Falls einer der anwesenden Bundestagskandidaten dachte, ihn erwarte eine Frage-Antwort-Runde ohne große Widerworte, so wird er schnell eines Besseren belehrt. Schon nach wenigen Minuten hakt Paula Birk das erste Mal nach: „Herr Akyildiz, wie soll es mir denn ohne Mietpreisbremse möglich sein, nach dem Abitur auszuziehen? Die Kosten sind dann einfach viel zu hoch.“ Soeben hatte der FDP-Kandidat auf die Frage von Birks Mitschüler Alan Arvaj nach der Mietpreisbremse geantwortet, dass er diese gerne abschaffen würde, um Vermieten und Neubau wieder attraktiver zu machen.

Vier Bundestagskandidaten diskutieren

Paula Birk und Alan Arvaj gehen beide in die zwölfte Klasse am Graf-Zeppelin-Gymnasium (GZG) in Friedrichshafen. Mit ihren Mitschülern aus dem Gemeinschaftskunde-Leistungskurs haben sie eine Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl organisiert. Auf der Bühne im Foyer der Schule sind an diesem Freitag rund zwei Wochen vor der Wahl mit Ahmed Al Hamidi (Grüne), Leon Hahn (SPD), Akif Akyildiz (FDP) und Andreas Reich (Linke) fast alle Kandidaten aus dem Wahlkreis Bodensee vertreten. Volker Mayer-Lay habe die Veranstaltung kurzfristig aufgrund eines medizinischen Notfalls in der Familie absagen müssen. Die AfD habe auf mehrfache Einladungen vonseiten der Schüler nicht geantwortet, erklärt Birk, die gemeinsam mit Arvaj die Veranstaltung moderiert. Im Publikum sitzt die Oberstufe des GZG, darunter auch viele potenzielle Erstwähler.

Die Moderatoren Alan Arvaj und Paula Birk (links) haben mit ihren Mitschülern verschiedene Fragen für die Kandidaten vorbereitet. ...
Die Moderatoren Alan Arvaj und Paula Birk (links) haben mit ihren Mitschülern verschiedene Fragen für die Kandidaten vorbereitet. Besonders zwischen Leon Hahn (SPD, Zweiter von rechts) und Akif Akyildiz (FDP) entwickelt sich auf der Podiumsdiskussion oft ein kleines Privatduell. | Bild: Marvin Nagel

Sicherheitsbedenken bei vielen Schülern

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde der Kandidaten geht es direkt in die großen Themen: Wie gedenken die Kandidaten, die deutsche Wirtschaft anzukurbeln, welchen Einfluss hat Donald Trump, wie verteidigungsfähig ist Deutschland? Immer wieder werden dabei die persönlichen Gedanken ihrer Mitschüler eingebunden. „Viele haben Sicherheitsbedenken und machen sich Sorgen aufgrund der zunehmenden Bedrohung durch Russland – wie würden Sie das angehen?“, fragt Arvaj. Dass Andreas Reich daraufhin sagt, Abrüstung sei der richtige Ansatz für Frieden, lässt Birk ihm nicht so einfach durchgehen: „Wenn wir jetzt abrüsten, fühle ich mich ja noch unsicherer. Außerdem glaube ich nicht, dass sich Putin so beikommen lässt.“

Zur Podiumsdiskussion im GZG kamen die Kandidaten fast aller Parteien. Auf der Bühne saßen (von links) Andreas Reich (Die Linke), Ahmad ...
Zur Podiumsdiskussion im GZG kamen die Kandidaten fast aller Parteien. Auf der Bühne saßen (von links) Andreas Reich (Die Linke), Ahmad Al Hamidi (Grüne), die Moderatoren Alan Arvaj und Paula Birk, Leon Hahn (SPD) und Akif Akyildiz (FDP). Volker Mayer-Lay (CDU) musste kurzfristig absagen, die AfD ließ die Einladung unbeantwortet. | Bild: Marvin Nagel

