Ein Anruf am Freitagmorgen. Der Pförtner des Dornier-Werks in Immenstaad am Bodensee ahnt noch nicht, was gleich passieren wird. Er nimmt den Telefonhörer ab und ein Unbekannter sagt: „In drei Minuten geht eine Bombe hoch!“ Der Pförtner verliert keine Zeit, informiert umgehend Polizei und Vorgesetzte. Drei Minuten später explodiert ein VW Golf auf dem Parkplatz vor dem Gebäude der Dornier-Entwicklungsabteilung. Trümmerteile fliegen einen halben Kilometer durch die Gegend, Fenster zerbersten.

Ein Wunder, dass keiner verletzt wird

Danach ist ganz Immenstaad wach. Nein, nicht nur Immenstaad, auch Efrizweiler. Ein Anwohner des Häfler Teilorts berichtet dem SÜDKURIER später, dass seine Scheiben an dem Morgen gewackelt hätten. „Ich dachte zuerst, ein Düsenjet sei direkt über uns hinweggedonnert“, wird er zitiert. Ein Düsenjet war es nicht, aber mehrere Kilogramm Sprengstoff in einer Haushaltsgasflasche am Unterboden des gestohlenen Kleinwagens. Deponiert von Anhängern der Roten Armee Fraktion (RAF).

Die SÜDKURIER-Titelseite vom Tag nach dem Anschlag.
Die SÜDKURIER-Titelseite vom Tag nach dem Anschlag. | Bild: SK-Archiv

Ein Wunder ist, dass bei dem Anschlag niemand zu Schaden kommt. Wohl auch, weil zu dem Zeitpunkt keine Mitarbeiter in dem betroffenen Gebäude sind. Nach der Explosion treffen Beamte der Häfler Polizei ein und sperren den Tatort weiträumig ab. Sie erhalten Unterstützung durch die Göppinger Bereitschaftspolizei und Beamten des Landeskriminalamts übernehmen. In der Nähe vom Tatort finden die Ermittler ein RAF-typisches Bekennerschreiben. „Wir gehen davon aus, dass hier ein direkter Bezug zur Roten Armee Fraktion vorhanden ist“, sagt Oberstaatsanwalt Uwe Schulz später.

In der Nähe der Bundesstraße 31 (heute B31-alt) beim Dornier-Werk suchen Polizeibeamte nach Resten der Explosion.
In der Nähe der Bundesstraße 31 (heute B31-alt) beim Dornier-Werk suchen Polizeibeamte nach Resten der Explosion. | Bild: Herbert Guth

Warum ist Dornier im Fadenkreuz der RAF?

Der Anschlag verändert das Sicherheitsempfinden der Menschen am Bodensee. In den Jahren zuvor ist die Region nicht Ziel der Terrorgruppe. Dass sie es auf Dornier abgesehen haben, wundert aber nicht. Damals verübt die Gruppe vorrangig Anschläge auf Unternehmen, staatliche Einrichtungen und Personen aus dem militärisch-industriellen Bereich. Dornier passt in das Feindbild der RAF: Der Konzern stellt auch Waffensysteme her.

So läuft die Fahndung in analogen Zeiten

In den Tagen nach dem Anschlag sucht die Polizei intensiv nach Hinweisen. Bei heutiger Lektüre damaliger Zeitungsartikel fällt auf: Die Polizei fordert die Bevölkerung intensiv zur Hilfe an den Ermittlungen auf. So verteilen die Beamten verteilen 30.000 Handzettel an den Seepromenaden und auf Campingplätzen. Es stellt sich heraus, dass der explodierte Golf einem Studenten gehört und Tage zuvor in Konstanz geklaut wurde.

Polizeibeamte verteilen auf einem Überlinger Campingplatz Handzettel an Besucher: Mit rund 30.000 Zetteln will die Polizei die ...
Polizeibeamte verteilen auf einem Überlinger Campingplatz Handzettel an Besucher: Mit rund 30.000 Zetteln will die Polizei die Bevölkerung auffordern, mögliche Hinweise auf den Anschlag oder die Täter zu melden. | Bild: Wagner (SK-Archiv)

Auffällig ist aus heutiger Sicht auch, dass die Polizei viele Details über laufende Ermittlungen preisgibt. So veröffentlicht sie das Kennzeichen des gestohlenen Anschlagswagens, macht Andeutungen zur Identität des (unschuldigen) Fahrzeugbesitzers, seinem Studienort, seiner Freundin und seiner Herkunft – in heutigen Zeiten der Datenschutzgrundverordnung wohl kaum denkbar.

Am Wochenende nach der Tat gehen rund 150 Hinweise ein: Die Spur führt bald nach Überlingen. Dort durchkämmen Beamten Wohngebiet und Wiesen entlang der damaligen B31 beim Krankenhaus. An der Aufkircher Straße finden sie Gegenstände, die die Terroristen aus dem gestohlenen Wagen entsorgt haben. Außerdem stellen sie fest, dass die Täter auch andere Anlagen von Dornier in Immenstaad, Langenargen und Meersburg ausgespäht haben.

Bürgerin gibt entscheidenden Hinweis

Die LKA-Fahndung führt einen Monat später zum Erfolg. Aber nicht am Bodensee, sondern in Rüsselsheim. Im August 1986 nimmt die Polizei die drei Terroristen Luitgard Hornstein, Eva Haule und Christian Kluth in einem Eiscafé fest. Eine Besucherin hatte die drei Personen erkannt und die Polizei informiert. Hornstein und Kluth werden einige Jahre später wegen Beteiligung am Anschlag in Immenstaad und anderen terroristischen Verbrechen zu neun beziehungsweise 15 Jahren Haft verurteilt.

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Kluth kann keine Beteiligung am Dornier-Anschlag nachgewiesen werden, er erhält aber eine Haftstrafe von zehn Jahren, unter anderem wegen Mitgliedschaft in der RAF. Ebenfalls am Anschlag beteiligt sind Erik Prauss und Andrea Sievering. Diese werden 1990 zu neun Jahren Haft verurteilt. Wer den Sprengsatz in den Golf einbaute und am Morgen des 25. Juli beim Dornier-Pförtner anrief, konnten die Gerichte nie abschließend klären.