Christiane Keutner

Mit der Kombination aus detaillierten Zeugenaussagen, penibler Ermittlung und technischen Raffinessen wird das Netz um die sechs Angeklagten, die wegen schweren Raubs und gewerbsmäßiger Bandenhehlerei vor dem Landgericht Konstanz stehen, immer enger zugezogen. Vier der Beschuldigten wird vorgeworfen, in ein Markdorfer Wohnhaus eingebrochen zu sein, die Bewohner mit Pistole und Messer bedroht sowie Uhren und Geld im Wert von rund 45 000 Euro gestohlen zu haben.

Am vierten Prozesstag wurden weitere Geschädigte sowie ein Polizeibeamter gehört, relevante Chat-Verläufe verlesen, Handy-Fotos der Angeklagten gezeigt und der Sachverständige skizzierte Sucht und Befindlichkeiten zweier Angeklagter.

Der rechtliche Hinweis des Vorsitzenden Richters Bonath betraf einen der Angeklagten; dieser muss damit rechnen, dass er sich ebenfalls wegen schweren Raubes verantworten muss.

Wie sich der Raubüberfallzugetragen hatte, berichteten die Markdorfer. Der 53-Jährige Mann war zunächst von einem Scherz seines Sohnes ausgegangen, als er morgens um 4 Uhr im Schlaf geweckt wurde. Doch es waren die Einbrecher, die ihn aus dem Bett zerrten. Mit Frau und Sohn im Flur auf die Knie gezwungen, hatte er plötzlich einen Kloß im Hals und konnte nicht mehr schlucken. „Is normal“ habe einer der Männer gesagt – und ihm erbetenes Wasser gegeben. Um die Männer nicht zu provozieren, habe er sie nicht angeschaut. Er registrierte die Aufgebrachtheit des Großen, der, wohl weil kein Safe gefunden wurde, mit dem Fuß gegen das Sofa geschlagen hatte und den er auch als Rädelsführer wahrnahm, berichtete von den Diebstählen und von den nahen Bedrohungen mit Messer und Pistole: „Die war auffällig, wie aus einem alten Film, ein Vorkriegsmodell.“

Diese Sicherheitsschranke müssen die Prozessbetiligten passieren. Justizbeamte kontrollieren Taschen und Rucksäcke. Handys, Glasflaschen ...
Diese Sicherheitsschranke müssen die Prozessbetiligten passieren. Justizbeamte kontrollieren Taschen und Rucksäcke. Handys, Glasflaschen und Proviant dürfen nicht in den Verhandlungssaal mitgenommen, müssen zur Verwahrung gegeben oder in den abschließbaren Fächern im Eingang untergebracht werden. | Bild: Keutner, Christiane

Nein, die Sache sei nicht abgehakt, beantwortete er die richterliche Frage. Tagsüber, wenn er sehr beschäftigt sei, gelinge es ihm, das zu verdrängen, aber nachts wache er regelmäßig zwischen drei und vier Uhr auf, und wenn irgendwo im Hause was knacke, sei er auf Habacht. Bei einem kürzlichen nächtlichen Stromausfall in Markdorf habe er sich überwinden müssen und sei mit gemischten Gefühlen in den Keller. Er und sein Sohn wollten sehen, ob sie die Bewältigung des Raubüberfalls aus eigenen Kräften bewältigen, sagte er auf Nachfrage des Richters.

Der Sohn musste den behandschuhten Männern noch behilflich sein und das Klebeband abreißen, mit denen sie dann auf dem Bett aneinandergefesselt wurden. Ein Leichtes war es für ihn, sich zu befreien und die Polizei mit einem in der Ladeschale übersehenem Handy zu informieren. Festnetz und zwei weitere Handys waren in der Wohnung versteckt worden.

