Oleksandra, Tochter Elvira und deren Tante Yesemia sind nach Deutschland geflüchtet, um dem Krieg zu entkommen. Die Ukrainerinnen hatten dabei sogar etwas Glück. Denn am Bodensee lebt eine Freundin, die ihnen bei der Wohnungssuche half. So wurden sie in Immenstaad fündig. Doch was zunächst als gute Gelegenheit erschien, endete in Ekel und Frust. Denn die neue Bleibe ist kaum bewohnbar.

Streit mit Vermieterin schwelt seit Wochen
Ortsbesuch. Irina Klassen ist die Freundin der drei Geflüchteten, sie hat ihnen die Wohnung besorgt. Klassen hat eingeladen, die Räumlichkeiten zu besichtigen. Seit Wochen schwelt der Streit mit der Vermietung. Auch deren Position hätte der SÜDKURIER gerne gehört. Doch eine entsprechende Anfrage blieb unbeantwortet, lediglich Auszüge aus E-Mails der Vermieterin an Irina Klassen liegen vor. Irina Klassen, eine herzliche Frau mittleren Alters, empfängt am Eingang des Mehrfamilienhauses. Sie sagt: „Ich glaube, die wollen einfach nur Geld verdienen – mit Menschen, die sich nicht wehren können.“
In einem oberen Stockwerk des Gebäudes empfängt Oleksandra Muraviova den Besuch an der Wohnungstür. Die 29-Jährige nickt freundlich und sagt Hallo. Mehr Deutsch kann sie noch nicht sprechen, sie ist zurückhaltend. In der Ukraine hatte die Gastronomin und Kunsthandwerkerin geplant, ein Café zu eröffnen. Doch seit Anfang März ist sie nun in Deutschland. Gemeinsam mit ihrer fünfjährigen Tochter Elvira und ihrer 16-jährige Schwester ist sie vor der Armee Putins geflohen.
Schwarze Flecken, Spinnweben und Rost
Irina Klassen führt durch die Wohnung, während die 16-Jährige Yesemia mit ihrer kleinen Nichte spielt. Klassen zeigt in der Küche auf den kaputten Griff eines Kühlschranks, schwarz gefleckte Ecken an Fließen, das mit braunen Klebstreifen geflickte Siphon des Abflusses. „Hier in der Küche haben wir tagelang geschrubbt“, erinnert sie sich. Auf allem habe eine dicke Fettschicht geklebt. Einen Eindruck davon, wie die Wohnung beim Einzug Mitte April ausgesehen haben muss, gewinnen Besucher am besten im Schlafzimmer. Denn hier wurde bislang wenig verändert. Im Raum lagern Möbel, die im Apartment standen. Die Mieterinnen trauen sich nicht, sie wegzuwerfen. Dazu später mehr.

Dicke Spinnweben hängen in einer Ecke des Zimmers, in der oberen Ecke sind dicke, schwarze Flecken zu sehen – vermutlich Schimmel. Auch die Rückwände eines Schranks scheinen befallen. Ein kleines Regal aus Metall, wie es oft in Badezimmern hängt, ist komplett verrostet. Wie sich hier mal jemand wohlfühlen soll, ist schwer vorstellbar. In sterilen Petrischalen, die Irina Klassen von ihrem Mann bekommen hat, wuchern Kulturen. „Das sind Proben, die wir an unterschiedlichen Stellen entnommen haben“, so Klassen. Doch warum sind die jungen Frauen überhaupt in so eine Wohnung eingezogen?

