Guido Stecker kennt die Züge in der Region. Sämtliche Verbindungen und Strecken ist er schon gefahren. Seit vier Jahren arbeitet der 64-Jährige als Qualitätskontrolleur. Er weiß: Im Qualitätsranking der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW) für das erste Halbjahr 2024 rangiert die Bodenseegürtelbahn auf dem vorletzten Platz. Gegenüber der erstplatzierten Verbindung mit 90.16 Punkten kommt sie auf gerade einmal 11.38 Punkte. Aber wie entsteht dieses Ranking überhaupt?

Aus leeren Küchen in volle Züge

Guido Stecker zu begleiten zeigt, hinter den so abstrakten Zahlen und Auswertungen stecken Erfahrungen. Hinter den Daten stecken Menschen. Bevor er Züge überprüft hat, war er Inneneinrichter, spezialisiert auf Küchen. Wegen kaputter Knie musste er seinen Beruf aufgeben. Er kommt aus dem Ruhrpott, inzwischen lebt er in Radolfzell.

Heute ist er einer von circa 60 Testern für das Marktforschungsinstitut Target Group mit Sitz in Dormitz bei Erlangen (Bayern). Für das Unternehmen erhebt Stecker Daten in der Schwarzwaldbahn, der Hochrheinbahn, der Klettgau-Bahn, im Seehas und eben in der Bodenseegürtelbahn.

Die Mängel können über eine Handy-App detailliert angegeben werden.
Die Mängel können über eine Handy-App detailliert angegeben werden. | Bild: Rasmus Peters

Macht Stecker Qualitätskontrollen, protokolliert er via Handy-App jeden Mangel. Alles wird fotografiert. 2670 Bilder hat er in den vergangenen zwei Jahren gemacht. An diesem Tag ist er mit Befragungen beschäftigt.

Unpünktlichkeit wird bemängelt

Nun geht der Mann mit den kaputten Knien durch den Zug, um die Einschätzung der Passagiere zu hören. Stecker fragt zum Beispiel Taran Frank. Er ist regelmäßig auf der Strecke unterwegs. Er soll sämtliche Fragen mit Schulnoten bewerten. Die Pünktlichkeit fällt schon mal durch: 5. Für die Sauberkeit der Züge vergibt er eine 2. Kriminalität oder Belästigung im Zug? „1 – noch nie passiert.“ Das Sitzplatzangebot sei nur samstags ein Problem. Die Durchsagen seien gut, auch die Sauberkeit der Bahnhöfe.

Guido Stecker befragt Taran Frank zur Qualität der Bodenseegürtelbahn. Bis auf die Zuverlässigkeit ist der 24-Jährige weitgehend zufrieden.
Guido Stecker befragt Taran Frank zur Qualität der Bodenseegürtelbahn. Bis auf die Zuverlässigkeit ist der 24-Jährige weitgehend zufrieden. | Bild: Rasmus Peters

Birgit Sonnenschein fährt jeden Tag von Salem nach Friedrichshafen, sagt sie. Auch sie ist mit der Pünktlichkeit unzufrieden und vergibt die Note 5. Das Sitzplatzangebot sei von der Uhrzeit und Jahreszeit abhängig. Außerdem: „Deutsche stehen nicht oft auf, Osteuropäer tun das viel häufiger“, sagt die 70-Jährige. Ihr Gesamturteil: „Wenn ich es bis 1980 vergleiche, ist es viel besser. Früher fuhren sechs Züge, heute jede Stunde einer.“

Kriterien vom Auftraggeber

„Die Kriterien und Bewertungsrichtlinien im Fahrzeugtest, sowie die Fragen bei der Kundenbefragung wurden uns vom Auftraggeber (NVBW) vorgegeben“, schreibt Fabio Schreiber, Projektleiter bei Marktforschungsinstitut Target. Allein in der Bodenseegürtelbahn fallen 530 Befragungen und 720 Fahrzeugtests im Jahr an. Insgesamt verarbeitet das Institut dieses Jahr 20.000 Fahrzeugtests und 18.000 Befragungen.

Fabio Schreiber, Projektleiter, Target Group.
Fabio Schreiber, Projektleiter, Target Group. | Bild: Target Group

Angstraum Bahnhof

Was die Kriminalitäts- und Belästigungsvorfälle betrifft, klaffen die Aussagen abhängig vom Geschlecht auseinander. Während Frauen überwiegend schlechte Noten vergeben, bewerten Männer die Situation gut. Eine Befragte gibt beispielsweise an, ihre Mutter sei gerade erst belästigt worden, auch sie selbst habe am Bahnhof Übergriffe erlebt. Stecker bestätigt die geschlechtsabhängige Tendenz der Angaben.

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Der 19-jährige Kimi Heckeler pendelt als Grundschullehramtsstudent regelmäßig nach Weingarten. Er sagt: „Friedrichshafen ist zur falschen Uhrzeit ein heißes Pflaster.“ Im Oktober sei er selbst schon angegangen worden. „Es gab Zeiten, da bin ich nicht gerne zum Bahnhof gegangen“, sagt er. Durch die Polizeipräsenz sei es zuletzt etwas besser geworden.

„Es gab Zeiten, da bin ich nicht gerne zum Bahnhof gegangen“, sagt Kimi Heckeler, Student.
„Es gab Zeiten, da bin ich nicht gerne zum Bahnhof gegangen“, sagt Kimi Heckeler, Student. | Bild: Rasmus Peters

Aus Geschichten werden Daten

Welche Auswirkung die Befragungen haben, kann Guido Stecker nicht beantworten. Immerhin: „Ich habe das Gefühl, die Züge sind sauberer geworden.“ Was die Bodenseegürtelbahn angeht, bestätigt er, was viele ahnen oder aus eigener Erfahrung wissen: „Es gibt viel Verspätung und verkürzte Züge“ – das Material sei nicht da, sagen die Lokführer und Zugbegleiter zu ihm.

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Er sagt aber auch: „Grundsätzlich ist hier die Welt in Ordnung. Die Züge sehen im Ruhrpott oder Berlin nochmal ganz anders aus.“ Vor allem sei es eine schöne Strecke. Der Sonnenaufgang erhellt nicht nur die Umgebung, sondern auch die Stimmung. Stecker selbst würde der Gürtelbahn übrigens wegen mangelnder Pünktlichkeit und unvorhersehbarer Auslastung Note 3 geben.