Er berichtete, dass Messer und Pistole von Mann zu Mann wechselten, „je nachdem, wer auf uns aufgepasst hat“ und dass er einmal hörte, wie die Pistole während des Fesselns durchgeladen wurde. Auch er bezeichnte den größten der Vier als tonangebend: „Der war sowas wie der Leiter der Gruppe, der koordiniert hat.“ Seit dem Überfall schlafe er viel schlechter, wache nachts um vier Uhr auf und denke oft an den Überfall.

Ein Hinweis aus der Familie, wer als Tatverdächtiger in Frage kommen könnte, führte den 60-jährigen Kriminalhauptkommissar der Polizeidirektion in Friedrichshafen über Umwege zu einem Mitarbeiter einer Firma, die auch Fenster montiere.: „Da bin ich hellhörig geworden.“ Denn die Art, wie der Einbruch mittels Bohrer begangen wurde, setzte bestimmte Kenntnisse voraus. Aber erst, als dessen Namen nach einem polizeilichen Hinweis auf einen anderen Verdächtigen auftauchte, wurde der Mitarbeiter in einen möglichen Zusammenhang mit der Tat gebracht.

Das Landgericht verhandelt den Prozess gegen sechs Angeklagte, die sich wegen schweren Raubs und gewerbsmäßiger Bandenhehlerei ...
Das Landgericht verhandelt den Prozess gegen sechs Angeklagte, die sich wegen schweren Raubs und gewerbsmäßiger Bandenhehlerei verantworten müssen. | Bild: Keutner, Christiane

Die Verdächtigen wurden unter anderem dabei beobachtet, wie sie in einem Baumarkt in Ravensburg Klebeband, Stirnlampe, Handschuhe und Kabelbinder kauften, Hinweis auf eine unmittelbar bevorstehende Tat. Der Zugriff auf drei der vier Männer erfolgte auf einem Parkplatz auf der A8 Richtung Pforzheim; einer war wohl bei der Fahrt zuvor nach Ulm ausgestiegen. Gegen die drei wurde Haftbefehl erlassen. Zwei Ausweise erwiesen sich als Totalfälschung.

Einer der Männer hatte angegeben, er habe die anderen nur zum Tatort gefahren, davon ausgehend, das sei ein Puff.

Die Auswertung der Handys zeigten die Kontakte untereinander und Fotos/Screenshots der Recherche im Internet, wieviel die gestohlenen Uhren wert seien, sowie ein Foto des platten Reifens des Fluchtautos. Über Handydaten wurde ein weiterer Verdächtiger ermittelt, anhand seiner Nummer dessen Wohnort in Ingoldstadt ermittelt und überprüft. Dieser befand sich jedoch bei seiner Schwester in Pforzheim, die ihm riet, sich zu stellen, was er auch tat, die Tat einräumte und umfangreiche Angaben machte. Seine Angaben, er sei unschuldig, wurden überprüft. Tatsächlich war er zwei Tage zuvor in Kroatien und am Vormittag vor der Tat beim Rasenmähen in Bocholt. „Deshalb konnte er als aktiver Täter in Markdorf nicht in Betracht kommen.“

Nicht einig schienen sich ein Anwalt und sein Mandant in Sachen Uhrenverkauf: Hieß es erst, der Angeklage habe die Uhren abgesetzt und er sei sich bewußt gewesen, dass sie einem Diebstahl entstammten, wollte sich der Angeklagte nicht auf eine Aussage einlassen.

Waren Waffe und Munition nun scharf? Diese Frage sollte das Landeskriminalamt anhand von fünf Handy-Fotos und einer Videosequenz klären. Das Ergebnis laut Untersuchungsbericht vom 19. Februar: Eine Aussage sei anhand der Bilder nur mit Vorbehalten möglich; es könne eine Originalwaffe und kein Replikat sein, was auch für die Munition gelte. Fest stehe, dass es sich um den Typ halbautomatische Kurzwaffe handle, aber auch über die Funktionsfähigkeit könne man keine Aussage treffen. Für die echte Waffe benötige man jedoch einen Waffenschein.

