Die Sorge ist nicht unbegründet. „Hoffentlich kommt nach der Corona-Pandemie nicht die nächste Epidemie, die Insolvenza“, sagt Matthias Schlunke. Er ist seit vielen Jahren Betriebsratschef im Klinikum Friedrichshafen und auch Vorsitzender des Konzernbetriebsrat des Medizin Campus Bodensee (MCB). Der ausgebildete Intensivpfleger befürchtet, dass das neuartige Virus nicht nur vielen Menschen das Leben kostet, sondern auch zu einem Krankenhaus-Sterben führen könnte.

Corona-Rettungsschirm reicht nicht

„Der bisher geplante Rettungsschirm reicht bei weitem nicht aus, um die anfallenden Kosten, die die Kliniken jetzt haben, zu finanzieren“, sagt er. Ganz zu schweigen von den Gesetzen vor Corona, die zu Lasten der Kliniken gingen und man daher schon als „aktive Sterbehilfe“ bezeichnen könne. Der MCB-Betriebsrat habe deshalb die Bundestagsabgeordneten aus der Region angeschrieben und gebeten, ihren Einfluss geltend zu machen.

Ein Patient wird auf der Intensivstation des Medizin Campus Bodensee beatmet.
Ein Patient wird auf der Intensivstation des Medizin Campus Bodensee beatmet. | Bild: CHRIS WERNER

Strafzahlungen und Rosinenpickerei

Für den langjährigen Betriebsratschef war die Einführung der Fallpauschalen in den Kliniken der Startschuss für eine Politik, die zum Ziel habe, gerade die Krankenhauslandschaft in der Fläche auszudünnen. So werden seither Kliniken bestraft, wenn sie mehr Patienten versorgen als vorher mit den Krankenkassen verhandelt. Für diese Fälle müssten Kliniken 35 Prozent der Erlöse an die Kassen zurückzahlen. Andere Häuser, die nicht für die Grundversorgung einer Region zuständig sind, werden für ihre „Rosinenpickerei“ belohnt, wenn sie nur noch lukrative Eingriffe vornehmen.

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Auch Intensivbetten wurden abgebaut, die nun dringender denn je gebraucht werden. Hier komme die zweite Fehlsteuerung der Politik zum Tragen. „Um überhaupt überleben zu können, waren Krankenhäuser gezwungen, Personal abzubauen. Personalkosten sind nun einmal der größte Kostenfaktor“, so Schlunke. Zumal viele Jahre lang Tariferhöhungen für die Klinikmitarbeiter über die Kassen nicht refinanziert wurden.

Einschränkungen im MCB durch Corona-Pandemie

Eine Folge: Mehr als ein Drittel aller deutschen Krankenhäuser meldeten vor der Corona-Pandemie zeitweise ihre Intensivstation ab, weil sie zwar Intensivbetten hatten, aber kein geeignetes Pflegepersonal mehr. Jetzt wirkt diese Politik wie ein Bumerang: Intensivbetten werden notgedrungen aufgestockt, aber es fehlt das Fachpersonal. Durch die Arbeitsverdichtung sei der Beruf unattraktiv gemacht worden, viele sind gegangen. Mit anderen Worten: „Der Pflegenotstand war absehbar, es wollte ihn nur keiner sehen“, sagt Matthias Schlunke.

Pflegenotstand war absehbar, wollte aber keiner sehen

Und die Reaktion der Politik? Sie legte unter anderem Untergrenzen fürs Pflegepersonal fest, die nur jetzt in der Krise ausgesetzt seien. Der Ansatz sei richtig, nur Jahre zu spät, sagt der Betriebsratschef, denn „fischen sie mal in einem leeren Teich“. Was dann? „Krankenhäuser gehören zur Daseinsvorsorge. Die Wirtschaftlichkeit darf nicht an erster Stelle stehen, sondern der kranke Mensch. Die Feuerwehr finanziert sich ja auch nicht über Brände“, sagt Matthias Schlunke.

Matthias Schlunke, Betriebsratschef des Medizin Campus Bodensee
Matthias Schlunke, Betriebsratschef des Medizin Campus Bodensee | Bild: Cuko, Katy
„Krankenhäuser gehören zur Daseinsvorsorge. Die Feuerwehr finanziert sich ja auch nicht über Brände.“
Matthias Schlunke, Konzernbetriebsrat des Medizin Campus Bodensee

Die Politiker müssten sich nach der Corona-Pandemie daran messen lassen, wie sie mit der Krisensituation umgegangen sind und welche Schlüsse sie daraus ziehen. Für ihn bleiben ernste Zweifel, ob der „Warnschuss“ gehört wurde. Der Rettungsschirm des Bundesgesundheitsministers sehe beispielsweise lediglich 50 Euro ja Corona-Patient zusätzlich für Schutzausrüstungen vor.

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Diese Summe sei für Haube, Schutzbrille und Visier, Schutzkittel und Handschuhe nicht ausreichend – von derzeitigen Wucherpreisen für medizinische Atemschutzmasken abgesehen. „Wenn man sich überlegt, dass ein Patient über 24 Stunden von mehreren Mitarbeitern und teils über Wochen versorgt wird, wird deutlich, dass das Versprechen der Politik, durch die Corona-Pandemie erleiden Krankenhäuser keine finanziellen Nachteile, ad absurdum geführt wird“, sagt Matthias Schlunke. Er hoffe, dass sich möglichst viele Bürger deshalb an den Online-Petitionen beteiligen, die es bereits gibt.

Terrorübung war hilfreich

Seinen Klinikverbund am Bodensee sieht der Betriebsratschef gut auf die Corona-Pandemie vorbereitet. Täglich tage der Krisenstab, der erst im Oktober bei der großen Terrorabwehrübung am Klinikum Friedrichshafen gefordert war. Das erprobte Zusammenspiel bei diesem simulierten Notfall sei in der heutigen Situation sehr hilfreich.

Freilich hätten auch die MCB-Mitarbeiter Angst vor einer Ansteckung, aber „wir erleben eine hochmotivierte und einsatzbereite Belegschaft über alle Abteilungen hinweg“, sagt Matthias Schlunke. So sei ein „wahnsinniger Zusammenhalt“ entstanden. Der Zuspruch aus der Bevölkerung und deren Hilfsbereitschaft sei beeindruckend. „Wir können wirklich stolz sein auf unsere Mitarbeiter.“