Es ist der 10. September 2022. Im italienischen Rivanazzano findet das traditionelle Dragster-Rennen statt. An der Startlinie steht Manuel Kreiter vom Team Drag Racing Bodensee aus Markdorf mit seinem orangenen Pontiac Firebird, der 985 PS auf die Straße bringt. Mit unter der Haube ist eine Lachgas-Unterstützung, die die Leistung um bis zu weitere 750 PS hochschrauben kann. Er und sein Team haben zwei Ziele: Die Viertelmeile in unter 7,5 Sekunden zu fahren und das Tempo in dieser Zeit bis auf 300 Stundenkilometer zu beschleunigen.

Vor dem Lauf werden die Einstellungen vor allem der Lachgaszufuhr noch einmal optimiert. Es läuft alles nach Plan. Manuel Kreiter zieht wie immer seine Sicherheitsgurte so fest, dass er kaum noch atmen kann. Der Motor heult auf, die Reifen sind auf Temperatur. Mit an der Startlinie sind sein Sohn Mark Kreiter, Elektronik-Spezialist Michel Utz und der Chef der Crew, Stephan Probst, der Manual Kreiter bis auf die Startlinie einweist. Dann geht es los: Der Pontiac Firebird schießt kerzengerade nach vorne und der Markdorfer stellt auf den 402,34 Metern eine neue persönliche Bestzeit auf.
Abflug mit 278 km/h
Und dann passiert das, was man keinem Rennsportler wünscht: ein katastrophaler Crash. Kurz nach der Ziellinie bricht die Hinterachse aus und der Wagen hebt bei 278 Stundenkilometern ab. Die Anzahl der Überschläge sind nicht zu zählen. Vom leuchtenden Orange des Firebird ist nichts mehr zu sehen. Liegen bleibt lediglich ein Haufen Blech und Rohre. Manuel Kreiter sitzt immer noch angegurtet im Sitz. Für ihn beginnt nun das längste Rennen seines Lebens.

Vom Start aus ist nur eine riesige Staubwolke zu sehen. Die Teammitglieder schlagen die Hände übe dem Kopf zusammen und die Zuschauer sind geschockt. Als erster vom Team ist Stephan Probst vor Ort. Er sieht sofort: Manuel Kreiter lebt noch – aber wie! Er hat 22 Knochenbrüche, fünf zertrümmerte Gelenke, beide Lungenflügel sind durchstoßen und vor allem beide Oberschenkel-Arterien durchtrennt. In der Uniklinik in Pavia rettet man zwar durch eine Notoperation sein Leben und seine Beine, doch die Ärzte geben dem Markdorfer kaum eine Chance – doch er nutzt sie.
52 Stunden auf dem OP-Tisch
Neun Tage liegt er dort im Krankenhaus, bevor er über Friedrichshafen nach Murnau verlegt wird. Und er ist nach wie vor Rennfahrer mit Leib und Seele. Noch in Italien nimmt er sein Telefon und reserviert sich in Graz einen neuen Rennwagen, was sich allerdings aufgrund der Schwere seiner Verletzungen zunächst zerschlagen wird. In Murnau beginnt die harte Zeit zurück ins Leben. „Natürlich gab es Momente, in denen man sich fragte, warum man überlebt hat“, gibt Manuel Kreiter offen zu. „Aber aufgeben liegt mir einfach nicht und ich wollte unbedingt wieder ins Auto steigen.“ Und dieses Ziel verfolgt er gnadenlos.

