Wer sich noch nie mit Glyphosat-Vergiftung, Bienensterben, Billigmilch, prekärer Arbeit im Agrarsektor, mit Klima-Verwüstung oder Landgrabbing befasst hat, dem wird die Idee einer solidarischen Produktion in der Landwirtschaft reichlich seltsam vorkommen. Wem es vollkommen gleichgültig ist, unter welchen Bedingungen Nahrungsmittel produziert werden – Hauptsache, es ist billig – dem wird kaum einleuchten, warum es sinnvoll sein kann, mit anderen Menschen zusammen auf einem Acker zu hocken, zu hacken, Unkraut zu jäten und zu ernten.
Aber die Zeiten haben sich geändert, ein wenig zumindest. Inzwischen haben so viele Menschen die Nase voll davon, wie und mit welchen Folgekosten im konventionellen und vor allem im agrarindustriellen Bereich Nahrungsmittel erzeugt werden, dass sie es gemeinsam anders machen wollen. Sie nehmen die Produktion von Obst und Gemüse, Fleisch und Milch wieder eigenverantwortlich selbst in die Hand. Und weil vor dem Ernten die Arbeit auf dem Acker steht, erledigen sie auch das gemeinsam. Und solidarisch.
Das Modell dazu heißt „Solidarische Landwirtschaft“, kurz Solawi (siehe Infokasten). Solawis schießen derzeit buchstäblich wie Pilze aus dem Boden. Die Solawi Bodensee in Friedrichshafen-Raderach gibt es seit April 2015. Bei der Ackerführung, zu der eine Handvoll Interessierter gekommen ist, zeigt Demetergärtnerin Katrin Fieberitz, was sich alles getan hat auf dem Acker in Raderach. Gut ein Hektar groß ist das ehemalige Maisfeld, und ein Problem der konventionellen Landwirtschaft springt buchstäblich ins Auge: Dieser Acker ist ganz offensichtlich am Ende.
Wenn es länger nicht geregnet hat, ist der Boden hart wie Beton. Im Frühjahr, als vom Himmel des Guten viel zu viel kam, stand die Fläche unter Wasser. Man muss kein Profi sein, um zu erkennen, dass diese Erde nicht zum Gemüseanbau taugt.
Noch nicht. Denn Katrin Fieberitz, Vorstand und Mitglieder des Vereins „Solawi Bodensee“ arbeiten motiviert und bienenfleißig daran, das zu ändern. Es ist durchaus mühselig, aber Kathrin Fieberitz hat genaue Vorstellungen davon, wie sie aus diesem abgewirtschafteten Boden wieder eine Erde machen kann, die aromatische Ackerfrüchte, reich an Geschmack, Nähr- und Mineralstoffen und Vitaminen, hervorbringt. Die Qualität ist das eine. Dass eine Solawi ganz bewusst anders arbeitet und wirtschaftet als die Agrarindustrie, mehr noch, sich gegen das System stemmt, ist das andere. Die Produktionsstätten werden meist von Vereinen organisiert und getragen, die Vorteile des solidarischen Modells liegen auf der Hand: Weil die Kosten bereits zu Jahresbeginn ermittelt und durch die Mitgliederanteile gedeckt werden, ist der Landwirt oder Gärtner schon während des Anbauprozesses auf der sicheren Seite. Die kalkulierbaren Beiträge ermöglichen zudem Investitionen.
Ortswechsel. Hahnennest ist ein Dorf bei Ostrach im Kreis Sigmaringen. Dort gibt es den Energiepark Hahnennest, in dem sich vier landwirtschaftliche Familienbetriebe solidarisch zusammengeschlossen haben, um eine Biogasanlage zu bauen und zu betreiben. „So zu wirtschaften ist eine von vielen Möglichkeiten“, sagt Landwirt Georg Rauch, der auch Kreisverbandsvorsitzender des Badisch Landwirtschaftlichen Hauptvereins für Überlingen-Pfullendorf ist. Aber er betont, dass Werte wie Toleranz, Kommunikation und Vertrauen wichtig für erfolgreiches Wirtschaften sind. „Die Solidarität der Landwirte untereinander könnte man noch erhöhen“, wünscht er sich.
Zurück zur Ackergemeinschaft. Bei den Solawis spielen noch andere Dinge eine wichtige Rolle: „Unser Vereinszweck ist ja auch der Bildungsauftrag“, sagt Markus Hener, der den Verein in Raderach zusammen mit seiner Frau Odette Lassonczyk und der gemeinsamen Freundin Sylvia Schoch, deren Mann Gerhard den Acker in Raderach zur Verfügung stellte, gegründet hat. Es laufen Kooperationen mit Kindergärten und Schulen, die Mitglieder lernen viel darüber, wie Lebensmittel produziert werden. Außerdem bietet die Solawi ihren Mitgliedern ein Gemeinschaftserlebnis und vermittelt Selbstwirksamkeit, denn jeder soll sich entweder bei der Organisation des Vereins oder eben mit Arbeit auf dem Acker einbringen. „Wir sind Multiplikatoren dafür, wie man anders leben und sich organisieren kann“, sagt Odette Lassonczyk.
