Satteltaschen, Fahrradanhänger, Kindersitz. „Da passt dann aber wirklich ein großer Einkauf rein“, sagt Sandor Spieß und lacht. Samstags macht der 34-Jährige den Großeinkauf in einem Friedrichshafener Biomarkt mit dem Fahrrad. „Ende Mai kommt unser zweiter Sohn, bis dahin wollen wir dann etwas haben, in dem wir die Babyschale sicher fixieren können“, sagt seine Frau Corinna Burger. Ein Auto? „Nein“, kommt es wie aus der Pistole geschossen, „ein Lastenrad!“ Familie Spieß lebt ohne Auto – und das soll auch mit bald zwei kleinen Kindern so bleiben.

Im Moment nutzen Corinna Burger und Sandor Spieß noch den Fahrradanhänger und den Sitz für ihren kleinen Sohn. Das Lastenrad ist aber ...
Im Moment nutzen Corinna Burger und Sandor Spieß noch den Fahrradanhänger und den Sitz für ihren kleinen Sohn. Das Lastenrad ist aber bereits bestellt, denn bald müssen zwei kleine Menschen bei Wind und Wetter transportiert werden können. | Bild: Wienrich, Sabine

Das Auto – es wurde zum teuren Klotz am Bein

Es gab auch ein Leben mit Auto. „Ich hatte das noch aus dem Studium, bin damit als Trainer einer Tischtennismannschaft im Leistungssport oft auf Turniere gefahren“, erklärt Spieß, der als Lehrer am Graf-Zeppelin-Gymnasium arbeitet. Als er nach dem Referendariat in Karlsruhe zu Corinna nach Friedrichshafen zog, stand das Auto nur noch in der Tiefgarage rum. Drei Mal ging die Batterie kaputt. „Am Ende habe ich es nur noch bewegt, weil es bewegt werden musste“, erinnert er sich.

„Es war wirklich nur noch ein teurer Klotz am Bein“, ergänzt Burger und rechnet vor: „75 Euro für den Stellplatz, dann noch die Reparaturen, TÜV, Benzin, Reifen.“ Viel Geld und viel Zeit – beides wollten die damals frisch gewordenen Eltern nicht mehr investieren. Hinzu kam der Wunsch, sich aktiv an der Verkehrswende zu beteiligen. Als ihr Sohn eins wurde, haben sie das Auto verschenkt.

Den Großeinkauf erledigt Familie Spieß mit dem Fahrrad. Hänger, Satteltaschen – und rein mit den Sachen. Ein Mal pro Woche kommt ...
Den Großeinkauf erledigt Familie Spieß mit dem Fahrrad. Hänger, Satteltaschen – und rein mit den Sachen. Ein Mal pro Woche kommt die Gemüsekiste, vier Mal im Jahr der Getränkelieferant. | Bild: Wienrich, Sabine

Einkauf, Kita, Arbeit – die alltäglichen Wege meisterte die Familie ohnehin bereits mit dem Rad. „Wir hatten total Glück, eine schöne Wohnung zu bekommen, total zentral“, sagt Burger, die ebenfalls als Lehrerin am GZG arbeitet. Ein größeres Einfamilienhaus mit Garten, irgendwo draußen im Hinterland? Das wäre für die junge Familie nicht in Frage gekommen. „Wir wollten kurze Wege, denn lange Fahrten kosten viel zu viel Lebenszeit“, erklärt die 33-jährige Lehrerin.

Und dann wäre da noch die Sache mit dem öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV). Die Verkehrswende sei erst in den Startlöchern, die Bus- und Bahnanbindungen auf dem Land viel zu schlecht. „Wenn pro Tag nur ein Bus fährt, geht es da kaum ohne Auto“, sagt Burger.

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Bewegung statt Bequemlichkeit – besonders im Alltag

Corinna Burger nutzt den ÖPNV im Alltag nur selten, beispielsweise frühmorgens im Winter bei Schnee: „Wenn es geschneit hat, kann man in Friedrichshafen fast nicht mit dem Rad fahren, denn dann werden die Straßen zwar geräumt, aber der Schnee auf den Radweg geworfen.“ Sandor Spieß fährt bei Wind und Wetter: „Klar, wenn ich im Winter zum Tischtennistraining nach Ailingen raus fahre und es ist eiskalt und schneit, vermisse ich das Auto schon irgendwie. Das ist dann eben die reine Bequemlichkeit.“ Sobald er sich überwunden habe und auf dem Rad sitze, sei er dann zufrieden. Bewegung statt Bequemlichkeit – das ist das Motto der Familie.

