Dem Medizin Campus Bodensee (MCB) geht‘s schlecht. Die Diagnose: chronischer Zuschussbedarf in Millionenhöhe. Die Ursachen für die finanzielle Misere sind bekannt. Über die Therapie wird diskutiert, sie steht noch nicht fest. Von der Zusammenlegung von Fachabteilungen bis zum Neubau eines zentralen Klinikums ist alles drin.
So in etwa lässt sich zusammenfassen, was Oberbürgermeister Andreas Brand und MCB-Geschäftsführer Jochen Wolf am Montag bei einer Pressekonferenz im Rathaus in den Raum stellten. Am Mittwoch wird der Gemeinderat detailreich ins Bild gesetzt. Der soll beschließen, noch einmal 6,6 Millionen Euro freizugeben, um die Verluste seit 2014 auszugleichen. Betriebskostenzuschüsse von 23,2 Millionen Euro für den kommunalen Klinikverbund aus den Krankenhäusern Friedrichshafen, Tettnang und Weingarten hatte der Gemeinderat bereits im Oktober genehmigt. Das bedeutet im Klartext: Rund 30 Millionen Euro aus Geldern der Zeppelin-Stiftung waren und sind nötig, um die Verluste aus dem Betrieb der drei Krankenhäuser zu finanzieren. Denn die gleichfalls miese Bilanz für 2019 weist aktuell einen prognostizierten Verlust von 10,5 Millionen Euro aus.
Angesichts dieses immensen Finanzbedarfs wundert es nicht, wenn Oberbürgermeister Andreas Brand sagt: „Wir können nicht zuwarten.“ An der Änderung der medizinischen Strategie im Dreier-Klinikverbund gehe deshalb kein Weg vorbei. Würde der MCB so weiter wirtschaften, stiege der Verlust von Jahr zu Jahr – bis auf 25 Millionen Euro 2023, erklärte Jochen Wolf die fiktive Kalkulation. In Summe wären das rund 100 Millionen Euro, die ab 2018 im Saldo entstünden, ein „ungebremster Weg nach unten“, so Wolf.
Ursachen erforscht
Angesichts dieser Zahlen steht die Frage im Raum, ob die Entscheidung richtig war, die drei Krankenhäuser unter einem Dach zu führen. Hier sind sich Wolf und Brand einig: aus damaliger Sicht ja. „Aber die Rahmenbedingungen haben sich extrem verändert“, erklärt der Klinikchef. So hat der Gesetzgeber beispielsweise in diesem Jahr eine Untergrenze fürs Pflegepersonal eingeführt, in der Unfallchirurgie etwa oder auf der Intensivstation. 2020 kommen weitere Abteilungen dazu. Der MCB würde gern mehr Fachkräfte einstellen, aber der Markt ist leer gefegt. Deshalb muss der Klinikverbund Honorarkräfte holen. Die sind 2,5 Mal teurer als Angestellte, aber immer noch besser, als höhere Strafzahlungen wegen zu wenig Pflegepersonal zu kassieren. Allein der Fachkräftemangel verschlechtere das Jahresergebnis für 2019 aus heutiger Sicht um 3,8 Millionen Euro, so Wolf.

„Wachstum hat ein Ende“
Gingen die Verantwortlichen 2013/14 noch davon aus, dass die Fallzahlen im Dreierverbund steigen, sieht die Realität heute ganz anders aus. „Das Wachstum hat ein Ende“, erklärt OB Brand und verweist auf die Entwicklung in ganz Deutschland. Beim MCB stagnieren die Fallzahlen seit 2016, über 36 000 stationär behandelte Patienten pro Jahr kommt der Klinikverbund nicht hinaus. Das heißt konkret: Seit 2016 sind die Erlöse nur um rund 3,8 Millionen Euro gestiegen, die Personalkosten aber um 10 Millionen Euro. Die zentrale Frage wird also künftig sein, wie der MCB sein Personal so einsetzt, dass der Patient gut versorgt ist und die Finanzen am Ende des Jahres trotzdem stimmen. Denn in zwei bis fünf Jahren, so erklärte es gestern OB Brand, soll der MCB bei der „schwarzen Null“ sein.
Suche nach der richtigen Therapie
Doch ein Teil der finanziellen Probleme ist hausgemacht. Um wirtschaftlich zu arbeiten, braucht es in jeder Fachabteilung von der Kardiologie über die Geburtshilfe bis zur Neurologie einen Personalstamm, um den 24-Stunden-Betrieb abzudecken. Die Kassen zahlen aber nach der Anzahl der Patienten und der Schwere ihrer Erkrankung, die auf Station behandelt werden. Rund 2300 Patienten in der Allgemeinen Chirurgie im Häfler Klinikum pro Jahr decken die Kosten. Aber diese Fachabteilung – und einige andere – gibt es auch in Weingarten und Tettnang. Und hier reichen 740 oder 900 Fälle pro Jahr eben nicht aus, weil pro Patient genauso viel Personal gebraucht wird wie in Friedrichshafen. Deshalb wird es wohl darauf hinauslaufen, dass Abteilungen hier und da zusammengelegt, Doppel- und Dreifachstrukturen abgebaut werden. „Es wird Veränderungen an den Standorten geben“, bestätigt OB Brand.
