Stetten – Wenn der Arzt Philipp Peuke und der selbstständige Krankentransport-Unternehmer Patrick Noelte normalerweise zusammen unterwegs sind, fahren sie in der Ukraine tagelang durch Kriegsgebiet bis an die Frontlinie. Ziel der beiden Männer ist es, schwer verletzte und kranke Kinder zu evakuieren und ihnen vor Ort fehlende medizinische Hilfe zukommen zu lassen. Dafür haben die beiden Männer aus Norddeutschland eigens den Verein „Chance to live“ gegründet.

Seit Kriegsbeginn in der Ukraine haben Peuke und Noelte ehrenamtlich bereits 80 Kinder aus der Ukraine nach Deutschland geholt. Jetzt führte sie eine gemeinsame Tour jedoch nicht an die Front, sondern an den Bodensee, nach Stetten. Hier hat die Medizintechnik-Firma Starmed ihren Sitz, wo die beiden Vorsitzenden des Vereins „Chance to live“ eine speziell ausgerüstete Trage für ihren Intensivtransport-Rettungswagen abholten. Die gebrauchte mobile Intensivtrage wurde in der Stettener Firma generalüberholt und zusätzlich zu Beatmungs- und Sauerstoffgerät mit weiterem, von anderen Firmen gespendetem Equipment aufgerüstet.

Starmed-Geschäftsführer René Stern stehe ihnen auch sonst mit Rat und Tat zur Seite, unterstreicht Philipp Peuke. René Stern sagt: „Wir sind beide ehemalige Einsatzsoldaten und wissen, was in dem Kriegsgebiet los ist.“ Er zollt den beiden Männern für ihren Einsatz großen Respekt: „Was sie machen, geschieht unter Lebensgefahr“, fasst Stern die äußeren Umstände der Evakuierungsfahrten zusammen. „Einen Haufen Technik“, wie Patrick Noelte es nennt, hat die Besatzung im Fahrzeug schon dabei, um möglichst nicht unter Beschuss zu geraten. Auch eine Lifekarte des ukrainischen Militärs erhalten sie jeweils. GPS zu nutzen, würde ein zu großes Sicherheitsrisiko bedeuten, erläutert Noelte.

Trotz der Technik bleibe jedoch ein enormes Restrisiko. „Wir sind im Moment die Einzigen, die Evakuierungen von der Frontlinie aus nach Deutschland machen“, stellt Philipp Peuke fest. Es werde immer komplizierter, die massiv verletzten Kinder mitzunehmen, weil Angehörige und Klinikpersonal Angst vor Entführungen hätten. Außerdem müssten sie sehr rasch entscheiden, ihr Kind 2000 Kilometer weit wegzuschicken, nach Deutschland. In der Regel könne ein Angehöriger das Kind begleiten. Dafür müssten die Retter entsprechende Papiere organisieren.

Nebenbei unterstützen die Mitglieder von „Chance to live“ medizinisches Personal vor Ort und kümmern sich um Hilfsgütertransporte. Die Situation in der Ostukraine sei desolat. „Da geht gar nichts – die Handgranate liegt dort neben dem Obst“, berichtet Philipp Peuke. In der Großstadt Kramatorsk zum Beispiel habe es früher fünf Kliniken gegeben. Jetzt existiere nur noch eine Notaufnahme; es fehlten Kindermediziner.

Zivilisten sind in Krisengebieten oft benachteiligt, die Kinder leiden besonders, wie die Helfer wissen. Seit mehr als zwei Jahren machen sie und ihre Kollegen diese Evakuierungsfahrten. Die je rund 30 Stunden Fahrzeit pro Strecke legen sie entsprechend der gesundheitlichen Situation der kleinen Patienten möglichst ohne Unterbrechung zurück. Nur zum Tanken und Essen halten sie an, geschlafen wird im Sitzen.

Zurück in Deutschland, werden die kleinen Patienten vom Verein an Kliniken für die nötigen Operationen vermittelt. So wurde ein elfjähriger Patient vor eineinhalb Jahren in die Uniklinik nach Brandenburg gebracht. Das Kind wurde operiert und sechs Wochen intensivmedizinisch behandelt, bevor es auf eine normale Kinderstation verlegt werden konnte. Im Anschluss konnte der kleine Patient eine neurologische Reha durchlaufen. Erfolge wie dieser geben den Rettern Energie für ihre Einsätze.