Baden-Württemberg schaut nicht mehr auf die Inzidenz – zumindest nicht, was seine Corona-Verordnungen angeht. Dennoch beobachtet man den Anstieg der Infektionszahlen in Stuttgart mit Sorgen. Was plant die Landesregierung für die kommenden Wochen?

Wie ist die aktuelle Lage in Baden-Württemberg?

Der Trend ist deutlich: Die Infektionszahlen steigen. Gab es am Dienstag landesweit noch 1633 Neuinfektionen, waren es am Mittwoch bereits 1981 neu nachgewiesene Fälle. Für Uwe Lahl, Amtschef das baden-württembergischen Sozialministeriums, liegt der Grund für den Anstieg der Infektionszahlen auf der Hand: „Wir erleben jetzt schon einen deutlichen Sprung, die Sieben-Tage-Inzidenz ist innerhalb eines Tages von Dienstag auf Mittwoch um den Wert von 10 auf knapp 62 gestiegen. Dabei spielen die Reiserückkehrer eine wichtige Rolle. Die ersten drei Wochen Sommerferien sind jetzt rum“, sagte Lahl am Donnerstag unserer Zeitung.

Mit der Inzidenz und den damit verbundenen Warnstufen galten klare Regeln, an denen sich alle orientieren konnten. Warum wird das geändert?

Grund ist, dass immer mehr Menschen geimpft sind und Infektionen bei ihnen in der Regel nicht zu schweren Verläufen führen. Das Infektionsgeschehen, das in der Inzidenz bemessen wird, und die Gefahr für die Allgemeinheit durch Überlastung der Krankenhäuser haben sich entkoppelt. Weil Letzteres aber die rechtliche Grundlage für Einschränkungen darstellte, muss reagiert werden.

Der Bund hat daher angekündigt, die 50er-Inzidenz als Leitindikator aus dem Infektionsschutzgesetz zu streichen, der Bundestag kann dies aber frühestens am 7. September beschließen. Über die neuen möglichen Grenzwerte und Indikatoren wird derzeit intensiv zwischen Bund und Ländern diskutiert.

Was ersetzt dann die Inzidenz, wird es überall vergleichbare, klare Kriterien geben?

„Es ist ja im Moment die Frage, welcher Indikator genau ausschlaggebend ist“, sagt dazu Amtschef Lahl. „Der Bund hat einen Vorschlag vorgelegt, sich an der Hospitalisierung zu orientieren. Ich persönlich vertrete dezidiert, die Situation auf den Intensivstationen als Leitindikator zu nehmen. Da wissen wir in Baden-Württemberg aus den vergangenen Monaten sehr genau, wie viele Intensivbetten man für Covid-19-Patienten freischaufeln kann, das sind etwa 300. Wenn es mehr Covid-19-Patienten sind, kommen wir in eine schwierige Lage. Deshalb müssen wir alles daransetzen, das zu verhindern.“

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Künftig soll es nach der Vorstellung von Baden-Württemberg Schwellen- und Orientierungswerte geben, die eine Zeitlang stabil hoch liegen müssen, bevor eingegriffen wird. Eine kurzfristige Überschreitung würde nicht automatisch zu Einschränkungen führen. Bund und Länder versuchen derzeit, dies abzustimmen. Dennoch sind bundesweit verschiedene Regelungen denkbar.

Auf welcher Basis bewertet Baden-Württemberg derzeit die Lange im Südwesten?

Das Landesgesundheitsamt (LGA) nimmt täglich eine fortlaufende Risikobewertung vor, für die die Belegung der Intensivstationen mit COVID-19-Patienten als Leitwert herangezogen wird. Die 7-Tage-Inzidenz spielt dabei auch weiter eine wichtige Rolle. Ebenso berücksichtigt werden andere Faktoren, die das Infektionsgeschehen schnell verändern können, etwa die Impfquote und altersspezifische Krankenhauseinweisungen.

Was plant Baden-Württemberg derzeit?

Die Landesregierung bereitet für den Eingriffs-Fall eine entsprechende Corona-Verordnung vor, die unmittelbar in Kraft treten kann. „Unser neues Warnsystem wird auf jeden Fall zwei Stufen haben, gelb und rot. Eventuell kommt auch noch eine dritte hinzu“, erläutert Lahl den aktuellen Stand. Anfang der nächsten Woche soll der Entwurf für die neue Corona-Verordnung in die Ressortabstimmung geben, sodass sie im Verlauf der nächsten Woche fertig ist. „Bis Mitte September können wir damit nicht warten.“

Uwe Lahl.
Uwe Lahl. | Bild: Cuko, Katy

Wird es dann noch unterschiedliche Regeln in den Stadt- und Landkreisen geben, wenn die Warnstufen im Land überschritten werden?

Nein. Die Regelungen werden dann in ganz Baden-Württemberg gelten und nicht mehr nur in bestimmten Stadt- und Landkreisen, wie dies bei der Überschreitung der Inzidenz vor Ort der Fall war.

Was heißt das konkret für die Menschen?

Die neue Verordnung wird laut Sozialministerium insbesondere Restriktionen für Ungeimpfte beinhalten, da das Infektionsgeschehen und die damit verbundene Auslastung der Intensivstationen maßgeblich durch diese Gruppe bestimmt werde. „Alles, was wir machen müssen, ist heikel, weil es nur eine Gruppe betrifft – die rund 30 Prozent ungeimpften Personen“, sagt Lahl dazu. „Aber wenn man die Hospitalisierung betrachtet, gehören laut RKI 90 Prozent aller Fälle zu dieser Gruppe, bei den schweren Verläufen sind es sogar 95 Prozent.“

Diese Größenordnung sei auf Baden-Württemberg übertragbar. Nach bisherigen Überlegungen werde es in der ersten Stufe für Ungeimpfte vermutlich private Kontaktbeschränkungen geben sowie den Umstieg von 3-G-Regeln auf 2-G-Regeln für Restaurants, Clubs, Konzerte. „Und wenn wir eine rote Warnstufe haben, wird man noch stärker eingreifen müssen. Es kann sein, dass es schon Mitte oder Ende September an diesem Punkt sind“, sagt Lahl.