Isabel Meyer spricht von einer Herzensangelegenheit. Sie ist ehrenamtlich in der Dein-Sternenkind-Stiftung im Einsatz und fotografiert Kinder, die noch im Bauch ihrer Mama, während oder kurz nach der Geburt starben. Diese sind auch als Sternenkinder bekannt. Mehr als 700 Fotografen sind für die Stiftung tätig. In den vergangenen gut zehn Jahren wurden im deutschsprachigen Raum über 25.000 Sternenkinder abgelichtet. Dennoch sind sie auf der Welt, diese kleinen Menschen. Sie werden von ihren Eltern innerhalb kurzer Zeit willkommen geheißen und verabschiedet. „Es ist eine Balance zwischen Traurigkeit und Freude“, sagt die Fotografin bei einem Gespräch in ihrem Atelier in der Kunsthalle Kleinschönach. „Die Geburt an sich ist erst mal etwas Freudiges.“
So erfahren die Fotografen von ihren Aufträgen
Seit vier Jahren fotografiert Meyer Kinder, die nur kurz an der Schwelle zum Leben standen. Meist starben sie zwischen der 15. Schwangerschaftswoche und kurz vor der Geburt. Krankenhauspersonal, Eltern oder Verwandte können sich per Anforderungsformular oder Anruf an die Stiftung wenden. Moderatoren erstellen daraus online sogenannte Calls, in denen die Fotografen, die sich für ein bestimmtes Gebiet gemeldet haben und per Alarm über eine App informiert werden, alles Wichtige erfahren: unter anderem den Namen und das Alter des Kindes. Der Fotograf oder die Fotografin nimmt den Auftrag dann aktiv an und meldet sich zur weiteren Absprache beispielsweise telefonisch bei der zuständigen Hebamme.
Kein Tag, an dem nicht ein Kind abgelichtet wird
„Ich habe es noch nie erlebt, dass es einen Tag gibt, an dem kein Kind fotografiert wird“, erklärt Meyer, die Mutter erwachsener Kinder ist und in Hattenweiler-Katzensteig lebt. Ihren Angaben nach können die Anfragen für die kostenlosen Bilder zu 99 Prozent bedient werden. Angeboten wird ebenfalls Bildbearbeitung etwa von Handyfotos. Die Fotos fungieren als Zeugnisse, dass es das Kind gab.
Zudem helfen sie den Eltern dabei, sich zu erinnern – zum Beispiel an Fehlbildungen. Auch dienen sie als emotionale Stütze. Sie führen in die wenigen Momente zurück, in denen Mutter, Vater, Geschwister, Großeltern, Tanten oder Onkel die kleinen Menschen in ihren Armen hielten. Das Motto der Stiftung lautet „Das erste und das letzte Bild“. Die Eltern bekommen eine Serie an Bildern. Meist in schwarz-weiß, da sie weicher sind als Farbaufnahmen, die zum Beispiel Hautverfärbungen deutlich zeigen. In schwarz-weiß steht das Kind im Vordergrund, nicht der Verlust.
Die Stiftungsverantwortlichen würden sich über die Bewerbungen weiterer Fotografen freuen. Interessierte müssen eigene Arbeiten einreichen, wenn sie fotografieren oder im Bildbearbeitungsteam wirken möchten. Denn den Eltern werden schöne Fotos zugesichert. Dazu gehört ein Workshop, in dem der Umgang mit den verstorbenen Kindern an Puppen geübt wird. „Wenn man sich nicht traut, die Kinder mit Handschuhen umzulagern, heißt das nicht, dass man kein Fotograf sein kann. Aber es ist von Vorteil, keine Berührungsängste zu haben“, sagt Isabel Meyer. Auch um sehr kleine Kinder hat sie sich bereits gekümmert.
Die 58-Jährige nimmt zu den Terminen stets ihre Ausrüstung mit. „Ich habe drei Objektive, die ich bevorzuge.“ Ferner hat sie immer ihren Sternenkind-Fotografenausweis, eine Parkkarte, die auf ihre Arbeit hinweist, Deckchen, Baby-Kleidung in der passenden Größe und eine Einverständniserklärung für die Eltern dabei. Hinzu kommen Erinnerungsstücke. Dabei handelt es sich um Blüten, Engel oder Bilder mit Regenbogen, die von Frauengruppen gefertigt werden. Die Kleinen werden mit diesen Erinnerungsstücken fotografiert. „Es ist etwas, das man den Eltern mitgibt, dass sie irgendwas Greifbares haben“, erläutert Meyer.
Mitgefühl und Professionalität sind gefragt
Im Umgang mit den Eltern sind Mitgefühl und Professionalität gefragt. „Man muss sehr empathisch sein, aber auch die Stärke haben, die Kamera in die Hand zu nehmen und zu arbeiten“, sagt die 58-Jährige. „Die Eltern sind so hilflos, dass man eine Führungsrolle hat. Man muss spüren, was sie wollen.“ Die Fotografin erzählt von Eltern, die nicht mit auf die Fotos möchten, bis hin zu Großfamilien. „Das ist sehr unterschiedlich.“ Es gibt kein richtig oder falsch, wenn ein Kind nicht leben darf. „Jedes Mal ist anders“, betont Meyer. Besonders eindrücklich war für sie ein Kind, das sie in der Zeitspanne von fünf Stunden lebend und tot fotografierte. Eine Träne fließt schon mal, wenn sie zu Hause die Bilder bearbeitet.

Meyer ist es wichtig, die Sternenkinder in den Alltag zu holen. Sie sollen ihren Platz erhalten und ihre Eltern offen trauern dürfen. Unter dem Titel „Sternenkinder – (K)Ein Tabu Thema“ wird ab Freitag, 15. November in der Kunsthalle Kleinschönach die Wanderausstellung „Ich bin...“ gezeigt. Zu sehen sind Bilder von verstorbenen Kindern und ihren Angehörigen. Begleitend werden Fotos aus der Kampagne „Unsichtbare Mama“ ausgestellt. Hier stehen Frauen im Mittelpunkt, die mehr Schwangerschaften hatten als lebende Kinder an der Hand. Außerdem präsentiert Isabel Meyer in einem Buch eine ihrer Fotoserien. Ergänzend gibt es ein Rahmenprogramm mit Gesprächsangeboten und einem Konzert, organisiert mit Unterstützung von Saskia Dickhut vom Verein Sternenkinder Bodensee.
Außenstehende erfahren, was sie für Betroffene tun können. Fotografen können sich unverbindlich über das Ehrenamt informieren. „Ich denke, dass viele Frauen in die Ausstellung kommen, die das selbst mal erlebt haben“, sagt Isabel Meyer. Sie hofft, dass sich eventuell Kontakte ergeben. Die 58-Jährige ist überzeugt davon, dass diese Sternenkinder ihre Eltern ein Leben lang begleiten. Einmal hatte die Stiftung ein Foto aus den 1960er-Jahren in der Bildbearbeitung. Ein Bestatter hatte es für die Familie gemacht. Jahrzehnte später reichte es die Mutter bei der Stiftung ein. In der Hoffnung, etwas an der Bildqualität verbessern zu können.