Wer in Friedrichshafen mit dem Auto unterwegs ist, sieht sie an vielen Straßen: große runde Verkehrsschilder mit einer „30“ drauf, manchmal mit einem kleinen weißen Zusatzschild darunter, auf dem „Lärmschutz 22-6 h“ steht. Der Schilderwald wird künftig wachsen, wenn die vierte Stufe des Lärmaktionsplans Friedrichshafen in Kraft tritt. Das könnte schon diesen Herbst sein, spätestens aber zum ÖPNV-Fahrplanwechsel im Frühjahr.

Ziel: Bürger vor Lärm schützen

Hintergrund ist die gesetzliche Verpflichtung für die Stadt Friedrichshafen, einen Lärmaktionsplan aufzustellen. Bewohner sollen vor Lärm möglichst gut geschützt werden, der Verkehr spielt da eine entscheidende Rolle. Vorgeschrieben ist die Untersuchung von Hauptverkehrsstraßen mit einem Aufkommen von über 8200 Fahrzeugen pro Tag. Darüber hinaus hat die Stadt freiwillig auch die Lärmbelastung entlang von Straßen mit einem Aufkommen von mindestens 3000 Fahrzeugen täglich untersuchen lassen.

In der Friedrichstraße gilt Tempo 20. Radfahrer sollen zudem die Straße nutzen.
In der Friedrichstraße gilt Tempo 20. Radfahrer sollen zudem die Straße nutzen. | Bild: Fabiane Wieland

Nach etlichen Beratungsrunden hat nun der Ausschuss für Planen, Bauen und Umwelt (PBU) einen entsprechenden Beschluss gefasst. Auf 59 Straßenbereichen wird das Tempo gesenkt, meist auf 30 Stundenkilometer. Dem voraus ging eine umfangreiche Analyse der Lärmbelastung entlang der Häfler Straßen, nicht nur in der Innenstadt, sondern auch in den Ortsteilen. Ein Fachbüro hat Daten erhoben, schalltechnische Berechnungen angestellt, kartiert und Ableitungen getroffen.

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Herausgekommen ist ein Grobkonzept mit vielen Straßenabschnitten, in denen laut Experten Handlungsbedarf besteht. Um Lärmschutzwerte einhalten zu können, gibt es zumeist nur eine Maßnahme: Das erlaubte Höchsttempo wird nach unten geschraubt, denn langsame Autos verursachen weniger Lärm als schnellere.

Tempo 30 ist das neue Tempo 50

Die Liste der Straßen mit neuen Höchstgeschwindigkeiten ist ellenlang und es sind alle Stadtgebiete Friedrichshafens betroffen. Auf zusätzlich 44 Straßen wird künftig ganztags maximal Tempo 30 gelten. Darunter befinden sich Abschnitte entlang der B30/Paulinenstraße, der Verbindung Richtung Ailingen auf der Ailinger/Äußeren Ailinger Straße/Bodenseestraße, auf der Markdorfer Straße, Flugplatzstraße und Straßen in Fischbach, Schnetzenhausen, Kluften, Efrizweiler, Raderach, Ailingen und Berg.

Neu kommen elf Straßen hinzu, auf denen tagsüber Tempo 50 und nachts nur noch Tempo 30 erlaubt sind. Darunter befinden sich Bereiche der Eckenerstraße, Teuringer Straße, Waggershauser Straße und Löwentaler Straße.

Weitere Temporeduzierungen auf maximal 50 km/h sind in vier Bereichen vorgesehen, zum Beispiel entlang der Lindauer Straße und in Bunkhofen.

Gutachter Wolfgang Wahl vom Verkehrsplanungsbüro Rapp orientierte sich bei den Maßnahmen zur Lärmreduktion an gesetzlichen Schwellenwerten. 70 Gebiete im Stadtgebiet sind dabei untersucht worden. Nur in sechs davon werden die errechneten Lärmwerte gar nicht oder nur wenig überschritten.

