Samstagabend, Zeit zum Tanzen und Feiern. Zur Auswahl stehen ein gutes Dutzend Diskos in Friedrichshafen und naher Umgebung. Klingt wie ein Märchen? Nein, soweit geht die Zeitreise nicht. Willkommen in den 1970er-Jahren.

„In unserer Jugend gab es Friedhofshafen noch nicht“, sagt Peter Denis und lacht. Peter Denis (65 Jahre), genannt Pit, gehörte zur Clique „Sioux“. „Wir trugen Jeansjacken mit dem Schriftzug ‚Sioux‘, Schlaghosen und Plateauschuhe“, erinnert sich „Andy„, Andreas Blum (66 Jahre), und zeigt auf ein vergilbtes Foto. Ziemlich lässig hängt er da über dem Heck eines gelben Opels. Irgendein spontaner Zelturlaub mit der Clique. „Manchmal sind wir einfach spontan nach Italien gefahren“, sagt Blum. Auch Franz Rist (63 Jahre) war oft dabei.

Die Jungs holten die Mädchen ab – pünktlich um 19 Uhr

Fast jedes Wochenende verbrachten die Häfler miteinander. Die Mädchen wurden von zuhause abgeholt. „Und zwar schon um sieben nach dem Abendessen“, sagt Silvia Dietrich (60 Jahre) alias Silli. Dann ging es los: in den „Frieden“, die „Kutscherstuben“, ins „Studio B“ oder eben in den „Pferdestall“.

Manchmal geht Leben seltsame Wege: Andy Blum als junger Mann.
Manchmal geht Leben seltsame Wege: Andy Blum als junger Mann. | Bild: Wienrich, Sabine

Der Pferdestall, das war die Stammdisko der Sioux-Clique, zu der zu Hochzeiten bis zu 70 Häfler Jugendliche zählten. Die Disko im Kellergeschoss des „Seehofs„ in der Olgastraße 6, unweit der Schlossbrücke, hatte Elmar Crazzolara 1972 von seinem Chef Toni Maier, dem die „Bierbar Rotach“ und eine Konditorei gehörte, gepachtet. Mit seinen gerade mal 19 Jahren war er damals der jüngste Wirt der Stadt. Geöffnet war am Wochenende bereits Nachmittags, da gab es von 15 bis 18 Uhr Jugenddisko. Doch getanzt, gefeiert und getrunken wurde meist bis spät in die Nacht. Oder bis sich die Nachbarn oder Direktor Dr. Vierneisel der angrenzenden gynäkologischen Privatklinik (heutiges Kulturbüro) mal wieder über „lärmende Halbstarke“ beschwerten.

Heute gibt es dort Werte-Erziehung statt Zungenküsse

„Manchmal konnten wir nicht rein, wenn Hochwasser war“, sagt Pit Denis und schaut durch die Scheibe des Lokals, das vom Verein „Interkultureller Dialog Bodensee„ (Indibo) betrieben wird.

Die Clique heute: Monika Crazzolara, Andy Blum, Silvia Dietrich, Franz Rist und Peter Denis vor ihrer alten Stammdisko, dem ...
Die Clique heute: Monika Crazzolara, Andy Blum, Silvia Dietrich, Franz Rist und Peter Denis vor ihrer alten Stammdisko, dem „Pferdestall“ in der Olgastraße, angrenzend an den „Seehof“. Über einen Seiteneingang kam man nach unten in den Club, den Monikas Crazzolars Bruder Elmar als jüngster Wirt Friedrichshafens in den 1970ern führte. Heute befinden sich in dem Kellerraum die Räume des Vereins „Interkultureller Dialog Bodensee“ (Indibo). | Bild: Wienrich, Sabine

Heute gibt es dort Kurse zur „moralischen Wert-Erziehung“ und Türkisch-Seminare statt Zungenküsse und Hotpants-Partys. „Aber die Theke ist noch die gleiche, oder?“, fragt Silli. Die Clique erinnert sich: da kam man rein, links war ein Billiardtisch, rechts gab es Disko, auf der Seite des langen Schlauchs standen die Tische. Die Deko bestand aus Pferdehalftern, Satteln und Wagenrädern. Warum, weiß keiner mehr so genau.

Auf ein Bier zu Elmar, dem jüngsten Wirt der Stadt

Zu trinken gab es meistens Bier oder Whiskey-Cola, die Mädchen mochten am liebsten Bols blau mit Orangensaft. „Es kam schon mal vor, dass Elmar eine Flasche Tequila auf den Tisch gestellt hat“, sagt Andy. Manchmal hatte er auch lustige Ideen und schickte die Jungs los, um kuriose Sachen zu besorgen. Der Gewinn: eine Flasche Bier.

