Herr Fasoulas, ist die Privatisierung der Raumfahrt ein neues Phänomen?

„Nein, das begann bereits in den 1990er Jahren. Als Schaltjahr gilt 1997/98: Seit diesem Jahr übertreffen die privaten Investitionen die staatlichen. Ein weiterer Meilenstein für die private Raumfahrt war die Gründung von SpaceX im Jahr 2002 durch den Unternehmer Elon Musk. Die Firma ist inzwischen der Weltmarktführer im Bereich der Trägerraketen.

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Ein neuer Markt, der seit einigen Jahren erschlossen wird, ist der von Dienstleistungen im Bereich der Mikrogravitationsforschung (Experimente, die in der Schwerelosigkeit durchgeführt werden, Anm. d. Red.).“

Stefanos Fasoulas, Professor für Raumtransporttechnologie.
Stefanos Fasoulas, Professor für Raumtransporttechnologie. | Bild: Institut für Raumfahrtsysteme, Universität Stuttgart

Hat in letzter Zeit ein privater Raumfahrt-Boom eingesetzt?

„Betrachtet man die Raketenstarts, dann ja. Nachdem die Anzahl Starts in den 1960er- und 1970er-Jahren stets zugelegt hatte, stagnierte sie zuerst ab den 1980er-Jahren und ging dann stetig zurück. Nach 2005 hat eine Trendwende eingesetzt und seit zwei Jahren ist bei den Raketenstarts ein Wachstum von fünf bis sieben Prozent pro Jahr festzustellen. Gab es 2005 weltweit noch 52 erfolgreiche Raketenstarts, waren es 2018 bereits 111.

Dieses Jahr gab es bereits drei Starts, 189 weitere sind geplant. In den kommenden Jahren sollen auch zigtausend neue Satelliten in die Erdumlaufbahn gelangen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie rechnet damit, dass der Markt für Raumfahrt bis 2040 um das Zehnfache wachsen wird.“

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Was für Unternehmen sind auf diesem Markt aktiv und welche Ziele haben sie?

„Zum einen gibt es die großen Unternehmen wie SpaceX oder Airbus. Aber auch neue, innovative Start-ups mischen mit. Aktuell erleben wir eine zunehmende Verschmelzung der Raumfahrt mit der Informationstechnik: Eigentlich fast alle Internetunternehmen investieren derzeit in die Raumfahrt. Laut Medienberichten hat Apple zum Beispiel eine ganze Satelliten-Abteilung aus dem Boden gestampft.“

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Aber haben da kleine Start-ups wie die Yuri GmbH aus Meckenbeuren überhaupt eine Chance, auf diesem Markt zu überleben?

„Klar haben sie die. Sie müssen nur eine Nische finden und besetzen können, die für große Unternehmen aus Investorensicht wenig attraktiv ist. Und SpaceX und Co. haben auch Interesse daran, dass die Nischen, in denen sie selbst nicht aktiv sind, durch kleine Firmen abgedeckt werden.“

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Welche Folgen hat die Privatisierung des Raumfahrt-Marktes für staatliche Raumfahrtbehörden wie die NASA oder die Europäische Weltraumorganisation ESA?

„Die zunehmende Kommerzialisierung hat für die Raumfahrtbehörden durchaus positive Folgen: Mit den nationalen Ressourcen kann so mehr gemacht werden und auch die Behörden können eigene Projekte günstiger umsetzen. Das beste Beispiel dafür ist die US-Bundesbehörde für Raumfahrt und Flugwissenschaft Nasa: Die Trägerraketen, die sie von SpaceX bezieht, wurden laut Nasa zehnmal günstiger entwickelt, als wenn die Nasa sie selbst entwickelt hätte.

Ein Grund dafür ist unter anderem, dass Firmen wie SpaceX größere Risiken eingehen können als staatliche Institutionen. Dadurch haben sie eventuell zwar zunächst mehr Misserfolge, lernen aber auch schneller dazu und können Produkte schneller entwickeln. Würden die Raumfahrtbehörden gleich hohe Risiken eingehen und es ginge dann etwas schief, würden ihnen die Mittel gekürzt werden.“

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Wie wirkt sich die zunehmende Kommerzialisierung der Raumfahrt auf die Wissenschaft aus?

„Experimente im All werden günstiger – sowohl in monetärer als auch in zeitlicher Hinsicht. Das Problem der Forschung, die auf Experimente im Weltall angewiesen ist, war in der Vergangenheit, dass es teilweise zehn bis 15 Jahre gedauert hat, bis ein Experiment durchgeführt werden konnte. Einfach auch, weil es zu wenige Raketenstarts gab.

Durch die neuen privaten Anbieter könnte dies jetzt deutlich schneller gehen. Und das ist für die Wissenschaft, aber auch für die Wirtschaft, insgesamt eine große Chance: Denn je mehr Experimente in kleineren Zeitintervallen durchgeführt werden können, desto schneller kommt es auch zu Innovationen in der Forschung.“

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Gibt es auch negative Folgen dieser Entwicklung?

„Ein großes Problem ist, dass die private Raumfahrt im Prinzip außerhalb jeglicher rechtlicher Rahmenbedingungen steht. In Deutschland beispielsweise gibt es noch nicht einmal ein Weltraumgesetz. Es herrscht eine Situation wie im Wilden Westen vor und das ist eine große Gefahr. Es gibt zwar Richtlinien der Vereinten Nationen, aber die bringen wenig, da sie gekündigt oder missachtet werden.

Es bräuchte klare, international gültige Gesetze. Diese wünschen sich auch viele Unternehmen, denn es ist beispielsweise überhaupt nicht geregelt, wer den ganzen Müll in der Erdumlaufbahn beseitigt, der durch die Raumfahrt entsteht. Oder wenn zwei Satelliten sich kreuzen: Wer hat dann Vorfahrt?“

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Und was bedeutet es, wenn große Tech-Unternehmen wie Apple zunehmend auf die Raumfahrt setzen?

„Dort stellt sich beispielsweise die Frage, ob die Zugänglichkeit zum Internet, wie wir sie bisher kennen, erhalten bleibt. Durch die zunehmende Verschmelzung von Raumfahrt und Informationstechnik wird irgendwann alles nur noch über Satelliten laufen, die Privatunternehmen wie Apple gehören. Sie können dann entscheiden, wer Zugang zum Internet hat und in welcher Form, ähnlich wie dies die Regierungen einiger Länder bereits heute tun.“