Corinna Raupach

"Wollt ihr es noch wilder? Wollt ihr echtes Risiko für Leib und Leben?" Die Menge tobt, der Moderator strahlt, Biker Duncan Shaw schnellt mit seinem Rad hoch und setzt millimetergenau über eine Hindernisreihe – und nachher auf einen Gerüstturm in der Ecke. Bei der "Drop and Roll Show" des schottischen Radartisten Danny McAskill und seinen Kollegen scheint Schwerkraft keine Rolle zu spielen: Sie springen über Hürden, balancieren auf einem Rad oder über Stahlstangen und stürzen sich in die Tiefe. Nebenan rasen Mountainbiker den Dreckhügel rauf und schleudern sich mit ihren Rädern in die Luft.

Beim vorerst letzten Publikumstag der Fahrradmesse Eurobike in Friedrichshafen dreht sich alle Show ums Rad. Keine Konzerte stehen mehr auf dem Programm, statt dessen waghalsige Stunts auf Rädern, Führungen zu innovativen Produkten und Dokumentationen über E-Bike-Expeditionen. Frauen lassen sich beim "Women's Special" die Unterschiede zwischen Rädern und Zubehör für Damen und Herren zeigen, Eltern bekommen Tipps zum Fahrrad-, Helm- und Hängerkauf.

Schon die ganz Kleinen sollen sich fürs Radfahren begeistern. Für sie gibt es anlässlich des 200. Geburtstags des Fahrrads eine Tombola mit 200 Gewinnen. Als erstes wird die Nummer 33 gezogen. Der fünfjährige Jonathan Gogol bekommt ein Laufrad in einer speziellen Retro-Version. Natürlich findet er das gut, ihm gefällt auch die blaue Farbe. "Aber ich habe schon so eins daheim", sagt er. "Dann freut sich halt der kleine Bruder", sagt Vater Alexander Gogol. Für Kinder ist der vordere Bereich des Innenhofs eingerichtet. Hier dürfen sie ihre eigene Buckelpiste ausprobieren, im "Nipperrace" ihr erstes Rennen auf dem Laufrad fahren und in der Bastelecke malen oder Schlüsselanhänger aus Gummischläuchen basteln.

 

So war die Eurobike 2017

  • Die Bilanz
    Knapp 65 000 Besucher wurden bei der Fahrradmesse Eurobike registriert, die am Samstag mit einem Publikumstag zu Ende ging. Neben 42 590 Fachbesuchern (2016: 42 720) kamen 22 160 Fahrradfans zum Publikumstag, wie die Messe mitteilt. Die Besucher reisten aus 101 Ländern zur weltgrößten Radmesse an den Bodensee, um sich auf dem komplett belegten Messegelände bei 1400 Ausstellern aus 50 Ländern über Radpremieren, neue Ausrüstung und künftige Dienstleistungen der globalen Fahrradbranche zu informieren. „Die Eurobike 2017 war mit einer hohen Intensität des geschäftlichen und fachlichen Austauschs ein großer Erfolg. Für viele Kunden ist sie der wichtigste Treffpunkt und eine einzigartige Möglichkeit, mit Entscheidungsträgern aus aller Welt zu sprechen“, bilanziert Klaus Wellmann, Geschäftsführer der Messe. In der Gesamtwertung erzielte die Eurobike 2017 erneut Top-Noten: Laut Befragung bewerten nach Angaben der Messe GmbH 93 Prozent der Besucher den Stellenwert der Messe als sehr wichtig und wichtig.
  • Schwerpunkt E-Bikes
    „Auf der Eurobike wurde deutlich, E-Bikes tragen maßgeblich zur Renaissance des Fahrrads bei. Immer mehr Menschen interessieren sich für dieses Fortbewegungsmittel. Die Eurobike bietet eine optimale Plattform, um diese Neuheit einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren“, erklärt Tamara Winograd, Kommunikationsleiterin bei Bosch eBike Systems. Bosch ist industrieller Marktführer. Die ZF präsentierte erstmals während der Eurobike ein Konzept-Fahrrrad mit elektrischem Antrieb. Der Häfler Automobilhersteller will spätestens 2019 gemeinsam mit Partnern E-Bikes in den Markt bringen. Den E-Antrieb der Räder will ZF bauen.
  • Eurobike 2018
    Die Messe-Organisatoren freuen sich über eine breite Zustimmung für das künftige Eurobike-Konzept, wie es in einer Mitteilung der Messe GmbH heißt. Martin Schamböck, Director Brand Management Focus Bikes, sagt dazu: „Messetermine im Juli sind grundsätzlich besser. Bei internationalen Geschäftsentwicklungen beginnt die Auftragsvergabe im Juli, eigentlich hätten die Messe-Organisatoren die Eurobike vor langer Zeit in den Juli verlegen sollen.“ Im kommenden Jahr findet die Eurobike von Sonntag, 8. Juli bis Dienstag, 10. Juli 2018 statt und "richtet sich durch die frühe Terminierung ausschließlich an das Fachpublikum", wie die Messe mitteilt. Einen Publikumstag wie in diesem Jahr wird es nicht geben. Ob es bei einer der folgenden Fahrradmesse wieder für das breite Publikum die Möglichkeit geben wird, die Neuheiten des Folgejahres begutachten zu können, ist noch völlig offen. (dim)


