Klischeehaft, rassistisch, aus der Zeit gefallen: So lauteten die Vorwürfe, die es vorrangig in sozialen Netzwerken, allen voran Instagram und Twitter, gegen Bücher des Ravensburger Verlags gab. Der hatte mehrere Kinderbücher zum aktuellen Kinofilm ‚Der junge Winnetou‘ verlegt – und prompt einen riesigenShitstormerlebt. Der Verlag ruderte zurück, entschuldigte sich wegen „verharmlosender Klischees“ – und nahm die Produkte vom Markt.

Das wiederum sorgt erneut für Wirbel, denn viele werfen Ravensburger nun vor, sich der sogenannten Woke-Bewegung und einer Cancel Culture zu beugen. Doch, was sagen eigentlich die dazu, an die das Kinderbuch gerichtet war – nämlich Kinder und Jugendliche? Und wie sehen deren Eltern die aktuelle Debatte um angeblichen Rassismus und Klischees in Kinderbüchern?

Sie lesen für den SÜDKURIER in einen Winnetou-Band rein: Maria Jocham (v.l.), Fabian Hartmann (14), Alva Jocham (9) und Jasper Jocham ...
Sie lesen für den SÜDKURIER in einen Winnetou-Band rein: Maria Jocham (v.l.), Fabian Hartmann (14), Alva Jocham (9) und Jasper Jocham (11) aus Langenargen. „Ziemlich schwierige Sprache“, finden alle. | Bild: Wienrich, Sabine

Winnetou? Alva (neun Jahre) überlegt. „Einen Film hab ich schon gesehen, als wir in Kroatien im Urlaub waren“, erinnert sie sich. Ihre Mutter Maria Jocham nickt: „Ja, das war am Drehort der alten Pierre-Brice-Filme, das war schon ganz interessant.“ Und die Bücher? „Ne, die kenne ich nicht“, sagt die künftige Viertklässlerin, die jede Woche mit ihrem Bruder Jasper (elf Jahre) ins Medienhaus am See kommt. Richtige Leseratten sind sie, die Jochams aus Langenargen. Aber den Wirbel um Winnetou? Den verstehen sie nicht so recht. „Wenn alle Kinderbücher, die Klischees entsprechen, vom Markt genommen werden, gibt es doch überhaupt kein Anschauungsmaterial mehr, mit dem man den Kindern erklären kann, was früher anders war“, sagt Mutter Maria Jocham. Dabei sei es doch wichtig, Klischees und Sprache mit Kindern zu thematisieren, damit die überhaupt ein Gefühl dafür bekommen.

Lange verschachtelte Sätze, Sprache aus einem anderen Jahrhundert: Karl Mays Bücher sind für Kinder eher schwer lesbar. Doch ist ...
Lange verschachtelte Sätze, Sprache aus einem anderen Jahrhundert: Karl Mays Bücher sind für Kinder eher schwer lesbar. Doch ist Winnetou wirklich rassistisch? | Bild: Wienrich, Sabine

Für den SÜDKURIER greifen die Jochams zu einem alten Winnetou-Band. Maria Jocham beginnt vorzulesen. Lange, sperrige Sätze, verschachtelt. „Irgendwie schon aus der Zeit gefallen“, sagt sie. Jasper nickt: „Ne, das würd ich nicht lesen.“ Patenkind Fabian Hartmann (14 Jahre) hat sich zumindest durch den ersten Band gelesen: „Ich fand den ganz gut, aber den zweiten hab ich dann weggelegt.“ Indianergeschichten – die wurden von einigen Generationen geliebt. Doch heute, so meinen die Jochams, sind Hobbits, Orks, magische Tiere und Lottas spannender. Das zeigt auch ein Blick ins Bücherregal im Medienhaus: Sieben Winnetou-Bände, keiner ist abgenutzt. Ein paar Yakari-Comics, ein Sachbuch zu Indianern – das war es.

