Schon der Beginn war anders als in den Jahren vor der Corona-Pandemie: Nicht in der Ortsmitte, sondern am Hagnauer Hof, also oben an der Bundesstraße, versammelten sich die Narren diesmal, um sich in Laune zu bringen und von dort ihren Zug zur Schule zu starten.

Der Weg durchs trübneblige Dorf war beschwerlich; denn das Fischerboot, das von Philipp Heck gesteuert den Zug anführte, wurde nicht nur von närrischen Straßensperren gebremst, sondern streifte mit seinem Mast auch gefährlich nahe an den überall über die Straßen gespannten Wimpeln entlang. Zum Glück hatten einige Fischerkollegen lange Angeln dabei, mit denen sie den Mast befreien konnten. Das sollte sich heute aber als der härteste Widerstand herausstellen.

Am Rathausplatz angekommen, stürmten Elfer und Musiker den Kindergarten und die Schule, um die Kinder aus den Fängen ihrer Betreuerinnen zu befreien. Das gelang auch rasch.

Süßigkeiten für Sprüchlein und Tänze
Innerhalb weniger Minuten fanden sie sich im Saal des Gwandhauses wieder, in dem sie brav ihre Sprüchlein aufsagten und ein paar einstudierte Tänze vorführten. Dafür wurden sie von den Narren mit Süßigkeiten belohnt.
„Also auf zum Rathaus“, dachte sich der eingeweihte Betrachter. Dort wartete Bürgermeister Volker Frede mit Mannschaft bereits vorm Eingang auf Eisschollen aus Styropor. Thema: 60 Jahre Seegfrörne. Doch die Narren ließen sich Zeit.

Goldener Rathausschlüssel wechselt Besitzer
Als sie dann endlich ins Rathaus kamen – die Verwaltung hatte sich inzwischen dorthin zurückgezogen – ging alles ganz schnell: Statt sich gegen den ungeheuerlichen Angriff der Narren zu wehren, übergab der Schultes das Rathaus bereitwillig schon zu Beginn seiner Rede – und Narrenvater Uli Gotterbarm bedankte sich artig und übernahm glücklich den goldenen Schlüssel zum Rathaus.

Kein Kampf um die Macht, sondern ein friedlicher Akt der Auf- und Übergabe: Ist der Schultes etwa amtsmüde – oder laboriert die Verwaltung noch an den Folgen der Corona-Jahre und den daraus folgenden „Leerjahren“, was die Fastnacht betrifft? Hatte gar die „Macht der Musik“, die überlaut durchs Rathaus schallte, den Hausherrn weichgekocht?
Weiter zu Winzerverein und Volksbank
Jedenfalls war das Rathaus schnell gefallen. Teils tranken die Narren ihr Gläschen dort, teils auf dem Rathausplatz; andere waren bereits Gäste beim Winzerverein, der wieder seinen Lagerraum für die Narren geöffnet hatte und großzügig seinen Wein unter die Narren brachte.

Narrenbaum löst Weihnachtsbaum ab
Erst gegen Mittag zog die Schar dann weiter zur Volksbank und – nachdem man sich dort mit Gebäck und Getränken gestärkt hatte – zum Narrenbaumstellen auf den Löwenplatz. Denn was dort seither stand und sich als Narrenbaum ausgab, war einfach der abgerebelte Weihnachtsbaum, den man für den Jubiläumsumzug am 21. Januar umfunktioniert hatte. Nun aber ist alles wieder in bester Ordnung und die fünfte Jahreszeit kann ihren närrischen Lauf nehmen.