Aus dem Kuhstall dringen aufgeregte Kinderstimmen. Wie oft werden Kühe am Tag gemolken? Wie viele Liter kommen raus? Und gibt es wirklich ein Milch-Taxi, das die Milch dann abholt? Wichtige Fragen für Kinder, die Milch oft nur aus dem Tetrapak im Kühlregal kennen. Hier, bei Wolpolds auf dem Biohof in der „Schätzlesruh“, lernen sie mit ihrer Schulklasse heute, wie die Milch in die Tüte kommt. Was Kühe fressen, wie sie aussehen, riechen und wie lustig es ist, sich vom Kälbchen die Hände abschlecken zu lassen. „Wir haben uns gerade zum Lernort Bauernhof zertifizieren lassen“, sagt Ida Wolpold, ausgebildete Bauernhofpädagogin, „und führen wöchentlich Schulklassen herum.“

Doch jetzt, so scheint es, bekommen die Wolpolds möglicherweise mit dem Thema Schule ein echtes Problem. Nachlesbar in der Sitzungsvorlage Drucksache-Nr. 2020/V 00139 der Stadt Friedrichshafen zum geplanten Neubau der Albert-Merglen-Schule. Die marode Grundschule in der Heinrich-Heine-Siedlung erwartet mit Einführung der Schulbezirke zum Schuljahr 2021/2022 steigende Schülerzahlen und soll deshalb möglichst schnell zu dreizügigen Ganztagsgrundschule ausgebaut werden – in Form eines Neubaus.
Die größere Schule soll auf dem Flurstück 543 – der „Erweiterungsfläche Friedhof“, die in städtischem Besitz ist, gebaut werden. „Die Verwaltung wird beauftragt, den bestehenden Pachtvertrag zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu kündigen“, heißt es in der Beschlussvorlage, die bereits im Kultur- und Sozialausschuss diskutiert – und schließlich aufgeschoben – wurden.

Im Moment grasen auf der Wiese die Kühe von Wolpolds
Was nicht da steht: Gemeint ist ein Pachtvertrag mit Familie Wolpold, Ökobauern der beliebten Schätzelruh, der grünen Lunge der Weststadt. „Es geht hier um 2,4 Hektar Land“, sagt Simon Wolpold, der selbst für das Netzwerk für Friedrichshafen im Gemeinderat sitzt. Dort wachsen aktuell Backweizen und Kartoffeln, Streuobst. Außerdem grasen Kühe auf ihrer Futterwiese. Es ist hofnahe Fläche, also wichtig für Vollerwerbslandwirte, wie die Wolpolds es seit Generationen sind. „Das ist unsere Existenz, die nach und nach schwindet, wenn an allen Ecken und Enden ein wenig Fläche abgeknabbert wird“, erklärt Simon Wolpold.
Mit der Petition 'Schützt die Schätzlesruh!' wollen die Biobauern das nun verhindern – und erhalten großen Zuspruch aus der Häfler Bevölkerung. Bereits wenige Tage nach Veröffentlichung ist die 1000-Stimmen-Marke geknackt, davon stammen rund 900 aus Friedrichshafen.
„Die Schüler protestieren freitags für Klimaschutz und die alten weißen Herren wollen auf der grünen Wiese eine Schule bauen.“Ida Wolpold
Es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass es beim Neubau der Albert-Merglen-Schule um mehr geht als um den typischen Zielkonflikt Bodennutzung, den es mit stadtnaher Landwirtschaft immer gibt. „Die Schüler protestieren freitags für den Klimaschutz und die alten weißen Herren wollen auf der grünen Wiese eine Schule bauen“, sagt Ida Wolpold. Ihr Mann Simon nickt: „Wir plädieren dafür, den aktuellen Standort zu behalten, dort auf dem Lehrerparkplatz neu zu bauen – und dann den Altbau aufzustocken. Man kann nicht von Klimaschutz sprechen und gleichzeitig immer mehr neue Fläche versiegeln.“

Unverbaute Fläche ist wichtig für das Stadtklima
Dabei verweist Simon Wolpold auch auf die Schätzlesruh als grüne Lunge der Stadt, die für das Stadtklima wichtig ist. So heißt es auch in der Beschlussvorlage: „Hinsichtlich der stadtklimatischen Auswirkungen ist der aus den oben genannten Gründen favorisierte Standort Erweiterungsfläche Hauptfriedhof der problematischste.“ Dabei wird auf die Stadtbiotopkartierung verwiesen, bei der bereits vor vielen Jahren festgestellt wurde, dass es sich bei dem Freiraum Fallenbrunnen-Oberhofesch-Hauptfriedhof um einen „der wichtigsten noch unverbauten Freiräume in der Kernstadt Friedrichshafens handelt“.
Die Stadtklimaanalyse aus den Jahren 2018/2019 bestätigte das erneut: Das Grundstück liegt inmitten einer „wichtige Luftleitbahn, über die unbelastete und nachts kühle Frischluft aus dem Raum Raderach – Schnetzenhausen um den Fallenbrunnen in die lufthygienisch und thermal belastete Kernstadt geführt wird.“

Doch warum zieht die Stadtverwaltung trotz dieses erheblichen Nachteils eine Bebauung überhaupt in Betracht und weicht nicht gleich auf einen der sechs anderen Standorte?
Immerhin sind die negativen stadtklimatischen Auswirkungen des Standorts hinter dem Friedhof auch in der Vorlage deutlich als roter Punkt in der Matrix zur Beurteilung der Standorte markiert. „Die rote Markierung ist nicht gleichbedeutend mit einem Ausschlusskriterium“, erklärt Sprecherin Andrea Kreuzer auf Nachfrage. Es sei mitnichten so, dass die dargelegte Präferenz der Verwaltung für den Standort am Hauptfriedhof wegen der Schnelligkeit der Realisierbarkeit auf diesen Standort falle. „Insgesamt kann festgehalten werden, dass alle Standorte Vor- und Nachteile haben. Letztlich gilt es diese zu bewerten und eine Entscheidung zu treffen“, sagt Kreuzer.
Nachdem das Thema Albert-Merglen-Schule im Kultur- und Sozialausschuss diskutiert und aufgeschoben wurde, beschäftigt sich nun eine Arbeitsgruppe damit. „Ein erstes Treffen hat auch schon stattgefunden. Es ist vorgesehen, nach der Sommerpause erneut über die Albert-Merglen-Schule zu beraten“, sagt Stadtsprecherin Monika Blank.
Der SÜDKURIER hatte in einer vorigen Version berichtet, dass die Entscheidung noch vor der Sommerpause getroffen werden soll. Das ist nicht der Fall.