Irina Klassen berichtet: „Kurz nachdem der Krieg in der Ukraine ausbrach, flüchteten die drei aus dem Land.“ Klassen nahm die zwei Frauen und das Kind auf, sie wohnt mit ihrem Mann auch in Immenstaad. „Wir haben Spenden organisiert – und natürlich nach einer Wohnung gesucht.“ Schlussendlich wurden sie fündig – ab April sollte etwas frei werden. „Der Wohnungsmarkt am Bodensee ist sehr umkämpft“, so Klassen. „Daher haben wir gleich unterschrieben, ohne die Wohnung zuvor anzusehen.“ Auch Kaltmiete in Höhe von 730 Euro schien attraktiv: günstig genug, um vom Landratsamt Bodenseekreis übernommen zu werden.
Doch bei der Wohnungsübergabe Mitte April erlebten die Ukrainerinnen eine böse Überraschung. Die Wohnung war in einem schlechten Zustand. Der Mann, der zur Übergabe kam, verlangte, dass ein Übergabeprotokoll unterzeichnet werden soll – samt Bestätigung, dass die Wohnung sich in einwandfreiem Zustand befinde. Auch ein E-Mail-Verlauf zwischen der Vermieterin und den Ukrainerinnen, der dem SÜDKURIER vorliegt, bestätigt diese Angabe. Die Frauen weigerten sich, das Protokoll zu unterschrieben, blieben aber in der Wohnung. Später betonte die Vermieterin, es habe sich um ein Missverständnis gehandelt: „Tut mir leid, was bei der Übergabe passiert ist“, schreibt sie in einer Nachricht. Dennoch ging der Streit weiter: Die Vermieter sehen nicht ein, dass sich die Räumlichkeiten kaum akzeptabel sind.
Vermieterin sieht kein Versäumnis
„Den Zustand der Wohnung, den Sie beschreiben kann ich nicht nachvollziehen“, schreibt die Vermieterin etwa in einer E-Mail. In einer anderen Nachricht: „Da die Wohnung vorher vermietet war, war es natürlich die Verschmutzung des Vormieters.“ Dass sich Schimmel hinter Schränken verbirgt, tut sie ab: „Hätten Sie alle Möbel stehen lassen, hätten Sie wesentlich weniger Verschmutzungen gesehen und fotografieren können.“ Dennoch verbietet sie den Austausch des kaputten Mobiliars: „ICH entscheide nach Abbau und Einlagerung meiner Möbel, ob ich Ihre behalte, nicht Sie.“ Das Thema der Einrichtung sei bei der Miete einer möblierten Wohnung kautionsrelevant. Aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen haben die Mieterinnen daher die teils angeschimmelten Schränke im Schlafzimmer gelagert. Sie trauen sich nicht, sie zu entsorgen.

Irina Klassen und ihre ukrainischen Freundinnen sind verzweifelt. „Wir haben uns auch schon ans Landratsamt und an den Bürgermeister in Immenstaad gewandt.“ Doch Hilfe bleibt aus. Bürgermeister Johannes Henne schreibt: „Frau Klassen hat uns mit der Sache konfrontiert.“ Die Integrationsmanagerin sei beauftragt worden, zu beraten. Allerdings handle es sich um eine privatrechtliche Angelegenheit, die rechtliche Handhabe fehle also. Henne: „Die weitere Vermittlung von Wohnraum ist darüber hinaus ja Zuständigkeit des Landratsamtes.“
Landratsamt kann schwer helfen
Auch Robert Schwarz, Sprecher des Landratsamts, verweist darauf, dass es sich um einen privatrechtlichen Streit handle. „Der Fall ist uns bekannt und wir kümmern uns“, so Robert Schwarz. Man habe der Familie angeboten, in eine Gemeinschaftsunterkunft zu ziehen. „Das haben die Menschen aber bislang abgelehnt.“ Und wie geht es nun weiter? „Derzeit sind wir in Gesprächen mit einem Anwalt“, sagt Irina Klassen. Noch immer hofft sie, dass alle Mängel in der Wohnung beseitigt werden, dass sich die drei Geflüchteten doch noch wohl fühlen in ihren neuen Zuhause. Denn, fragt Irina Klassen: „Wo gibt es in Immenstaad noch eine bezahlbare Wohnung, in der die drei länger bleiben könnten?“