Applaus für Aussagen zu Migration

Dabei schaffen es die beiden Moderatoren mit ihrer Themensetzung häufig, dass es zum echten Schlagabtausch zwischen den Politikern kommt. Statt in einer Schule könnte die Diskussion dann auch in einer Talkshow im Fernsehen stattfinden. Besonders Hahn und Akyildiz, die passenderweise nebeneinander gesetzt wurden, suchen oft das direkte Duell. Als Birk die Frage stellt, wie denn die deutsche Wirtschaft aus der Rezession geholt werden könne, verhärten sich die Standpunkte. Hahn verweist auf die Notwendigkeit von Subventionen, um konkurrenzfähig zu bleiben, Akyildiz sieht das als absurd an: „Mit chinesischen oder amerikanischen Subventionen können wir nicht mithalten, stattdessen sollten Steuern gesenkt und Bürokratie abgebaut werden.“

Im Publikum saßen die Schüler aus der Oberstufe des Graf-Zeppelin-Gymnasiums.
Im Publikum saßen die Schüler aus der Oberstufe des Graf-Zeppelin-Gymnasiums. | Bild: Marvin Nagel

Die üblichen parteipolitischen Grabenkämpfe machen also auch vor Schülerinnen und Schülern nicht halt. Der Ton bleibt dabei aber immer respektvoll, was auch vom Publikum honoriert wird. Besonders lauten Beifall erhält Al Hamidi, als er über die Wichtigkeit von Migranten für den Arbeitsmarkt spricht. „Ich meine dabei gleichermaßen Fachkräfte und Flüchtlinge. Durch den demografischen Wandel werden alle gebraucht. Es braucht mehr Maßnahmen wie Sprach- und Arbeitskurse, um die Menschen schneller zu integrieren. Außerdem müssen ausländische Zeugnisse endlich schneller anerkannt werden“, so der Grünen-Politiker.

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In einem Punkt stimmen auch die Kandidaten überein

Wie groß das politische Interesse der anwesenden Oberstufenschüler ist, zeigt sich nach der Diskussionsrunde. Dann gibt es die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Sofort schnellen mehrere Arme in die Höhe. Ein Schüler will es noch einmal genau von Akyildiz wissen: „Wo soll denn das Geld herkommen für die Schuldenbremse? Deutschland muss schließlich auch in vielen Bereichen investieren.“ Die Antwort, dass dies unter anderem durch die Senkung von Subventionen und Bürokratieabbau geschehen solle, stellt nicht alle zufrieden. Unter den Schülern wird getuschelt: „Das reicht doch nicht“, ist aus mehreren Ecken zu vernehmen und auch Moderatorin Paula Birk schaltet sich wieder ein: „Ich stelle mir das nicht so einfach vor“, sagt sie.

Im Anschluss an die Diskussion gab es für die Schüler die Gelegenheit, Fragen zu stellen.
Im Anschluss an die Diskussion gab es für die Schüler die Gelegenheit, Fragen zu stellen. | Bild: Marvin Nagel

Breite Zustimmung unter den Schülern findet hingegen die Einstellung aller Kandidaten zu den Themen Wehrpflicht und Abtreibung. Die grundsätzliche Ablehnung einer allgemeinen Wehrpflicht und die Befürwortung von Straffreiheit bei Schwangerschaftsabbruch sorgen für Beifall. Noch lauter wird dieser bei den Schlussworten von Leon Hahn, der an die Schüler appelliert: „Seid aktiv, egal bei welcher Partei, Demokratie lebt davon, dass ihr mitmacht. Denn das ist die Grundvoraussetzung, um unser Land nicht rechtsradikalen Populisten zu überlassen.“ Das Klatschen der anderen Kandidaten zeigt, dass am Ende dieses politischen Vormittags im GZG ein Punkt gefunden wurde, in dem alle übereinstimmen.