Ein unscheinbares Haus in einem Gewerbegebiet von Meckenbeuren. Vom engen Treppenhaus aus führen dunkle Gänge an Holztüren vorbei. Auf einer steht: Yuri GmbH. Hier soll ein innovatives Start-up seinen Sitz haben, das den Raumfahrt-Markt aufmischen will? Schwer vorstellbar.
Doch dann öffnet Mark Kugel die Tür und auf einmal wähnt man sich in Berlin-Mitte: Ein großer heller Raum, unterteilt in Büros mit Glaswänden. Ganz am Ende steht ein langer Holztisch neben einer offenen Chromstahl-Küche und im ganzen Raum sind Sprungkästen und -böcke verteilt. In einer Ecke findet sich gar ein Trampolin mit Turnmatte. „Das konnten wir alles günstig bei einer Turnhallen-Auflösung erwerben“, erzählt Kugel.

Kugel ist CCO, „Chief Commercial Officer“, von Yuri. Er ist für Marketing, Verkauf und vor allem das Netzwerken zuständig ist. Der studierte Technologiemanager hat das Start-up im Juni 2019 gemeinsam mit Maria Birlem, Christian Bruderrek und Philipp Schulien gegründet. Die drei Weltraum-Ingenieure hatten zuvor für Airbus in Immenstaad gearbeitet und dort die Marke „Kiwi“ gegründet, unter der sie insgesamt neun Missionen zur Internationalen Raumstation ISS organisiert und begleitet haben, etwa für die Europäische Raumfahrtagentur Esa, die US-Raumfahrtbehörde Nasa und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR.

Maria Birlem wäre sogar beinahe Astronautin geworden: Die heute 37-Jährige war unter den Kandidatinnen für die Initiative „Die Astronautin“, die zum Ziel hat, die erste deutsche Frau ins Weltall zu bringen. Doch dann wurde die inzwischen bald dreifache Mutter das erste Mal schwanger und blieb vorerst auf dem Boden.
Doch wie kam es dazu, dass Maria Birlem und ihre beiden Kollegen ihre sicheren Stellen bei Airbus gekündigt und mit Mark Kugel das Start-up Yuri gegründet haben?
„Wir haben gesehen, dass sich der Markt im Bereich der Raumfahrt im erdnahen Orbit, der Erdumlaufbahn, zunehmend öffnet und dort private Unternehmen die Raumfahrtbehörden ablösen“, sagt Kugel, der in Kressbronn aufgewachsen ist und nach seinem Studium ebenfalls für Airbus und später für die MTU Friedrichshafen gearbeitet hat.
„Ausschlaggebend für die Gründung unseres eigenen Start-ups war, dass man als kleines Unternehmen auf dem privaten Markt viel agiler ist, als dies innerhalb eines großen Konzerns möglich ist“, erklärt der 29-Jährige. Er hatte bereits vor Yuri ein Start-up im Bereich „Sharing Economy“ (geteilte Nutzung, Anm. d. Red.) in München mitgegründet und später verkauft.
Und was genau bieten Kugel und seine Mitgründer mit Yuri jetzt eigentlich an?
Kurz gesagt, dreht sich bei Yuri alles um die Schwerelosigkeit: Das Team organisiert und begleitet Experimente im Bereich der Mikrogravitation, dem „Zustand annähernder Schwerelosigkeit“. „Wir planen und organisieren Missionen zur internationalen Raumstation ISS, Parabelflüge, Experimente in Falltürmen, mit Suborbital-Raketen oder mit künstlich erzeugter Schwerelosigkeit“, sagt Kugel.
Wenn beispielsweise Wissenschaftler ein Experiment auf der ISS durchführen wollen, organisiert Yuri den Flug zur internationalen Raumstation und kümmert sich um die ganzen administrativen Formalitäten. „Wir stellen auch die Hardware zur Verfügung und trainieren die Wissenschaftler im Umgang damit“, erklärt Kugel.
Mit „Hardware“ meint Kugel zum einen die Behältnisse, die beispielsweise mit Zellen gefüllt werden, an denen Experimente in der Schwerelosigkeit durchgeführt werden. Zum anderen spezielle Boxen, in denen die Behältnisse zur ISS reisen.

