Fahrradhändler und -werkstätten haben aktuell viel zu tun. Da bleibt zwischen den zahlreichen Kundengesprächen und Aufträgen kaum Zeit für ein ausführliches Gespräch über die aktuelle Situation.
Bernd Rimmele, der „‘s Sporträdle“ in Immenstaad betreibt, bittet um einen zweiten Anruf nach 18 Uhr. „Da habe ich geschlossen“, erklärt er und ergänzt schnell: „Ich gehe natürlich ran und dann können wir in Ruhe reden.“ Um 18.20 Uhr ist es dann so weit: Er hat eben seine letzte Kundin des Tages verabschiedet und hat Zeit, Fragen zu beantworten.
Leichte Kinderräder sehr beliebt
Auf die Frage, ob die Corona-Krise die Nachfrage nach Fahrrädern beeinflusst habe, muss er beinahe lachen: „Das ist hier aktuell normal, dass die Arbeit erst nach den offiziellen Öffnungszeiten endet.“ Die Nachfrage nach Fahrrädern sei merklich gestiegen. Dabei seien die ganz normalen Standardräder wenig attraktiv für die Kunden. Großer Beliebtheit erfreuten sich vor allem leichte Kinderräder.

„Das hat sich verändert: Die klassischen Kinderräder werden kaum gekauft. Die Eltern möchten inzwischen etwas möglichst Leichtes für ihre Kinder. Dabei ist der Preis fast egal.“
Mit S-Pedelecs legen manche in kurzer Zeit mehrere Tausend Kilometer zurück
Ein weiterer Renner, und das im doppelten Sinne, seien die sogenannten S-Pedelecs, die schnelle Variante der Pedelecs (Akronym für Pedal Electric Cycle, also Fahrräder, bei denen der Schwung durch den Tritt in die Pedale über einen Elektroantrieb zusätzlich unterstützt wird). „Ich habe einige davon im April verkauft und jetzt zum Service mit 2000 Kilometern wiedergesehen“, schildert Rimmele und ergänzt dann schnell: „Und das war nicht etwa die Ausnahme, sondern die Regel.“
Manche Käufer hätten auch durchaus weitere Strecken zurückgelegt. Erst heute habe er eines der Zweiräder inspiziert, das seit April bereits 8000 Kilometer weit gefahren worden sei. „Die Räder kommen teilweise so zum Einsatz wie bisher ein Motorrad“, schildert Rimmele. Die schnellsten Varianten würden gesondert geprüft und erhielten eine Straßenzulassung samt Nummernschild.
In den vergangenen Wochen seien aber auch viele Kunden in seine Werkstatt gekommen, die sich entschieden hätten, ihr altes Fahrrad aus dem Keller zu holen. Sobald der Kostenvoranschlag, um es wieder fahrtauglich zu machen, die 300-Euro-Marke überschritt, hätten die meisten sich allerdings direkt dazu entschieden, doch ein neues Fahrrad zu kaufen.
Längere Wartezeiten wegen hoher Nachfrage
Aufgrund der hohen Nachfrage müssten Kunden nun teilweise mehrere Wochen auf einen Termin warten, vor der Corona-Zeit habe die Wartezeit maximal eine Woche betragen.
Christoph Alff, der stellvertretende Geschäftsführer von Zweirad Joos mit Hauptsitz in Radolfzell und E-Bike-Center in Immenstaad, spricht ebenfalls von einem spürbaren Plus in Verkauf und Werkstatt. „Der Wandel, der sich sowieso schon vollzogen hat durch die Themen Klimawandel und Umweltschutz, wurde nochmals deutlich beschleunigt.“
Auch er beschreibt eine große Nachfrage nach elektronisch unterstützten Fahrrädern; klassischen E-Bikes und schnellen Pedelecs. Die Frage, ob sich dies auch auf die Mitarbeitersituation auswirkt, bejaht er: „Wir sind auf der Suche nach fähigen Leuten.“
Viele nehmen lieber das Fahrrad als öffentliche Verkehrsmittel
„Wir sind aktuell der Wachstumsmarkt im Bereich Mobilität“, schildert er. Das sei natürlich nicht allein durch die Sondersituation der Pandemie bedingt, diese habe aber einen guten Auftrieb gegeben. Viele Menschen wollten den öffentlichen Nahverkehr zur Zeit wegen der Ansteckungsgefahr nicht nutzen oder weil ihnen das Masketragen unangenehm sei; dementsprechend viele stiegen für ihre üblichen Wege auf ein Fahrrad um: „Der Fahrradmarkt ist, auch wenn es vielleicht komisch klingt, ein Profiteur der Krise.“
Zweirad Joos habe die Schließungszeit über telefonische und Videoberatungen sowie den eigenen Onlineshop recht gut überbrücken können: „Es fehlte den Kunden eben das Probefahren.“ Dementsprechend angestiegen sei die Kauffreude nach der kompletten Wiedereröffnung.
Hohe Nachfrage nach Reparaturen und neuen Rädern
Auch in Friedrichshafen sind die Fahrradgeschäfte gut besucht, so gut sogar, dass es beinahe zu keinem Gespräch kommt. Hans-Dieter Gmeiner vom gleichnamigen Radladen in der Werastraße hat direkt nach der Mittagspause einen kurzen Moment Ruhe und damit Zeit, ein paar Fragen zu beantworten. „Seit dem ersten Tag, an dem wir wieder öffnen durften, geht es bei uns rund“, schildert er.
Manche seien situationsbedingt aufs Rad gekommen; manche davon holten ihr altes Rad aus dem Keller, um es reparieren zu lassen, andere kauften sofort neu. So stiegen sowohl die Verkaufszahlen an als auch die Anzahl der Reparaturen.

„Das ist einerseits toll“, sagt er, „andererseits sind natürlich unsere Kapazitäten auch nur endlich. Hinter unserer Fahrradleidenschaft stecken ja auch nur Menschen.“ Manche Kunden berichteten ihm, dass sie gar keinen Werkstatttermin anderswo mehr bekommen hätten.
Wertschätzender Umgang seit der Wiedereröffnung
Apropos Kunden: Gmeiner hat einen Wandel nicht nur in der Kaufbereitschaft der Kunden bemerkt, sondern auch in ihrem Verhalten. „In den ersten zwei Wochen, in denen wir das Geschäft wieder öffnen durften, waren die Kunden durchweg nett, freundlich und geduldig. Da fiel kein einziges böses Wort.“ Die Menschen seien dankbar gewesen, wieder normale Dinge tun zu können.
Auch das Radl-Eck in Friedrichshafen berichtet vom Ansturm auf Termine, weshalb keine Zeit zum Gespräch bleibt.
Geringere Nachfrage bei Fahrradverleih
Nur Uwe Brechenmacher vom Fahrradverleih in der Eckenerstraße hat von einem Fahrradboom bisher nichts merken können. Erst seit etwa vier Wochen habe er ja überhaupt wieder öffnen dürfen, da er kein Werkstattbetrieb sei. „Es sind auf jeden Fall nicht mehr Anfragen geworden“, sagt er, grübelt kurz und meint dann: „Die Menschen sind verhalten, haben Sorge, rauszugehen. Es sind also eher sogar weniger Anmietungen als normalerweise.“