Was genau ist zu tun? „Wir haben noch keine Patentlösung“, so Brand gestern. Zwei konkrete Szenarien hätten sich nach vielen Sitzungen von Geschäftsleitung, externen Beratern und Aufsichtsrat herauskristallisiert. Die eine heißt Zentralisierung auf ein Haus, womit der Neubau eines Krankenhauses oder die Sanierung des 50 Jahre alten Häfler Klinikums gemeint wären. Für diese Variante spräche die Summe von 190 Millionen Euro, die in einer Ratsvorlage als „einmalige Ausgabe“ genannt wird, wobei das sicher nicht das Ende der Fahnenstange wäre. „Wir werden das Thema weiter beleuchten“, sagte Jochen Wolf gestern. Diese Lösung wäre am betriebswirtschaftlich am effektivsten. Aber auch für Investitionen in die bestehenden Häuser hätte man einen Bedarf von gut 100 Millionen Euro in den nächsten zehn bis 15 Jahren ausgemacht.
Partner müssen zustimmen
Die zweite Alternative nennt sich „Fokussierungsstrategie“. Auch hier heißt es: Friedrichshafen als Zentralklinikum „first“. In Tettnang und Weingarten müssten „eigenwirtschaftlich tragfähige Konzepte“ gefunden werden, so Brand. Nur mittelfristig und nicht auf Dauer dürfe die Zeppelin-Stiftung außerhalb der Stadt defizitäre Betriebe fördern. Brand deutete an, dass für die Klinik Tettnang der Bodenseekreis als Mitgesellschafter im selben Boot sitze. Bestehe der darauf, dass die Klinik fortgeführt werde, müsse der Landkreis die Verluste finanzieren. Im MCB soll sich die Klinik Tettnang auf die Chirurgie spezialisieren.
Welche Strategie – oder welche zwischen den beiden – langfristig umgesetzt wird, steht und fällt jedoch mit dem Votum des Sozialministeriums des Landes Baden-Württemberg, das allen Planungen zustimmen muss. Bis Herbst soll der Fahrplan abgestimmt sein. Nicht zuletzt wird der – neue – Gemeinderat über die Gesamtstrategie für die Zukunft des Klinikverbunds entscheiden (müssen).
Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2018 des Medizin Campus Bodensee
Mit dem Jahresabschluss für 2018 sind die ersten fünf Jahre des Medizin Campus Bodensee abgerechnet. Das Ergebnis ist ernüchternd.
- -Wie schaut der Konzernabschluss für das vergangene Jahr aus? Trotz der wirtschaftlich desolaten Lage weist die Klinikum Friedrichshafen GmbH als Eigner der Krankenhäuser in Friedrichshafen, Tettnang und Weingarten bei einer Bilanzsumme von 146,7 Millionen Euro einen Jahresüberschuss von 2,8 Millionen Euro aus. Das ist nur möglich, weil der MCB Zuschüsse von insgesamt 11,6 Millionen Euro von der Stadt Friedrichshafen überwiegend aus Mitteln der Zeppelin Stiftung erhalten hat. Ohne diese Zuschüsse hätte die drei Kliniken zusammen im vergangenen Jahr unterm Strich einen Verlust von 8,8 Millionen Euro gemacht. Der Konzernverlust wird – ohne Zuschüsse – auf 7,5 Millionen Euro beziffert.
- -Welches Ergebnis haben die drei Krankenhäuser im Klinikverbund zum Jahresende 2018 separat ausgewiesen? Das Klinikum Friedrichshafen hat – ohne Betriebskostenzuschüsse – ein Jahresdefizit von 3,6 Millionen Euro ausgewiesen. Für die 14 Nothelfer GmbH in Weingarten wird – ohne Zuschüsse – ein Fehlbetrag von ebenfalls 3,6 Millionen Euro ausgewiesen, für die Klinik Tettnang GmbH 1,2 Millionen Euro.
- -Wie viele Patienten wurden 2018 behandelt? Die Zahl der stationären Fälle sank von 35 543 Patienten im Jahr 2017 auf 35 132 Patienten im vergangenen Jahr. Die durchschnittliche Verweildauer lag bei 5,2 Tagen.
- -Wie liefen die Geschäfte des MCB? Die Erlöse stiegen um 3,3 Millionen Euro auf 185,5 Millionen Euro (2017: 182,2 Mio Euro). Allerdings stiegen die Kosten noch mehr. Für Personal wurden 99,3 Millionen Euro ausgegeben, 3,6 Mio Euro mehr als im vergangenen Jahr. Im Durchschnitt waren im vergangenen Jahr 1899 Mitarbeiter beim MCB beschäftigt. Die Zahl der Vollzeitkräfte hat sich auf 1225 Stellen erhöht. Der Materialaufwand war 3,2 Millionen Euro teuer als im Vorjahr und stieg auf 49,7 Millionen Euro.
- -Wie sieht die MCB-Bilanz nach fünf Betriebsjahren aus? Alle drei Krankenhäuser zusammen haben von 2014 bis 2018 insgesamt Verluste in Höhe von 23,9 Millionen Euro gemacht. Nur das Krankenhaus Friedrichshafen erwirtschaftete bis 2016 ein positives Jahresergebnis und kam ohne Betriebskostenzuschüsse aus. Diese Zuschüsse summieren sich für alle drei Häuser bis 2018 – den Beschluss des Gemeinderats Friedrichshafen am Mittwoch vorausgesetzt – auf insgesamt 23,6 Millionen Euro. (kck)