„Wir versuchen, fast nur automatisierte Experimente durchzuführen, bei denen es kein Zutun durch einen Astronauten braucht“, sagt Kugel. Das heißt, bei ihren ISS-Experimenten müssen die Astronauten, die mit einer Rakete hochgeschickten Boxen nur in eine Plattform stecken, wo die Experimente dann automatisch ablaufen.
Wenn möglich, werde Hardware benutzt, die bereits von anderen Unternehmen entwickelt wurde, so Kugel: „Und wenn es keine Box gibt, die für das Experiment passt, entwickeln wir eine eigene.“ Yuri bietet auch Experimente mit künstlich erzeugter Schwerelosigkeit an.
Wie das mit der künstlichen Schwerelosigkeit funktioniert, erklärt Yuri-Mitgründer Philipp Schulien im Video
Aber warum lohnt es sich denn für Wissenschaftler überhaupt, die Dienste von Yuri in Anspruch zu nehmen?
„Früher hat es von der Idee bis zur Realisierung eines Experiments in der Schwerelosigkeit zwei bis fünf Jahre gedauert, mit uns dauert es in der Regel nur sechs bis zwölf Monate“, erklärt Kugel. Bei ihnen seien die Experimente auch erschwinglicher: „Unsere günstigste ISS-Mission mit zehn mal zehn Zentimeter großen Boxen kostet rund 100 000 Euro. Bei der Nasa kostet die günstigste Mission mit rund 20 Boxen rund eine Million Euro, zwei bis drei Millionen, wenn sie die Hardware vorher noch entwickeln müssen.“
Und dieses „preiswerte“ Angebot scheint anzukommen: Yuri konnte seit ihrer Gründung im Juni 2019 bereits drei Aufträge an Land ziehen
Erst vor Kurzem waren Kugel und Co. in Australien. Mit der 2018 gegründeten Australischen Raumfahrtagentur Asa und der University of Technology aus Sydney wird Yuri im Spätsommer oder Herbst eine ISS-Mission durchführen, bei der das Verhalten von Krebszellen in der Schwerelosigkeit getestet werden soll. „Eventuell finden wir bei der Mission sogar Antworten darauf, wie Krebs besser bekämpft werden kann“ so Kugel.
Kommt ein Auftrag rein, läutet bei Yuri eine Glocke, wie Kugel im Video zeigt:
Daneben wird Yuri dieses Jahr für ein Unternehmen aus der Region auch einen Parabelflug organisieren und mit der Universität Jena Experimente mit simulierter Schwerelosigkeit durchführen. Und Kugel ist zuversichtlich, dass noch weitere Aufträge dazukommen werden, denn Schwerelosigkeit sei nicht nur für die biologische Forschung interessant: „Auch die Materialwissenschaft greift darauf zurück, um neue Hightech-Materialen zu entwickeln.“
Und warum sitzt dieses innovative Raumfahrt-Start-up in Meckenbeuren und nicht in einem Gründer-Mekka wie Berlin?
Zum einen seien sie inzwischen alle in der Region verwurzelt, sagt Kugel, der als Einziger aus dem vierköpfigen Gründerteam am Bodensee aufgewachsen ist. „Und im Grunde unterscheidet sich unsere Region in nichts von den bekannten Gründerregionen: Wir haben Universitäten in der Nähe, große, international agierende Unternehmen und das Geld ist auch da.“ Dank Unternehmen wie Airbus sei zudem auch das Thema Raumfahrt in der Region verankert. „Und schließlich ist es für uns egal, ob wir in Meckenbeuren oder Berlin sitzen, da wir global tätig und nicht auf einen lokalen Markt angewiesen sind“, sagt Kugel.