Von Michi Holm bis zu Deep Purple – Hauptsache tanzbar

Abends standen meist die DJs Willi Buffler, Charly Rapp und Roland Hillebrand hinterm Plattenspieler und Tonband. Es lief alles, was die Jugend damals mochte: von deutschem Schlager wie Michael Holm bis zu Britrock àla Deep Purple. „Meistens standen wir uns gegenüber in dem langen Schlauch und haben so eine Art Formation getanzt“, erklärt Silli. Auch die Jungs? „Ja, klar“, sagen die aus einem Mund, „wir hatten alle lange Haare und haben wie wild getanzt“. Headbanging würde man heute sagen.

„Ich durfte mit rein, weil mein großer Bruder aufpasste“

Mittendrin: Monika Crazzolara (58 Jahre), die jüngere Schwester von Diskowirt Elmar und mit ihren 13 Jahren das Küken im Pferdestall: „Ich durfte da nur mit rein, weil es Elmars Laden war und er unserer Mutter immer versprach, mich wieder zuhause abzuliefern.“ Andreas Blum, Andy, erinnert sich gut an das junge Mädchen: „Als ich sie zum ersten Mal sah, dachte ich: Die ist ja noch ein Kind.“ Dass „das Kind“ über 45 Jahre später mal seine Frau werden sollte, lag außerhalb seines Vorstellungsvermögens. Der coole Andy, damals ja schon 20 Jahre alt, hatte Anfang der 1970er eine andere Freundin. Wenige Jahre später gab Elmar Crazzolara den Laden auf. Wann genau, weiß keiner so recht. Elmar selbst kann man nicht mehr fragen, denn der gelernte Heizungsmonteur verstarb 2010 überraschend an einem Herzinfarkt in Thailand, wo er bis zu seinem Tod lebte. „Mein Bruder war einfach ein Lebenskünstler“, sagt seine Schwester.

Beim Cliquentreffen funkte es sofort

Manchmal geht das Leben seltsame Wege. Beim Andy und der Moni zum Beispiel. Nach der Zeit im Pferdestall sahen sich die beiden vier Jahrzehnte nicht.

Manchmal geht Leben verworrene Wege: Andy Blum und Monika Crazzolara kennen sich seit gut 45 Jahren. Das erste Mal getroffen haben sie ...
Manchmal geht Leben verworrene Wege: Andy Blum und Monika Crazzolara kennen sich seit gut 45 Jahren. Das erste Mal getroffen haben sie sich im „Pferdestall“, dann war fast 40 Jahre Funkpause. 2006 lernten sie sich bei einem Cliquen-Treffen neu kennen, verliebten sich und heirateten. | Bild: Wienrich, Sabine

Andy Blum heiratete und zog in die Schweiz. Moni Crazzolara heiratete ebenfalls, bekam Kinder. „Irgendwann kamen die ersten Beerdigungen“, erinnert sich Freundin Silvia, „und da dachten wir: es kann doch nicht sein, dass wir uns jetzt nur noch bei solchen Gelegenheiten treffen.“ Sie organisierte ein erstes Cliquentreffen. „Es kamen über 70 Leute“, sagt sie, „wir hatten eine Adressliste über fünf Din-A4-Seiten.“ Mit dabei war Moni, aber Andy nicht. Beim zweiten Treffen war es genau umgekehrt. Erst beim dritten Treffen, am 21. Oktober 2006 trafen die beiden aufeinander – und es funkte sofort. „Ich hatte Erinnerungen an eine 13-Jährige“, sagt Andreas Blum, „und dann war da diese Frau.“ Heute leben die beiden in zweiter Ehe in Immenstaad – und gehen gemeinsam zu den Cliquentreffen, die alle drei Monate stattfinden.

Damals war die Jugend einfach lauter

Dort werden dann Erinnerungen ausgetauscht. An spontane Ausflugsfahrten nach Italien mit dem Zelt, an Campingurlaube auf einer Wiese eines Bauern in Schömberg bei Rottweil, an Hotpants-Parties in verschiedenen Partykellern. Es geht um „Wer mit wem“ und manchmal auch um diejenigen, die leider nicht mehr dabei sein können. Erinnerungen an eine Zeit, in der „Friedhofshafen„ noch fern war, und die Jugend einfach etwas lauter war.