Die nun vom vereidigten Dolmetscher übersetzten Chats der Angeklagten wiesen den Weg vom Plan der Tat bis zu dessen Umsetzung um: „Habe für dich einen Profi-Tipp, damit kannst du Geld machen. „Er ist ein Profi, du brauchst nur die Ortschaften zum Stehlen zeigen, den Rest erledigt er selbst“. „Es gibt viel Arbeit. Hier leben Menschen, die wohlhabend sind.“ „Vielleicht hat er Geld zur Bank gebracht“. „Nein, um den Steuern zu entkommen, ist er nicht zur Bank.“ „Hast Du noch etwas anderes?“ „Ich habe viele.“ „Wo ich dich hinbringe, war ich selbst da.“

Weitere Dialoge drehten sich um den Anteil, ob Hunde und wieviel Menschen in welchem Alter an den ausgespähten Zielen seien. Die Zeit um die Feiertage suchten sie sich aus, weil viele in den Urlaub gingen. Einmal hieß es: „Sprich nicht soviel am Telefon, wir sprechen, wenn wir kommen.“ „Ihr habt Geld und Uhren.“ „Dann gehen wir zu den Türken und nehmen das Geld, haha.“ Auch von der Mühe, die Uhren zum vorgestellten Preis zu verkaufen, war zu lesen.

Der Dolmetscher hatte angesichts der schlechten einheimischen Schriftsprache manchmal Mühe mit der Übersetzung: „Satz für Satz ist fehlerhaft.“

Das Landgericht verhandelt den Prozess gegen sechs Angeklagte, die sich wegen schweren Raubs und gewerbsmäßiger Bandenhehlerei ...
Das Landgericht verhandelt den Prozess gegen sechs Angeklagte, die sich wegen schweren Raubs und gewerbsmäßiger Bandenhehlerei verantworten müssen. | Bild: Keutner, Christiane

Ausgiebig beleuchte der sachverständige Facharzt für forensische Psychiatrie, Hermann Assfalg, zwei der Angeklagten. Auf Basis der Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung und Berichten der Landeskrankenhäuser, stellte er bei einem keinerlei Anhaltspunkte für eine „hirnorganische Beeinträchtigung“ fest, allerdings eine „weitgehende Unabgelöstheit aus dem Familienverband“ und deutliche Probleme der Eigenständigkeit, zudem schädlichen Mißbrauch von Kokain und Cannabis. Da es kein Entzugssyndrom zur Tatzeit gegeben habe, sei eine Schuldminderung zu verneinen.

Über eine Therapiedauer waren der Sachverständige und der, diesbezüglich einen etwas forschen Ton anschlagenden Anwalt unterschiedlicher Meinung. Für die Bemessung der Therapiedauer müsse man jedoch die Persönlichkeit des Betroffenen einbeziehen, so Assfalg: „Ist er willensstark, dann wird die Therapie kürzer.“

Bei einem weiteren Angeklagten sah er weder Anhalt für eine Psychose noch für eine Persönlichkeitsstörung. Dieser konsumiert eigenen Angaben zufoge zwar schon seit seinem 15. Lebensjahr täglich Cannabis, hatte aber die Schule erfolgreich abegschlossen. Erst mit dem Kokain-Konsum wurde er bei der Arbeit unzuverlässig und erhielt 2018 die Kündigung. Hier wurde auch der Missbrauch von Alkohol attestiert. Eine Schuldunfähigkeit oder Schuldminderung zur Tatzeit wurde jedoch auch verneint. Eineinhalb, eher zwei Jahre brauche es, bis dieser von den Drogen weg sei, so Assfalgs Einschätzung. Der Angeklagte ließ über seinen Anwalt verlautbaren, dass er eine Therapie wolle.

Der Prozess soll am Freitag, 15. März, mit den Plädoyers fortgesetzt und mit dem Urteil beendet werden.