Der schlanke junge Mann, der aus dem Bauernhaus tritt, lebt seit fünf Monaten auf dem Hof in Grasbeuren. Freundlich und mit einem zurückhaltenden Lächeln zeigt er dem Hofbesucher gern seinen Freund Dirk. Dirk ist eines der Schafe mit schwarzem Fell, denen das Projekt der sozialen Landwirtschaft seinen doppeldeutigen Namen „Schwarzes Schaf“ verdankt. Dem 15-Jährigen gefällt es offensichtlich, dass das Tier ihm auf Schritt und Tritt folgt. Was dem Jungen sonst noch zusagt: „Der schöne Platz, die Leute hier und die Landschaft.“
Tiere versorgen, Lernen, gemeinsame Mahlzeiten – der Tag ist durchgetaktet
Wenn er morgens um 7.15 Uhr aufsteht, trifft er sich mit der übrigen Familie zur Morgenrunde und zum Tee trinken. 15 Minuten später fangen sie an, die Tiere zu füttern. Um 8.30 Uhr wird gefrühstückt, um punkt 9 Uhr beginnt das Lernen in Zusammenarbeit mit der Flex-Fernschule. Nach vier Stunden wird zu Mittag gegessen, dann ist Zeit zum Ausruhen. Gegen 15 Uhr stehen praktisches Lernen und handwerkliche Tätigkeiten wie Zäune stecken auf dem Programm. Ist es 18 Uhr, müssen die Hoftiere erneut versorgt werden. Nach dem Abendessen um 19 Uhr sollte der zu Betreuende für eine Reflektion seine Tageserlebnisse in einem Berichtsheft festhalten. Den Rest des Abends kann er vor Ort selbst gestalten. „Seit ich hier bin, fühle ich mich richtig fit“, fasst der 15-Jährige das Ergebnis seines bisherigen Aufenthalts zusammen.

Seit sieben Jahren gibt es das „Schwarze Schaf“
Das „Schwarze Schaf“ im Salemer Teilort Grasbeuren gibt es schon seit sieben Jahren. Trotzdem ist das Projekt „Jugendhilfe und soziale Landwirtschaft“ wenigen Salemer Bürgern ein Begriff. Vielleicht lässt sich das mit der Lage inmitten von Grün „In der Kürze 13“ erklären. Möglicherweise auch damit, dass das Gründerpaar Rosa Monopoli und Janosch Kreis weniger die Außenwirkung am Herzen liegt, als vielmehr die Qualität ihrer Arbeit.
Wer steckt hinter dem „Schwarzen Schaf“?
Jugendliche kommen freiwillig hierher
Und Arbeit gibt es genug bei einer Kernfamilie mit zwei eigenen Kindern, einem großen Bauernhaus plus 20 Hektar extensiver Grünlandfläche, einer Menge Tieren und den jugendlichen zu Betreuenden. Die jungen Menschen sind hier auf freiwilliger Basis untergebracht. Sie haben schon einen langen Weg durch Jugendhilfeeinrichtungen mit vielen Wechseln und ebenso vielen Bindungsabbrüchen hinter sich, bevor sie nach Grasbeuren kommen.
Aufenthalt auf dem Hof oft letzte Station vor dem Gefängnis
In jungen Jahren hätten sie viele schwierige Situationen erlebt und häufig auch traumatische Erlebnisse erfahren. Oft seien sie durch Störungen in ihrem Umfeld mit den Regeln der Gesellschaft in Konflikt geraten, erzählt Janosch Kreis. Kurz bevor die Situation eskaliere und am Ende womöglich ein Gefängnisaufenthalt anstehe, kämen sie auf den Hof.
“Wir leben den Jugendlichen hier vor, wie man auch leben kann, im Gegensatz zu dem, was sie vorher kennengelernt haben.“Rosa Monopoli

Es sind Jungs und Mädchen im Alter von 14 bis 21 Jahren, die bei ihnen ankommen. „Es ist uns ein Anliegen die letzten Jahre der Jugendhilfe zu nutzen und die jungen Menschen in die Selbstständigkeit zu begleiten“, sagt der Sozialarbeiter. Damit das gelingt, gibt es genaue Regeln im Umgang miteinander. Dieser soll geprägt sein von gegenseitigem Respekt und einer offenen und ehrlichen Kommunikation. Für Drogensucht, die Neigung zu sexuellen Übergriffen oder Brandstiftung sei kein Platz in der offenen Beziehungsarbeit. “Wir leben den Jugendlichen hier vor, wie man auch leben kann, im Gegensatz zu dem, was sie vorher kennengelernt haben“, sagt Rosa Monopoli.
Jugendliche sollen wieder Vertrauen in sich und ihre Umwelt fassen
Für manch einen der Jungen sei das ein großes Lernfeld, sagt die Jugend- und Heimerzieherin Rosa. „So viel Vertrauen zu haben und zu bekommen, sind sie vielfach nicht gewohnt.“ Umso wichtiger sei es, die vielen negativen Erfahrungen durch neue zu überschreiben und den Jugendlichen nach und nach wieder Vertrauen in sich und ihre Umwelt zurückzugeben. Das wiederum passiert im Rahmen der beschützenden Umgebung als Teil einer intakten Familie.

