In Trossingen war er einmal daheim, die Welt wurde sein Zuhause. Dieter W. Haller (64) war im Auswärtigen Amt in Bonn und Berlin tätig, später in deutschen Vertretungen im Ausland – davon viele Jahre als Botschafter. Der Ruhestand brachte ihn aus Riad in Saudi-Arabien schließlich an den Bodensee und nach Überlingen, eine Stadt, die er nach eigenem Bekunden ganz besonders schätzt und inzwischen als Wahlheimat auserkoren hat.
Die Globalisierung seiner Heimatstadt auf der Baar am Rand der Schwäbischen Alb glaubt Haller genau festmachen zu können. „Es begann mit einer Public Private Partnership im Jahr 1896“, sagt der Neu-Überlinger: „Damals bauten Matthias Hohner und die Stadt mit der Trossinger Eisenbahn einen privaten Bahnanschluss an die knapp fünf Kilometer entfernte Hauptstrecke.“ Es waren vor allem die Mundharmonikas, die aus Trossingen in die ganze Welt versandt wurden und für Hohner der Impuls zum Bau der kleinen Bahn, die von Anfang elektrisch betrieben wurde. „Das hat den Blick der Trossinger geweitet“, glaubt Haller, der später sein Heimatland in Südamerika, Afrika und in Arabien vertreten sollte.

„Mein Großvater saß schon im Trossinger Gemeinderat“, erinnert sich der Diplomat im Ruhestand an die politischen Ambitionen der Familien. Der Vater hatte für ihn eigentlich einen Bürgermeisterposten als angemessen betrachtet. Doch Dieter Haller wollte hinaus in die Welt. „Ich wollte mithelfen, damit das Bild von Deutschland in der Welt etwas besser wird“, beschreibt er einen Impuls.
Mit 30 in die weite Welt
Gerade mal 30 Jahre alt war er, als er am 9. November 1984 („Ich weiß das Datum noch ganz genau“) als Leiter des Rechts- und Konsularreferats nach Santiago de Chile entsandt wurde. Dort erlebte er die letzten Jahre der Pinochet-Diktatur mit und dessen Abwahl im Jahr 1988, die der Autokrat nach unerwartet verlorener Volksabstimmung noch umzubiegen versucht hatte. Für seinen kritischen Blick aus der Botschaft auf die Foltersekte Colonia Dignidad wurde Dieter Haller später vom heutigen Bundespräsidenten ausdrücklich als positive Ausnahme gewürdigt. „So muss Theresienstadt gewesen sein“, wird Haller nach einem Besuch im Jahr 1987 dort zitiert. „In der jüngsten Aufarbeitung komme ich ganz gut weg“, ist er, der Ruheständler, ganz froh. Im Jahr 2000 kam er für kurze Zeit noch einmal zurück nach Chile und traf unter den Ministern die Oppositionellen aus den 1980er Jahren an, die er damals gestärkt hatte.
Zurück in Bonn hatte er nach der Wende unter Außenminister Klaus Kinkel am Truppenabzugsvertrag mit Russland mitgearbeitet. „Einen Zeitraum von 15 Jahren hatten die Russen dafür gefordert“, erinnert er sich. „Am Ende wurden es vier Jahre.“ Für Kinkel wirkte er auch an Reden mit. Den einen oder anderen Titel hat er nicht vergessen, zum Beispiel: „Was kann die deutsche Außenpolitik für Stuttgart tun?“
Der Geheimhaltung verpflichtet
Als Botschafter a.D. ist Dieter Haller in konkreten politischen Dingen nach wie vor der Geheimhaltung und der Staatsräson verpflichtet. Ungeachtet dessen ist er ein Kenner der arabischen Geschichte und ein guter Beobachter der jüngsten Entwicklungen. Als entscheidenden Wendepunkt für die Entwicklung Saudi-Arabiens sieht er die iranische Revolution gegen den Schah 1979, die dem strengen Wahabismus der Geistlichkeit auf der arabischen Halbinsel den Weg bereitet habe. Vorher sei von Schiiten und Sunniten selten die Rede gewesen und: „In den 1960er Jahren konnte man mit seiner Frau in Riad im Bikini spazieren gehen.“
Heute leiste diese Geistlichkeit erbitterten Widerstand gegen die Liberalisierung, die es mit dem jungen Mohammed bin Salman in der Wirtschaft tatsächlich gebe, „allerdings eine von oben verordnete Liberalisierung“. Ungeachtet dessen gebe es viele junge Start-up-Unternehmen. Die sozialen Medien würden intensiver genutzt als hierzulande. Die Benzinpreise seien massiv gestiegen – zumindest für die örtlichen Verhältnisse. Haller: „Statt 5 Cent koste der Liter jetzt 50 Cent.“ Auch ein Programm für erneuerbare Energie gibt es inzwischen. Bei der Alimentierung seiner Eliten sei das Herrscherhaus wesentlich sparsamer geworden. Auch in diesen Kreis gebe es Widerstände gegen die aktuellen Entwicklungen. „Islam ist nicht gleich Islam“, betont Haller und verweist auf den viel liberaleren angrenzenden Oman.