Car-Sharing-Angebote nicht attraktiv genug

Doch wie funktionieren Ausflüge mit einem Kleinkind ohne Auto? Was ist mit Urlauben? „Für Ausflüge und Urlaub nutzen wir ausschließlich das Fahrrad und die Bahn“, sagt Spieß. Zu Beginn hätte er sich über Car Sharing informiert, doch es gab in Friedrichshafen kaum Angebote. Auch die relativ hohen Kosten mit rund 30 Euro Grundgebühr pro Monat plus Zusatzkosten seien ihnen nicht attraktiv genug erschienen.

Anders hingegen die Bahn, mit der Kinder unter 14 gratis fahren. Für diesen Sommer haben sie Urlaub an der holländischen Nordsee gebucht. „Das ist schon eine lange Zugfahrt“, sagt Corinna Burger, „aber im Zug können wir wenigstens ein bisschen mit den Kindern rumlaufen.“ Zwei unter drei Jahren – da sei Reisen ohnehin eine Herausforderung – ob mit dem Zug oder dem Auto.

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Ausflug in die Reutemühle? Klappt problemlos ohne Auto

Für Ausflüge nutzt die Familie den Nahverkehr oder das Rad oder beides. „Unser Radius beträgt etwa 30 Kilometer“, sagt Sandor Spieß, „man ist natürlich schon etwas eingeschränkter als mit Auto.“ Die Ziele werden so ausgesucht, dass sie gut erreichbar sind. Bei einem Besuch im Haustierhof Reutemühle in Überlingen beispielsweise radelte Vater Sandor, Mutter Corinna fuhr mit dem Sohn mit dem Zug und Bus. „Das hat super geklappt, wir haben etwa eine Dreiviertelstunde gebraucht“, erinnert sie sich. Bei einem Ausflug zur Landesgartenschau in Überlingen fuhr die Familie eine Strecke mit dem Rad, zurück mit dem Zug.

„Ich sehe uns nicht als Umweltretter.“
Corinna Burger, lebt ohne Auto

Funktioniert sie so, die viel beschworene Verkehrswende? Corinna Burger denkt nach. „Ich sehe uns nicht als Umweltretter. Die Verkehrswende muss von oben, also von der Politik, gemacht werden. Und da passiert noch viel zu wenig.“ Dann zählt sie auf, welche Vergünstigungen Autofahrer vom Bund bekommen: „Dienstwagen, Pendlerpauschale, Abwrackprämie, bald 30 Cent Steuerersparnis auf Sprit. Wo ist der Anreiz, aufs Fahrrad umzusteigen?“

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Sandor Spieß ergänzt: „Wir sehen es doch in Friedrichshafen auf kommunaler Ebene, dass es Autofahrern viel bequemer gemacht wird als Radlern.“ Beispielsweise beim Thema Erhöhung der Parkgebühren oder auch bei der Sanierung der Friedrichstraße, wo der Radweg statt die Straße gesperrt wurde – und eigentlich auch eine perfekte autofreie Zone möglich wäre. Auch die Radwege seien stark ausbaufähig.

„Wenn der Radstreifen nur durch eine Farbmarkierung von der Straße abgetrennt ist, ist das gerade für Kinder und Familien echt schwierig“, sagt Spieß und verweist auf die Maybachstraße beim Landratsamt. Hier gibt es jetzt eine Grünbepflanzung im Mittelstreifen – zwischen den beiden Straßen, nicht aber zum Radweg hin. „Wenn man Mobilität wirklich neu denken will, also zukunftsgerichtet und klimafreundlich, dann muss man im Kleinen beginnen, Alternativen zum Auto so attraktiv wie möglich zu machen“, ist sich Burger sicher.

Auch ihr Sohn, der gerade in der Kita ist, lernt mit seinen zweieinhalb Jahren bereits Fahrradfahren und hat einen eigenen kleinen Fuhrpark.
Auch ihr Sohn, der gerade in der Kita ist, lernt mit seinen zweieinhalb Jahren bereits Fahrradfahren und hat einen eigenen kleinen Fuhrpark. | Bild: Wienrich, Sabine

Noch sechs Wochen, dann kommt das Baby. Noch fährt Corinna Burger Fahrrad, doch wie soll sie unter Wehen in den Kreißsaal kommen? „Zugegeben, das bereitet mir schon ein bisschen Kopfzerbrechen“, sagt Sandor Spieß. Seine Frau lacht: „Wozu gibt es denn Taxis?“

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