In der Friedrichshafener Nordstadt ist die Charlottenstraße viel befahren, hier gilt ganztags Tempo 30.
In der Friedrichshafener Nordstadt ist die Charlottenstraße viel befahren, hier gilt ganztags Tempo 30. | Bild: Andreas Ambrosius

Dem Experten zufolge liegen Schalldruckpegelwerte ab 65 dB(A) tags und 55 dB(A) im gesundheitskritischen Bereich, Werte über 70 tagsüber und 60 nachts liegen an der grundrechtlichen Schwelle zur Gesundheitsgefährdung – hier muss zwingend gehandelt werden.

Viele Bürger plagt Lärm

Wie sich herausstellt, sind viele Bürger in den kartierten Bereichen hohem Lärm ausgesetzt – bei Werten über 67 dB(A) tagsüber über 7600 Menschen, über 2700 müssen 70 dB(A) erdulden. Nachts ist das Problem noch größer: 12.100 Menschen sind ungesunden Geräuschwerten jenseits von 57 dB(A) ausgesetzt, 5100 gar Werten von 60 dB(A) und mehr.

Im großen Stil ist dem Lärmproblem laut Gutachter Wahl nur mit Geschwindigkeitsreduzierungen beizukommen. Zum Beispiel mit Tempo 30 ganztags anstatt 50 oder 30 nur nachts – wo bislang Tempo 70 gilt, wie zum Beispiel entlang der B31-alt oder Habratsweiler Straße, wird künftig ein 50er-Schild stehen, ebenso entlang der Flugplatzstraße. Am östlichen Ortseingang B31 will man hingegen mit baulichen Maßnahmen statt Tempo-50-Zone arbeiten.

Mehr Verkehr auf Hauptstraßen

Die neuen Tempolimits werden zu Verkehrsverlagerungen führen. Die Verkehrsexperten gehen davon aus, dass der Autoverkehr auf dem Hauptstraßennetz zunehmen wird, insbesondere auf der B31-neu. Mit mehr Verkehr wird auf 31 Streckenabschnitten gerechnet. Verkehrsentlastungen soll es auf 97 Streckenabschnitten geben.

Neben weniger Lärm habe Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen weitere Vorteile, so der Gutachter: Die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer werde erhöht, auch für Radfahrer und Fußgänger. Die Luftqualität verbessere sich und damit auch die Aufenthaltsqualität.

Nur noch im Schleichmodus unterwegs?

Großflächig Tempo 30 – kommt man da überhaupt noch einigermaßen zügig durch die Stadt? Einzelne Gemeinderäte berichten schon von Sorgen örtlicher Handwerker, dass diese dann nicht mehr rechtzeitig auf die Baustellen kommen. Wie wär‘s mit Tempo 40 auf Hauptstraßen, so ein Kompromissvorschlag von Jochen Meschenmoser (Freie Wähler).

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Gutachter Wahl winkt da ab: Der Zeitverlust sei geringer als allgemein angenommen. Seiner Darstellung zufolge büßen Autofahrer laut Umweltbundesamt bei Tempo 30 statt 50 nur zwischen null und vier Sekunden pro 100 Meter ein. Nur wenn der Zeitverlust 30 Sekunden und mehr betrage, werde das gesetzlich relevant. Tempo 40 bezeichnet er ironisch als „badische Lösung“ – ein vermeintlicher Kompromiss, der nichts bringe.

Auch Busse sind betroffen

Klar ist hingegen auch: Nicht nur Autofahrer werden etwas gemächlicher in der Stadt unterwegs sein, der ÖPNV ist ebenfalls betroffen. Zeitverluste sollen hier aber noch niedriger sein als beim Individualverkehr. Es soll per Tracking untersucht werden, wie sich das konkret auf die Busstrecken auswirkt.

Akzeptanz von Tempo 30 unklar

Die „große Lösung“ mit vielen Tempo-30-Zonen und teilweise Flüsterasphalt kommt im Bauausschuss gut an. Sprecher aller Fraktionen befürworten den Plan. Erster Bürgermeister Fabian Müller nahm im Gremium „viel Zustimmung, aber auch Spannungsfelder“ wahr. Ob am Ende die Bürgerinnen und Bürger Tempo 30 akzeptieren, dahinter macht er ein Fragezeichen: „Ich bin mir nicht sicher, ob die Akzeptanz weiter reicht als vor die eigene Haustür.“