„Alle Gespräche und Verhandlungen müssen unter Gesichtswahrung aller Beteiligten geführt werden“, formuliert Haller ein diplomatisches Grundprinzip. So gebe es seit vielen Jahren Gespräche über eine schriftliche Kodizifierung von Straf- und Zivilrecht. Was in der Wirtschaft im Interesse des internationalen Handels teilweise möglich sei, komme hier nur sehr mühsam voran. Hier müsse man sich um kleinste Schritte bemühen. „Die Todesstrafe unter anderem bei Drogendelikten abzuschaffen oder sie bei Minderjährigen nicht anzuwenden“, wären für Haller in der aktuellen Situation schon erste Verbesserungen.
Haller will sich weiter engagieren
Eine gewisse Liberalisierung sieht der ehemalige Diplomat auch im kulturellen Bereich. „Unsere Botschaft hat zum Beispiel 2017 in Dschidda das erste Jazz- und das erste Klassikkonzert veranstaltet“, erzählt Haller. Während seiner ersten Dienstzeit in Riad vor sieben Jahren organisierte seine Vertretung die notwendigen Aufführungen für den saudi-arabischen Film „Das Mädchen Wadida“ in dessen Heimatland, um für internationale Wettbewerbe überhaupt nominiert werden zu können. Später holte er mehrere Preise, unter anderem bei der Biennale in Venedig.
Als Botschafter war Dieter Haller zwar aus Altersgründen gezwungen den Ruhestand anzutreten. Doch eine ganz ruhige Kugel zu schieben, kann sich der bald 65-Jährige keineswegs vorstellen. „Ich will mich auf jeden Fall engagieren“, sagt er. „Wo und wie, weiß ich im Moment allerdings noch nicht.“
Zur Person
Dieter W. Haller ist am 26. Januar 1954 in Trossingen geboren und dort zur Schule gegangen. Da wundert es nicht, dass er später 15 Jahre lang in einem Mundharmonika-Orchester spielte. Sportlich hatte er eher den Fußballplatz auserkoren, doch den Eltern schien Handball weniger gesundheitsgefährdend. Immerhin motivierte es ihn, an der Universität Tübingen neben Politikwissenschaft und Anglistik auch Sport zu studieren. Nach dem Abitur 1973 hatte er sich schon von der Bundeswehr aus für den gehobenen Dienst im Auswärtigen Amt beworben. In Bonn hatte man Haller jedoch empfohlen, nach dem Studium wieder zu kommen. Das tat er mit Erfolg auf einer höheren Ebene. Europa ist ihm trotz seiner vielen beruflichen Stationen weltweit – Chile, Afrika, Arabien – bis heute eine Herzensangelegenheit. Gespannt darf man sein, was Dieter W. Haller am kommenden Sonntag zu sagen hat, wenn er beim Bürgerempfang der Stadt über „Deutsche Außenpolitik im Jahr 2019“ sprechen wird. (hpw)