Gemeinsam mit dem Mehrgenerationenhaus hat der SÜDKURIER in den vergangenen zwei Jahren in der Adventszeit im Rahmen der Aktion „Familien in Not“ auf Menschen aufmerksam gemacht, mit denen es das Leben nicht gut meinte und die einige Schicksalsschläge verkraften mussten. Das Ziel war, durch Spenden zu helfen und den Betroffenen zu ermöglichen, in stabilere Lebenslagen zurückzukehren. Insgesamt fast 30 000 Euro haben die SÜDKURIER-Leser in dieser Zeit gespendet – für diese Unterstützung kann sich Renate Hold vom Leitungsteam des Markdorfer Mehrgenerationenhauses (MGH) immer wieder nur bedanken.

„Wir haben 2020 bereits über 9300 Euro ausgegeben und sind dringend wieder auf Spenden angewiesen. Wir können jetzt schon sehen, dass für die kommende Zeit Nebenkostenabrechnungen und Stromrechnungen deutlich höher ausfallen werden wegen Corona„, so Renate Hold. Außerdem belasten die Homeschoolingkosten und Kurzarbeit viele Jahresfamilienbudgets.

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Familie trägt die Erbkrankheit Neurofibromatose in sich

Jessica Müller (Name von der Redaktion geändert) ist Mutter von fünf Kindern und Risikopatientin. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie kann sie ihren Job in der Gastronomie nicht mehr ausüben. Aber es ist ein ganz anderes Schicksal, das die Familie belastet. Jessica Müller und drei ihrer fünf Kinder leiden an Neurofibromatose, einer seltenen genetischen Erkrankung, die sich vor allem durch das Auftreten von gutartigen und bösartigen Tumoren auszeichnet. Die Diagnose bekam die 39-Jährige im Jahr 2014, als ihre jüngere Schwester im Alter von nur 23 Jahren an dieser Krankheit verstorben war. Damals hat sich die ganze Familie testen lassen. „So habe ich erfahren, dass ich Träger bin und diese Krankheit weiter vererben kann“, erzählt sie im Gespräch.

Für Jessica Müller ein Schock. Erste Symptome wie milchkaffeefarbene Pigmentflecken seien ihr zwar aufgefallen, aber mit einer unheilbaren Krankheit habe niemand gerechnet. Auch ihre 2013 geborene Tochter Paula leidet unter der Krankheit und hat seit Geburt einen inoperablen Tumor, der sich vom Rücken über den Hals in den Kopf zieht. Ärzte gaben der Kleinen damals eine Lebensdauer von rund einem Jahr, heute ist Paula sieben Jahre alt und kann mit einer entsprechenden Medikamenten-Einstellung leben. „Paula ist ein total lebensfrohes Kind“, sagt Jessica Müller, bei der 2017 ein Tumor im Kopf entfernt werden musste.

Siebenjährige kranke Paula muss auf vieles verzichten

Paula besucht eine Schule im Bodenseekreis, die für Bildung mit individuellem Förderkonzept steht, trifft Freunde, reitet, besucht ein Angebot der Jugendfeuerwehr. Doch seit der Corona-Pandemie fallen die Freizeitaktivitäten weg, die Familie lebt zurückgezogen, soziale Kontakt finden kaum noch statt. „Wir kommen kaum noch raus“, erzählt die Mutter, die mit ihrem Mann und den fünf Kindern, die älteren sind zwischen 22 und 15 Jahre alt, zusammen in einer Mietwohnung lebt. Einen Garten haben sie nicht, aber einen Balkon. Auch die Geschwister müssen sich stark einschränken, zu groß die Gefahr, sich mit dem Virus anzustecken.

Durch Ausbildung fällt Unterstützung weg

Die Familie bekommt staatliche finanzielle Unterstützung. Doch seit eine der Töchter eine Ausbildung macht und deren Verdienst zum Familienbudget hinzugezählt wird, fallen Wohngeld und damit automatisch auch das Bildungs- und Teilhabepaket, das für Klassenfahrten, Busfahrten und Mittagessen in der Schule aufkommt, weg. „Das ist ein Strukturproblem“, ärgert sich Renate Hold, die solche Situationen kennt. „Wie soll man junge Menschen für eine Ausbildung motivieren, wenn ihr Gehalt auf die Familie umgerechnet wird?“ Auch sei die Finanzierung eines eigenen Führerscheins, der für viele Berufe vorausgesetzt wird, kaum leistbar.

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Doch solange die Tochter noch im gleichen Haushalt wohnt, gibt es keine andere Möglichkeit. Plötzlich muss Jessica Müller Geld für die Busfahrt ihres Sohnes zur Schule in Überlingen aufbringen – monatlich rund 50 Euro, die sie nicht hat. Sie selber besitzt kein Auto und keinen Führerschein, die Prüfung musste sie damals aufgrund ihrer Krankheit abbrechen. „Ich wünsche mir doch nur, dass es meinen Kindern gut geht“, so die 39-Jährige. Regelmäßig muss die Familie für Untersuchungen in die Uniklinik nach Ulm, mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine Tortur. Den Transport übernimmt mittlerweile die Krankenkasse.

Familie bekommt aus Spendentopf 500 Euro

Für Renate Hold steht fest, dass der vom Schicksal so hart getroffenen Familie dringend geholfen werden muss – vor allem wenn das Weihnachtsfest vor der Tür steht. „Jessica kennen wir schon seit einigen Jahren und wir bewundern ihre positive, nach vorn gerichtete Grundhaltung“, sagt Hold. Aus dem „Familien in Not“-Topf bekommt die Familie eine einmalige Spende in Höhe von 500 Euro, um ein schönes Weihnachtsfest feiern und den ein oder anderen Wunsch erfüllen zu können.

Renate Hold vom Mehrgenerationenhaus
Renate Hold vom Mehrgenerationenhaus | Bild: Christiane Keutner

Als Jessica Müller das hört, kommen ihr die Tränen. „Meine ältere Tochter hatte schon angeboten, zugunsten der jüngeren Geschwister auf Geschenke zu verzichten“, erzählt sie. Da habe ihr das Herz geblutet. Paula hat Freude am Fotografieren, sie wünscht sich eine Kinderkamera. Um das Familienbudget weiter aufzufüllen, bastelt Jessica Müller Weihnachtsdekorationen, die sie auf der Facebook-Seite eines Freundes vorstellt und die dort bestellt werden können. Die Geschenke werden individuell und mit Wunschmotiven gestaltet.

Kraft findet Jessica Müller auf dem Friedhof

Wenn es Jessica Müller nicht so gut geht, besucht sie das Grab ihrer Schwester und ihres Papas, der 2012 im Alter von 51 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben ist. „Für die beiden kämpfe ich weiter. Ich weiß, dass sie stolz auf mich wären.“