Markus Schattmaier – besser bekannt als Mica oder Mica One – führt die Tätowiermaschine über Benjamin Helbigs Haut, fein säuberlich entstehen präzise Linien. Das Schwarz, das er dabei unter die Haut bringt, wird er nicht mehr oft verwenden. Ab 4. Januar 2022 ist dessen Einsatz nicht mehr legal. „Viele unserer Kunden haben die Tragweite des EU-weiten Verbots nicht erfasst. Es ist auch viel zu abstrakt, was man dazu hört“, sagt Schattmaier. Dass irgendwelche Zusatzstoffe in Farben verboten werden sollten, das höre sich sehr weit weg an. Dabei bedeute es einen massiven Einschnitt für die Branche. „100 Prozent der Farben, die wir hier bei uns aktuell benutzen, fallen weg“, erklärt er für den Weingartener Tattooshop „Blackrainbowtattoo“.

Einen Schwarzton eines bisher nicht in ihrem Studio genutzten Herstellers haben er und seine Kollegen nun bestellt. „Die Farbe wird weiterhin erlaubt bleiben“, erklärt Schattmaier dazu. Allerdings seien sie das Arbeiten mit diesem Schwarz nicht gewöhnt und es fehlten Alternativen: Für Flächen seien andere Eigenschaften gefragt als für feine Linien. „Wir fangen quasi bei Null an“, so Schattmaier. Bisher sei unklar, wann tatsächlich bunte Farben ohne die verbotenen Zusatzstoffe fertig entwickelt sein würden: „Die meisten Hersteller sitzen in den USA, die interessieren sich herzlich wenig für die Regeln der EU. Ich hoffe, sie reagieren, wenn sie merken, dass ihnen hier der komplette Markt wegbricht.“
Doch selbst dann wird dem Tätowierer zufolge Geduld gefragt sein. Letztlich wisse man erst nach zehn Jahren, wie gut eine Tattoofarbe tatsächlich sei; die Haltbarkeit auf beziehungsweise unter der Haut und ihr Verhalten im Heilungsprozess spielten hier eine große Rolle.
Jasmin Haug: Tattoos zwischen Memo und Kunst
Die Weingartenerin Jasmin Haug hat mit einem Wolfstattoo auf ihrer Schulter ihren Weg zum Tätowieren gefunden. Der helle und dunkle Wolf innerhalb der Wolfsfigur stellen eine Erinnerung dar: „Man sagt ja, dass wir alle diese beide Wölfe in uns tragen und entscheidend ist, welchen davon wir mehr füttern.“ An ihren Beinen hat sie dagegen Tattoos, deren Motive allein genommen keine Bedeutung für sie haben: „Die betrachte ich als Kunst.“ Einen gemeinsamen Effekt hätten allerdings alle Tätowierungen auf ihren Körper: „Ich mag die Stellen meines Körpers mehr, wenn sie tätowiert sind.“
Dass nun EU-weit die Mehrheit aller Tattoofarben verboten werde, stelle für sie durchaus ein Problem dar. Die Werke haben einen speziellen Schwarzton und zarte gezielt eingesetzte Farben an einzelnen Stellen. Bei einem möglichen Nachstechen oder einem ergänzenden Motiv käme es hier auf feine Nuancen an. “Ich fahre jetzt in diesem Jahr extra nochmal zu meiner Tätowiererin ins Saarland, damit meine Beine so weit fertig tätowiert sind, dass ich ein bis eineinhalb Jahre Pause machen kann“, schildert sie. Denn sie wolle nicht die Erste sein, die die auf der neuen Gesetzgebung basierenden Farben an sich ausprobieren lasse: “Man weiß ja noch gar nicht, wie gut die letztlich halten.“
Sandra Herkommer: Körperkunst zur Selbstliebe
Das Argument der Haltbarkeit führt auch Sandra Herkommer an: Es sei möglich, dass neue Farben schlechter von der Haut aufgenommen würden, häufiger nachgestochen werden müsse, also letztlich die Schädigung für den Tätowierten am Ende größer statt kleiner sei. Die 31-jährige gebürtige Häflerin, die inzwischen in Ravensburg lebt, hat sich nach mehreren Einzeltattoos für das Gesamtkonzept eines so genannten „Bodysuits“ entschieden.

„Ich habe dadurch, dass ich an meine Grenzen gehe beim Tätowieren, viel über meinen Körper gelernt“, sagt sie und bezeichnet den schnellen Heilungsprozess als “Wunder“. Zudem habe sie durch die Farbe auch Körperteile lieben gelernt, mit denen sie sich zuvor nicht wohlgefühlt habe.
Seit drei Jahren wird dieses Gesamtbild nun ergänzt, immer vom selben Künstler mit dem selben Schwarzton, damit alles perfekt zusammenpasst. Zur Komplettierung fehlen nun noch der Bereich ihres unteren Rückens, ihr Po sowie auf einer Seite die Rückseite ihres Oberschenkels. „Ich mache mir wirklich Sorgen, wie das mit anderen Farben weitergehen soll“, sagt sie. Auch das Nachstechen einer der Flächen, die ein paar verblasste Stellen aufweise, sei nun schwierig. Auch bezweifelt sie den Nutzen des Verbots: Es sei nicht nachgewiesen, dass die Zusatzstoffe wirklich Krebs erregen und andere nachgewiesenermaßen krebserregende Stoffe seien noch erlaubt. „Vielen Umweltgiften sind wir auch einfach ausgesetzt. Fürs Tätowieren hingegen entscheidet man sich bewusst.“
Dominik Hoffmann: Seine Tattoos markieren Erfahrungen
Dominik Hoffmann hat bisher keine Tätowierung am Körper, die nicht bunt ist. Das wird sich allerdings nun ändern. „Mein aktuelles Tattoo haben wir extra so ausgearbeitet, dass es auch in Schwarzweiß wirkt“, schildert der Markdorfer. Eine Umstellung sei es allerdings für ihn, der inzwischen so viele Motive auf der Haut hat, dass er sich selbst nicht alle merken kann.

Dabei zähle für ihn weniger das Motiv an sich, die hätten keine spezielle Bedeutung. Doch das fortschreitende Gestalten seines Körpers sei Teil von ihm geworden. „Ich lasse mich immer dann tätowieren, wenn ich mich weiterentwickle. Reifer werden, das ist dabei so das Thema“, sagt Hoffmann.

Der Wegfall der Tätowierfarben bedeute für ihn einen echten Einschnitt: „Ich bin ja noch lange nicht genau der Mensch, der ich einmal sein will. Ich bin auch erst 30, da ist die Entwicklung noch lange nicht zu Ende.“ Was er an der EU-weiten Verordnung nicht verstehen kann, ist der Umstand, dass er nirgends einen Beleg dafür finden kann, dass die verbotenen Farben tatsächlich schaden: “Es geht immer um ein könnte, würde, möglicherweise. Ich verstehe nicht, wieso man da keine Studie macht und Farben, die tatsächlich schaden, ganz klar verbietet.“ Er sehe einerseits den Willen, etwas Gutes zu tun und andererseits wirke sich die Maßnahme auf den falschen Bereich aus. Übermäßiger Alkoholkonsum sowie Rauchen seien trotz nachgewiesener Schädlichkeit weiterhin erlaubt und gesellschaftlich sogar akzeptiert.