Bisher sind die Vereinsmacher mehr als zufrieden damit, wie ihre Solawi sich entwickelt hat. Sie sprechen ein bunt gemischtes Klientel vom Studenten bis zum Rentner, von der jungen Familie bis zum Akademiker an und sind so weit davon entfernt, als „grüne Spinner“ abgetan zu werden. Faszinierend findet Markus Hener auch, wie viel Vertrauen der Solawi entgegengebracht worden ist. „Wir haben keine Garantie leisten können. Jeder musste ein Risiko eingehen, ob und wie die Idee umgesetzt werden kann, wie unkalkulierbare Ereignisse gemanagt werden können. Deshalb sind alle Mitglieder auch Pioniere“, sagt er. Potenzial zur Weiterentwicklung jedenfalls ist genug da: Rund 100 Gemüseanteile sind derzeit möglich, die Ackerfläche kann noch vergrößert werden. Die Idee einer Solawi trägt in der Gegenwart und ist zukunftsfähig.
Das Prinzip
Bei der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) geben Verbraucher dem Landwirt eine Abnahmegarantie für seine Produktion und erhalten im Gegenzug Einblick und Einfluss in die Produktion, auch indem sie selbst auf dem Acker oder bei der Vermarktung mitarbeiten. Wichtige Pionierarbeit in Deutschland leistete die Gartencoop in Freiburg (siehe Interview). Aktuell gibt es deutschlandweit mindestens 108 Initiativen, weitere Gründungen stehen an. Die Solawi Bodensee, im April 2015 gegründet, hat derzeit 64 Mitglieder und versorgt 80 Haushalte. Weitere Solawis in der Region sind in Ravensburg und Salem.
„Solawi trifft den Zeitgeist“
Luciano Ibarra aus Freiburg arbeitet im Bildungsbereich und als Filmemacher. Der 44-Jährige ist Mitinitiator der Gartencoop Freiburg und im Bereich Öffentlichkeitsarbeit, Mitgliederwerbung und Logistik tätig.
Die Gartencoop Freiburg hat seit 2011 auf dem Gebiet der solidarischen Landwirtschaft Pionierarbeit in Deutschland geleistet. Inzwischen schießen Solawis buchstäblich wie Pilze aus dem Boden. Warum kommt diese Idee so gut an?
Einerseits weil sie den Zeitgeist trifft. Menschen wollen die Produktion von Nahrungsmitteln wieder selber in die Hand nehmen. Andererseits ist die ökologische Landwirtschaft in Deutschland zunehmend durch die Discounter unter Druck geraten. Alle wollen Bio haben, aber die hiesige Öko-Landwirtschaft ist nicht so konkurrenzfähig. Bioprodukte werden zunehmend importiert, und in Deutschland sterben hunderte von Biohöfen. Das EU-Biolabel sagt nichts über Transport, das verwendete Saatgut, Energieverbrauch, Arbeitsbedingungen, Saisonalität oder Bodenqualität aus. Aber genau diese Aspekte werden immer wichtiger, und Solawis stellen sie wieder mehr in den Vordergrund.
Können Solawis gesellschaftliche Veränderungen in der Fläche bewirken, oder werden sie ein Nischendasein führen?
Solawis können nur ein Teil der Lösung sein. Um eine ökologische Ernährungswende hinzubekommen, brauchen wir eine vielfältige Bewegung. In vielen Städten entstehen Solawis, urbane Gärten, regional vernetze Öko-Betriebe wie in der Regionalwert AG bei Freiburg, Äcker zum Selbsternten, Höfe, die auf Wochenmärkten verkaufen, Gemeinschaftsgärten – es entsteht viel Neues. Es geht darum, die ökologischen Höfe vor Ort mit den Konsumenten verbindlicher zu vernetzen und dem globalen Supermarkt etwas entgegen zu setzen. Die Pionierarbeit besteht darin, dass wir sagen: Lebensmittel sind keine Ware. Wir stellen die Mechanismen der Marktwirtschaft in Frage. Durch die solidarische Landwirtschaft verlieren Lebensmittel ihren Preis und gewinnen ihren Wert zurück. Solidarische Landwirtschaft lebt stark von Idealismus, das System schwimmt zurzeit täglich noch gegen den Strom. Es ist schwer, gegen die Logik der Discounter und gegen Billigbio anzukommen. Die Idee kann nur breiter Fuß fassen, wenn die Überzeugung in der Mitte der Gesellschaft ankommt, dass ökologische Landwirtschaft eine wichtige Rolle für unsere Ernährung und unsere Ökosysteme spielt.
Immer mehr Menschen kaufen Biolebensmittel. Das DE- und EU-Biolabel haben aber deutlich niedrigere Standards als zum Beispiel Anbauverbände wie Demeter oder Bioland. Billiges Bio für jeden: Bringt Sie das in Bedrängnis?
Bio im Discounter ist kontraproduktiv, denn es führt eben dazu, dass deutsche Biohöfe nicht mithalten können. Der Biobauer heute produziert nur drei Kulturen auf riesigen Flächen, oder die Produkte werden ohnehin importiert. Wer als Landwirt heute realistisch ökologisch und vielfältig anbauen will, muss sich mit einer Gemeinschaft vernetzen. Unter diesem Gesichtspunkt bereitet Billigbio eher einen Boden für Menschen, die bereit sind, sich in der solidarischen Landwirtschaft zu engagieren. Wie der Prozess weitergeht, ist im Moment unvorhersehbar. In den vergangenen fünf Jahren ist viel passiert. Hoffentlich wächst diese Bewegung!