Als Primatologe den Affenberg Salem zu leiten und auf dem Gelände zu leben, ist bereits ein Abenteuer. Doch Parkchef Roland Hilgartner bestreitet noch viel größere Herausforderungen. Als Wissenschaftler und Fotograf reist er außerhalb der Affenberg-Saison in die entlegensten Winkel der Welt, um seltene Tiere und ihre außergewöhnlichen Verhaltensweisen zu dokumentieren. Unter dem Titel „Das Geheimnis der Tränentrinker – Fünf Jahre auf Expedition durch die Dschungel unserer Erde“ erschien nun ein Buch über diese Reisen.
„Das ist der Part, den der ein oder andere noch nicht so von mir kennt“, sagt Roland Hilgartner bei der offiziellen Buchpräsentation am Affenberg. „Ich habe viele Jahre als Forscher in den Tropen gearbeitet“, erklärt Hilgartner. Für seine Doktorarbeit erforschte er auf Madagaskar eine nachtaktive Lemurenart und entdeckte mit einem Forscherteam drei neue Affenarten.
Foto von kleinem Affen wird Türöffner
Begleiter ist stets die Fotografie. „Die Wissenschaft bleibt oft im Trockenen. Die Fotografie öffnet die Tür zu einem breiteren Publikum.“ Davon ist Hilgartner überzeugt. So erschienen schon während seines Studiums Fotografien bei National Geographic, jetzt auch Herausgeber des Buches. Das meiste brachte er sich selbst bei, vieles schaute er sich bei Profis ab. Das erste Bild, das 2005 veröffentlicht wurde, zeigt einen Mausmaki. Den kleinen Affen hatte er auf Madagaskar nachts in 30 Metern Höhe im Blätterdach eines Baumes abgelichtet. „Es ist mein absolutes Lieblingsbild, weil es der Türöffner zu National Geographic war“, sagt Hilgartner.

Viele Jahre später finden sich in seinem Buch Fotos, „die man nicht so oft sieht oder die nur ich habe“. Reproduzierbar ist ein Großteil davon nach Angaben Hilgartners nicht mehr. Denn: „Wir sind mitten in einem Artensterben.“ Deshalb sind seine Bilder auch als Lobbyarbeit für den Natur- und Umweltschutz oder zumindest als Zeitdokument einer Wildnis, wie sie einmal war, zu verstehen. Hilgartners biologisches Wissen, Können als Fotograf und Fähigkeit, in den Tropen zurechtzukommen, haben sich herumgesprochen. Teils wird er eigens für Expeditionen angefragt und porträtiert die Arbeit von Kollegen.

Neben Madagaskar reiste er bisher ins Kongobecken, nach Amazonien, in den Malaiischen Archipel und nach Neuguinea. Zusammen gekommen sind mehr als 1800 Tage, also ganze fünf Jahre. „Bei vielen Expeditionen steckt ein wahnsinniger Aufwand dahinter“, erklärt Roland Hilgartner. Das liegt daran, dass die Gebiete politisch oft nicht stabil sind und es wenig Infrastruktur gibt. „Der sehr abenteuerliche, manchmal sehr lustige Weg in diese entlegenen Gebiete“ ist ebenfalls in „Das Geheimnis der Tränentrinker“ dokumentiert.
Bei der Buchvorstellung erzählt er von seiner Ankunft 2018 in Kinshasa, Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Die Wahlen wurden verschoben. Es gab Ausschreitungen, Tote und kein Internet. Mit einem Buschflieger ging es Richtung Dschungel. Der Flug dauerte vier Stunden, die Landung war auf einer Graspiste. Weiter ging es auf Motorrädern über Dschungelpfade. Die Fahrt dauerte einen Tag. Danach stand nochmals ein Tagesmarsch an – und das alles mit Gepäck. Alleine das komplette Fotoequipment wiegt laut Hilgartner 30 Kilogramm. Ziel war damals die Station von Bonobo-Forscher Martin Surbeck. Im Kongobecken fotografierte Hilgartner unter anderem junge Bonobos, die Früchte miteinander teilen. „Das sieht man nicht allzu häufig im Tierreich“, sagt der Wissenschaftler. Bonobos zählen zu den nächsten Verwandten des Menschen.
Schimpansen versorgen ihre Wunden
In Gabun lichtete Hilgartner Ende 2021 Schimpansen ab, die ihre Wunden mit zerdrückten Insekten versorgen. Entdeckt hatte dieses Verhalten eine Forscherin per Zufall. „Es sieht aus wie eine Desinfektion oder Reinigung“, berichtet Hilgartner. Aus nächster Nähe gelangen ihm Aufnahmen, die das Verhalten eindeutig zeigen. Die Schimpansen tun dies auch füreinander. In den Bildern stecken allgemein „viel Arbeit und Entbehrung“. Hilgartner erklärt: „Die sind nicht mal kurz von der Lodge fotografiert oder Ökotourismus.“ Für Fotos von seltenen Hirschebern verbrachte er auf Sulawesi eine Woche an einem Schlammloch.
Seine nächste Expedition führt nach Madagaskar. Der Affenberg unterstützt ein Schutzprojekt. Umweltbildung für Kinder und Erwachsene, Ökotourismus sowie Patrolling, also der Schutz des Waldes und Dokumentation von Veränderungen, stehen im Mittelpunkt. Begleitet wird er von seiner Frau, die von dort stammt, und Kollegen der anderen beiden Affenbergstandorte in England und Frankreich. Abenteuerlich wird es diesmal nicht, verrät Hilgartner schmunzelnd. Schließlich kann nicht jeder mit Ausrüstung 25 Kilometer durch den Dschungel marschieren.