Friedrichshafen/Immenenstaad – Jeden Morgen beginnt Sara Baur ihren Unterricht in der ersten Klasse mit einem kleinen Ritual: Die Kinder dürfen die Köpfe auf die Arme legen und die Augen schließen. Zu leiser Klaviermusik "weckt" sie die ersten, indem sie ihnen die Hand auf den Arm legt. Jedes Kind berührt ein anderes, nach und nach kommen sie nach vorn in einen Kreis. Dort begrüßen sie sich und singen, ehe es an Mathe und Deutsch geht. Im Stockwerk darüber hat Konrektorin Renate Storz für die 3b erst mal Aufräumen angeordnet. Die Kinder fegen, leeren die Papierkörbe und wischen die Tafel. Nur die zehn Sternchen für gutes Benehmen lassen sie stehen. "Das machen die mittlerweile richtig gut", sagt Storz. Sie rechnet heute Pyramiden mit ihren Kindern.
Sara Baur und Renate Storz haben einen Job, der zur Zeit sehr gefragt ist: sie sind Grundschullehrerinnen in Fischbach. Rektorin Christine Waggershauser ist froh, dass sie genügend Personal hat. "Ich hoffe nur, dass sich niemand beim Wintersporttag verletzt", sagt sie. "Wenn jemand ausfällt, komme ich in Schwierigkeiten." Segen und Fluch sind die vielen Teilzeitdeputate: "Immer mehr Lehrerinnen gehen auf unterhälftige Stellen, da wird es schwierig, alle Klassenlehrerpositionen gut zu besetzen", sagt sie. Sie probiert jetzt Tandems von Teilzeitkräften. "Das geht, ist aber mit viel Mehraufwand verbunden." Dafür können sich die beiden kurzfristig vertreten.
Auch ihre Kollegen in Friedrichshafen und Immenstaad haben ausreichend Lehrkräfte. "Wir haben das Glück, einen langjährigen Stamm zu haben. Bei kleinen Einheiten ist das sehr günstig", sagt Tilo Weisner, der die Grundschule in Kluftern leitet. Kürzere Ausfälle überbrückt das Kollegium selbst. Zurzeit allerdings fällt eine Lehrerin wegen eines Wirbelbruchs auf längere Zeit aus. "Da können wir vom Schulamt nichts erwarten, der Pool für Vertretungen ist leergefegt", sagt er. Jetzt hat er zwei Klassen zusammengelegt. Auch an der Stephan-Brodmann-Schule in Immenstaad regeln die Kollegen Ausfälle intern: "Die Krankenvertretungen vom Schulamt sind relativ schnell erschöpft", sagt Rektor Burkhard Zapkau. "Es darf eben nicht Richtung Verschleiß gehen."
Stefan Meisner, Pressesprecher im Regierungspräsidium Tübingen, bestätigt das: "Wir haben im Bodenseekreis alle Stellen besetzen können, weil wir vorausschauend geplant haben. Aber es gibt wenig Reserven." Er sieht dafür drei Gründe: die Ausbildung für Grundschullehrer hat sich um ein Jahr verlängert. "Auf die Weise gab es ein Jahr ohne Abgänger, die fehlen jetzt", sagt er. Das trifft zur Unzeit auf eine Fehleinschätzung der Statistiker. "Bis vor zwei Jahren hat das statistische Landesamt sinkende Schülerzahlen vorausgesagt", sagt er – stattdessen werden es mehr, nicht nur wegen der Flüchtlingskinder. Dazu kommt die überregionale Konkurrenz. Bundesweit fehlen Lehrkräfte an Grundschulen. Wer diesen Beruf erlernt hat, kann sich die Region aussuchen: Nordrhein-Westfalen oder Sachsen, Berlin oder Hamburg – oder gleich die Schweiz, in der höhere Gehälter winken.
Diese Möglichkeit könnte vor allem für die landesweit rund 3000 befristet angestellten Lehrer interessant sein: Viele von ihnen werden zum Schuljahresbeginn eingestellt und zu Schuljahresende entlassen. Sie fungieren als Krankheits- oder Elternzeitvertretung. "Das wird es auch weiter geben, denn das Arbeitsrecht für Beamte sieht vor, dass Beamte jederzeit und auch kurzfristig wieder in ihren Beruf einsteigen können", sagt Meißner.
An der Pestalozzi-Schule in Friedrichshafen fehlen zwar keine Lehrer. "Seit dem ersten Januar haben wir sogar eine interne Vertretung, wenn jemand ausfällt", sagt Vize-Rektorin Tanja Fäßler. Aber sie hat keinen Chef. Auf die erste Ausschreibung ein halbes Jahr vor geplantem Amtsantritt bewarb sich niemand. Immerhin meldeten sich auf die zweite Ausschreibung Kandidaten, das Verfahren läuft.
Lehrermangel
In ganz Deutschland fehlen Grundschullehrer. Baden-Württemberg konnte alle Stellen zum Schuljahresbeginn besetzen. Dafür wurden Teilzeitdeputate aufgestockt und Quereinsteiger eingestellt. Lehrerinnen kehrten früher aus der Familienpause zurück, unterrichten trotz Ruhestand oder verschieben die Pensionierung. 28 Gymnasiallehrer wechselten zu den Kleinen. Wegen des hohen Bedarfs an Lehrkräften vor allem an Grundschulen richtet das Land 200 zusätzliche Studienanfängerplätze ein, davon 25 an der PH Weingarten.