Vor allem aber bestaunen die 22 160 Fahrradfans Räder, mit einem, zwei oder drei Rädern, mit Motor oder ohne, mit Platz für Lasten oder Kindersitze, zum Sitzen, Liegen oder Zusammenklappen. Die Möglichkeiten sind kaum übersehbar: von City-, Cargo-, Renn- und Mountainbikes über Stahl- und Carbonrahmen bis zur Frage Hardtail oder doch hinten gefedert? All das ist in Preisklassen von 600 Euro bis fast unendlich zu haben. Viele Besucher nutzen daher die Gelegenheit, auf dem Freigelände Räder Probe zufahren, vor allem, als am Nachmittag das Wetter besser wird. Wer nichts findet, kann sich sein Rad maßanfertigen lassen. "Wir verwenden ein Baukastensystem. Sie sagen uns, wie groß Sie sind, wie lang ihre Beine und Arme sind, und wie sie fahren wollen, und wir bauen Ihnen ein Rad", sagt etwa Konstantin Henschen von der Berliner Firma "Konstructive".

Das richtige Fahrrad ist erst der Anfang: auf den richtigen Sattel kommt es an, soll Radeln auf Dauer Spaß machen. "Wenn ich länger fahre, tut es mir vorn schon weh", sagt eine Besucherin. Die Firma Ergon hat anatomisch angepasste Sättel mit einem Loch entwickelt, um empfindliche Körperteile zu schonen. "Es kommt nicht nur darauf an, wie weit die Beckenknochen auseinander liegen, sondern auch, wie die Sitzposition ist und wie lange gefahren wird," sagt Tibor Simai von SQlab. An einem nachgebauten Becken zeigt er Besuchern, wann was wo drückt – und welcher Sattel helfen könnte.

Auch ein guter Helm sollte drin sein, zum Beispiel mit "Mips". Das steht für Multi Directional Impact Protection System, soll bei Stürzen das Risiko für Gehirnschäden vermindern und wird bei vielen Marken verbaut. Natürlich sollen die Helme außerdem schick, aerodynamisch und leicht sein. Manche haben sogar eingebaute Blinker und Bremslicht. "Die Fernbedienung wird in den Griff am Lenker eingebaut und per Smartphone meldet der Helm, wenn er geladen werden muss", sagt Karen Ling von "Lumos".

Radfahren geht zudem nur ordentlich angezogen, entsprechend Stilbewussten zeigt die Modeschau die neuesten Trends: immer leichter, immer atmungsaktiver, immer bunter darf es sein. Auf Nachhaltigkeit setzt die Tettnanger Firma Vaude, etwa mit Rucksäcken aus recycelten PET-Flaschen. Auch die Limbacher Firma "Biehler" hat "grüne" Produkte, die fast komplett aus recycelten Micropolyesterfasern hergestellt ist. "Wir produzieren alles selbst, und nur auf Bestellung", sagt Patrick Ernst. Dabei nehmen sie auf längere Arme oder breitere Schultern Rücksicht. Dabei sollen die Sachen funktional sein, aber auch in jede Tasche passen. Die Regenjacke etwa wiegt nur 100 Gramm.
 

Radler wollen mehr Geld ausgeben

 

Seit 1998 gibt der Delius Klasing Verlag eine Studie zum Fahrradmarkt in Auftrag. Nach den Angaben des Verlags wurden 2017 rund 47 000 Leserinnen und Leser von Radsport-Magazinen befragt.

Neben einer weiterhin kontinuierlich wachsenden Bereitschaft, mehr Geld in neue Räder und Zubehör zu investieren, zeichne sich in der Studie auch ein verändertes Konsum- und Nutzungsverhalten der Radfahrer ab, wie der Verlag mitteilt. Die Erhebung zeige, dass immer mehr Menschen das Radfahren durch die E-Mobilität neu für sich entdecken. „Wir sehen, dass durch attraktive E-Konzepte neue Zielgruppen erschlossen werden. Menschen, die sich noch vor ein oder zwei Jahren gar nicht oder kaum mit dem Thema Fahrrad auseinandergesetzt haben, werden heute zu potenziellen Kunden“, erläutert Marktforscher Paul Färber von Market Research. Warum sich immer mehr Menschen mit dem Kauf eines neuen E-Bikes auseinandersetzen, zeigten die aktuell genannten Kaufmotive: Neben dem „Spaßfaktor“ und der Möglichkeit dank E-Unterstützung problemlos „weitere Touren meistern“ zu können, hat auch das Motiv „Autoersatz“ deutlich gewonnen. Darüber hinaus sind Argumente wie „Umwelt“ und „Gesundheit“, aber auch die „neue E-Technik“ ebenfalls ausschlaggebend für den Kauf eines neuen Fahrrads mit E-Unterstützung.

Beim Kaufort des neuen Fahrrads favorisieren die Befragten weiterhin den Fachhandel. Insbesondere im Segment der E-Bikes und E-Mountainbikes wird eine kompetente Beratung im Fachgeschäft vor Ort gesucht (E-Bike: 88 Prozent, E-Mountainbike: 86 Prozent). Doch die Studie gibt auch Hinweise darauf, dass vor allem jüngere Menschen ihre Räder auch via Internet kaufen. Gewachsen sei auch die Bereitschaft, mehr Geld für ein neues Fahrrad auszugeben. Das meiste Geld planen nach den Ergebnissen der aktuellen Studie E-Mountainbike-Fans zu investieren. Durchschnittlich sind sie bereit, rund 4135 Euro auszugeben. (dim)