In Murnau wurde er anfangs alle zwei Tage operiert. „Insgesamt lag ich 52 Stunden unter dem Messer“, berichtet der 54-Jährige. „Beim Abschlussgespräch sagte mir der Arzt, ich sei ein Phänomen.“ Es sei vor allem an seiner mentalen Stärke gelegen, warum er so große Genesungsfortschritte gemacht habe. „Es war ein hartes Training in Murnau“, sagt Manuel Kreiter. „Und zuhause hatte ich eine super Ergotherapeutin und einen super Physiotherapeuten.“ Drei Monate sitzt er im Rollstuhl und dann geht es Schritt für Schritt aufwärts. Im Mai 2023 kehrt er zurück an den Ort des Unfalls – als Zuschauer. „Das Treffen mit den Rettungskräften und den Drag-Racing-Kollegen war unglaublich emotional“, erinnert er sich. „Da flossen jede Menge Tränen.“
Der Markdorfer ist zwar zurück, doch er will unbedingt wieder Rennen fahren. Deshalb macht er weiter – und das Team Drag Racing Bodensee steht voll und ganz hinter ihm. Im April 2023 hat der Rennsportler bereits ein neues Auto gekauft: eine Corvette C5. „Ich hatte sie einige Wochen in der Garage stehen, aber nur angeschaut“, erzählt Manuel Kreiter. „Irgendwie sind wir nicht warm geworden.“ Er verkaufte sie weiter und fand im Oktober 2023 einen Oldsmobile Cutlass. Das Ziel für das Team: Ein Start im Mai 2024 in Rivanazzano.

Der Motor des Unfallwagens wurde wieder in Schuss gebracht. Und das war eine wahre Mammutaufgabe, da die Lenkung durch die Ölwanne ging, der Krümmer ersetzt werden musste, die Vergaser zerbrochen waren und vieles mehr. Beim Oldsmobile Cutlass musste das Getriebe und die Hinterachse komplett ersetzt werden. „Wir haben es tatsächlich in Rekordzeit hinbekommen“, so Manuel Kreiter. In seinem Umfeld gab es einige, die ihn für komplett verrückt erklärten, dass er nach einem solchen Horror-Crash wieder Drag-Racing fährt. Teamchef Stephan Probst dagegen sagt: „Für ich war klar, wenn er wieder auf die Beine kommt, dann fährt er weiter.“
Cockpit ist nun viel sicherer
„Der erste Lauf war schon ganz besonders“, so der Markdorfer. Allerdings wurde das Cockpit deutlich sicherer gebaut als vor dem Unfall. „Der Rohrrahmen ist etwas gepolstert“, so Manuel Kreiter. „Außerdem schaut das Team etwas genauer auf Lenkung und Bremse vor den Starts.“ Es lief alles glatt. Allerdings ging es beim ersten Rennen auch weniger um Bestzeiten. Er wollte einfach wieder als Rennfahrer dabei sein. Aber eines war nach dem ersten Rennen klar: Die zwei bislang unerreichten Ziele stehen immer noch: die Viertelmeile unter 7,5 Sekunden und die 300 Stundenkilometer.
Unglaublicherweise hat das Team bereits im August 2024 eines dieser Ziele geschafft: Die 7,5-Sekunden-Marke wurde beim Rennen in Hockenheim geknackt. Dort konnte Manuel Kreiter in der Endabrechnung mit dem dritten Platz sogar aufs Podest fahren. Nun fehlt nur noch die Geschwindigkeit. Mit 298 km/h ist das Team Drag Racing Bodensee aber schon sehr nahe dran.
Seit dem Unfall bereits wieder 30 Rennen
Seit seinem Unfall hat der 54-Jährige schon wieder etwa 30 Läufe absolviert. Und Kreiter brennt: „Ich hatte kurz überlegt, nach der vergangenen Saison aufzuhören, aber es macht einfach unglaublich viel Spaß und es kribbelt wieder.“ Und das, obwohl die finanziellen Mittel extrem beschränkt sind. „Das, was wir bislang erreicht haben, ist für unseren kleinen Motor wirklich extrem“, sagt er. „Und wir fahren ein Lachgas-System, das weltweit einzigartig ist.“ Ebenfalls bemerkenswert ist, dass er seit 2007 denselben Motor fährt, der immer weiterentwickelt wird.
Am 29. August wird Manuel Kreiter wieder in seinem blau-weißen Oldsmobile Cutlass mit der Aufschrift „Laserpoint Salem“ in Hockenheim an der Startlinie stehen. Der Anhänger mit dem Rennwagen ist bereits gepackt und das gesamte Team freut sich auf die NitrOlympX 2025. Und wer weiß, vielleicht wird dieses Mal das zweite große Ziel mit den 300 Stundenkilometern auch noch geknackt.