauben nicht, dass deswegen ein Gast weniger kommt. Im Gegenteil: Vielleicht wird das mal ein touristischer Pluspunkt.“ So kann man es auch sehen.