Gerald Jarausch

Die letzten Wochenenden haben einen Vorgeschmack darauf gegeben, wie es im Sommer am See zugehen könnte. Vor allem Radtouristen nutzten die jüngsten Lockerungen der Corona-Verordnungen, um zumindest einen Hauch von Urlaub erleben zu können. Dabei scheint dem Rad eine besondere Funktion zuzukommen. Die Deutschen haben das Fahrrad und im Speziellen die elektrifizierte Variante für sich entdeckt, um im eigenen Land Urlaub zu machen. Wer kann es ihnen verdenken, dass sie dazu auch den Bodensee ausgesucht haben?

„Unsere Region ist für den Fahrradtourismus prädestiniert“, sagt Nina Hanstein, Geschäftsführerin der Tourismus- und Stadtmarketing Radolfzell GmbH (TSR). Auch wenn sie noch keine konkreten Zahlen nennen kann, herrscht auch bei ihr eine vorsichtig-optimistische Stimmung, was den Saisonverlauf angeht: „Das kann noch ein gutes Jahr werden, wenn das Wetter mitspielt“, glaubt Hanstein. Gleichwohl möchte sie zunächst abwarten, wie sich ausländische Touristen und Besucher aus der benachbarten Schweiz in den kommenden Wochen verhalten.

Stadtverwaltung denkt über Radwegekonzept nach

In jedem Fall sieht sie Radolfzell gut aufgestellt, was Radtouristen angeht. Derzeit wird in der Stadtverwaltung darüber nachgedacht, wie ein auf Radolfzell zugeschnittenes Radwegekonzept aussehen kann.

Noch bevor dieses Konzept diskutiert und umgesetzt ist, haben sich die Menschen dem Rad als modernes Fortbewegungsmittel zugewandt. Das spüren die Radhändler derzeit landauf, landab. „Wir haben eine extreme Nachfrage“, bestätigt Andreas Joos, Geschäftsführer des gleichnamigen Radgeschäftes. Auch wenn er einen generellen Trend zur Verkehrswende erkennen will, sieht er die Corona-Pandemie als Beschleuniger der Entwicklung: „In der Zeit konnte man nur Joggen oder Radfahren. Da sind viele auf den Geschmack gekommen“, sagt er.

Radkauf statt Urlaub

Davon profitieren nach seiner Aussage alle Produktgruppen. Gefragt sind nicht nur hochpreisige E-Bikes, sondern auch herkömmliche Räder. „Das ist ein Zeichen, dass viel Rad gefahren wird“, erklärt Andreas Joos. Viele Kunden liefern im Gespräch mit den Verkäufern auch den Grund für ihr Verhalten: „Wir kriegen immer wieder zu hören, dass die Leute statt Urlaub sich nun für einen Radkauf entschieden haben“, berichtet der Fachhändler. Die Nachfrage ist dabei kaum zu decken. Im Verleih von Rädern ist laut Joos „Land unter“, und um überhaupt handlungsfähig zu bleiben, hat er allein im Monat Mai 15 neue Mitarbeiter einstellen müssen.

Ähnliches kann Bertram Pausch von Zweirad Mees bestätigen. Auch bei ihm „läuft das Geschäft derzeit sehr gut“, sagt er. Allerdings ist er zurückhaltend, was die Zukunft angeht. „Man kann das noch nicht abschätzen, wie sich das in den Firmen und bei den Arbeitnehmern entwickelt“, führt er aus. Aktuell ist er froh, dass er die Einkäufe zu Beginn der Corona-Krise nicht storniert, sondern nur aufgeschoben hat.

Viele Besucher bleiben länger

Im Radhotel „Am Gleis“ in Markelfingen kehrt aktuell ebenfalls die Normalität ein. „Seit dem 29. Mai geht es richtig rund“, stellt Geschäftsführerin Christina Scholter fest. „Die Leute haben in den Startlöchern gestanden“, erklärt sie. Viele der Besucher zeigen sich überrascht von der Schönheit ihrer Heimat. „Sie sind begeistert von der Region und wollen wiederkommen“, berichtet Scholter. Sie ist sich deshalb sicher, dass „Deutschland am Ende davon profitieren wird“. Viele der Besucher, die ursprünglich nur eine Übernachtung geplant hatten, sind in den letzten Tagen sogar länger geblieben. Die zahlreichen Stornierungen begünstigen solche Spontanentscheidungen. Christina Scholter sieht aber auch die späteren Grenzöffnungen in der Schweiz als eine Ursache für diese Entwicklung.