Winnetou kommt ihnen nicht in den Korb: Jule (links) und Linea (rechts) sind zwar Leseratten, stehen aber nicht auf Indianergeschichten. ...
Winnetou kommt ihnen nicht in den Korb: Jule (links) und Linea (rechts) sind zwar Leseratten, stehen aber nicht auf Indianergeschichten. Sie gehen alle zwei Wochen mit ihrer Mutter Heike Pichler in Büchereien. | Bild: Wienrich, Sabine

„Früher hab ich mal Yakari geschaut, aber Winnetou interessiert mich nicht“, sagt Jule Pichler (elf Jahre) aus Kluftern. Sie liebt aber trotzdem einen Klassiker, nämlich die „Lustigen Taschenbücher“. „Ich hätte kein Bedürfnis, mit den Kindern in den Winnetou-Film zu gehen oder die Bücher vorzulesen“, erklärt Mutter Heike Pichler, „aber ich finde es trotzdem übertrieben, diese Bücher vom Markt zu nehmen, denn das müsste man dann mit vielen tun.“ Die gelernte Buchhändlerin hat früher, als ihre beiden Töchter etwas kleiner waren, immer vorausgewählt. „Wenn ich etwas unangemessen fand oder altmodisch, habe ich es einfach nicht ausgeliehen“, sagt sie. Heute entscheiden die Kinder selbst. Winnetou kommt nicht in den Leserkorb, dafür mag insbesondere Linnea (sieben Jahre) Detektivgeschichten.

„Viele Kinderbücher kann man heute nicht mehr unreflektiert mit Kindern lesen“, findet Mona Schlüssel (rechts), die ihre ...
„Viele Kinderbücher kann man heute nicht mehr unreflektiert mit Kindern lesen“, findet Mona Schlüssel (rechts), die ihre kleinen Kindern viel vorliest. „Ich habe Pippi Langstrumpf geliebt und liebe sie heute noch, auch wenn der ‚Negerkönig‘ aus der Zeit gefallen ist“, sagt Oma Ingrid Schatz. | Bild: Wienrich, Sabine

Vor dem Ravensbuch-Laden stehen Mona Schlüssel und Ingrid Scholz aus dem Rheinland. Mona Schlüssel hat zwei kleine Kinder (anderthalb und vier Jahre) und eine klare Meinung zum Thema: „Man kann solche Bücher nicht unreflektiert mit Kindern lesen, sondern sollte ihnen den Sachverhalt erklären.“ Auch in Kleinkindbüchern wie „Bobo Siebenschläfer“ oder „Leo Lausemaus“ gebe es unendlich viele Klischees, zum Beispiel über Hausfrauenmütter, die ebenfalls aus der Zeit gefallen sei. „Was da für ein Frauen-und Mutterbild transportiert wird, ist auch haarsträubend, aber diese Bücher deshalb vom Markt zu nehmen, wäre auch nicht gut“, sagt sie. Ingrid Scholz, die Oma der Kinder, nickt: „Diese Diskussion ist richtig, aber es wäre trotzdem schade, alle Bücher, die nicht mehr in die Zeit passen, auszulöschen. Ich habe Pippi Langstrumpf geliebt und liebe sie heute noch.“

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Ähnlich sieht das auch der Buchhandler Thomas Fiedeler, Inhaber der gleichnamigen Buchhandlung in der Innenstadt. „Wir hatten die Filmbücher nicht im Sortiment, aber es ist ein fatales Signal des Ravensburger Verlags, sich einer solchen lauten Minderheit im Internet zu beugen“, sagt er. Die stille Mehrheit finde die Debatte doch übertrieben. „Man müsste die halbe Kinderbuchproduktion einstampfen, wenn man diese Kriterien anlegt“, erklärt Fiedeler und zählt auf: „Pipi Langstrumpf, der Räuber Hotzenplotz, alle Märchen.“ Karl Mays Bücher – das sei die Fiktion eines Deutschen über indianische Kultur gewesen, Winnetou eine Kunstfigur, alles erfunden. Interessiert das die jungen Leser noch? „Ne, Indianergeschichten sind kaum mehr gefragt“, sagt Fiedeler. Der Markt, er regelt offenbar manche Dinge ganz gut allein.

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