Das gemeinsame Arbeiten in der Landwirtschaft ermögliche ein sinnvolles Tun. Kreis nennt das „authentisches Arbeiten“. Beispielsweise per Handkurbel aus Rahm Butter zu machen, gebe dem Produkt einen ganz anderen Wert. In diesem ungezwungenen und selbstverständlichen Rahmen ergäben sich viele Lernmöglichkeiten und jede Menge Raum für tiefgründige Gespräche.
Die Tiere sind ein Stimmungsbarometer
Das Versorgen der Hoftiere birgt weitere Möglichkeiten des Lernens, zum Beispiel beim Melken der besonders menschenbezogenen schwarzen Milchschafe. „Über die Körperwärme, die sie spenden, können die Jungen lernen, sich selber besser wahrzunehmen“, erklärt Rosa Monopoli. Außerdem gebe es von tierischer Seite immer direkte Rückmeldung. Das eigene Verhalten werde gespiegelt. „Geht jemand zu hektisch mit ihnen um, hauen sie ab.“
Mühle im Elsass als Rückzugsraum bei schweren Krisen
Kommt es trotz oder gerade wegen der ungewohnten kleinbäuerlichen Idylle mit Familienanschluss zu einer schweren Krise, ist das Pädagogen-Paar darauf vorbereitet. Zusätzliches Fachpersonal und verschiedene Rückzugsorte würden dann helfen. Unter anderem steht eine zweieinhalb Stunden entfernt gelegene ehemalige Mühle im Elsass, ohne Strom und fließendes Wasser, zur Verfügung, damit die Jugendlichen wieder zur Ruhe kommen können. Die Mühle könne aber wie eine Hütte in den Schweizer Bergen oder ein Haus am Meer auch ein neues Urlaubsgefühl vermitteln.
Regelmäßige Gespräche mit Mitarbeitern des Jugendamts
Im normalen Arbeitsalltag sorgt Christian Follmer als weiterer erzieherischer Mitarbeiter für Entlastung im „Schwarzen Schaf“. Regelmäßige Gespräche mit Mitarbeitern des Jugendamtes helfen bei der Ausrichtung der pädagogischen Ziele für den jeweiligen Betreuten.

Trotz der individualpädagogischen Betreuung und der vielen Arbeit rund um das große alte Bauernhaus, den Selbstversorgergarten, die Weide- und Streuobstflächen und den Hofladen strahlen alle Anwesenden Gelassenheit aus. “Die soziale Landwirtschaft entspricht dem, wie wir immer leben wollten“, erläutert Rosa Monopoli und spricht von Sinnhaftigkeit und der Wahrnehmung von Menschen und Natur. Während die 37-Jährige noch erzählt, rennt ein Babyschwein auf sie zu und lässt sich zu ihren Füßen nieder. Es heißt Susi und hat wie die gesamte Tierschar rund um den Hof einen Namen. „Die Tiere sind nicht nur wegen ihrer heilenden Wirkung hier“, unterstreicht Janosch Kreis die Wichtigkeit des kleinbäuerlichen Aspekts auch für sich und seine Kernfamilie.
Es sei ihnen ein Anliegen, allen Tieren am Hof die bestmöglichen Lebensbedingungen zu schaffen und so am Ende hochwertige Lebensmittel zu erzeugen. 160 frei laufende bunte Hühner, acht Schweine, ein Pferd, 100 Schafe, Laufenten, Katzen, Hasen, Bienenvölker und Wachteln gehören zum Kleinbauernhof. „Wir sind auch sehr darauf bedacht, dass möglichst alles einen angemessenen Wert und die größtmögliche Wertschätzung erfährt“, sagt der Sozialarbeiter.
Schafwolle wird über das Projekt „Wolle unserer Schafe“ verarbeitet
Als Beispiel führt er die Wolle der Schafe an, die auf dem Markt kaum einen angemessenen Wert erfahre. Daher hat sich das Paar dem Projekt „Wolle unserer Schafe“ angeschlossen. Darüber werde die Schafwolle direkt zu Kleidung, Socken oder Decken verarbeitet. Die Produkte können wiederum zusammen mit anderen eigenen Produkten, wie Saft, Eier, Fleisch oder Honig, im Tiny-House-Hofladen erstanden werden. “Es ist insgesamt eine Kultur schaffende Arbeit und wir genießen das sehr“, meint Janosch Kreis.