Ein Nachrichtenmagazin veröffentlichte kürzlich einen Bilderwitz: Ein Mann kondoliert der Trauergemeinde am offenen Grab: "Mein Beileid. Ist da eventuell eine Wohnung frei geworden?" Die Wohnungsnot ist in ganz Deutschland ein Thema und die Auswirkungen sind nicht ganz so lustig. Auch in Überlingen wird schon lange über zu wenig und kaum bezahlbaren Wohnraum diskutiert.
Kaum Wohnungen mit Mietpreisbindung
"Die Preise für Mietwohnungen und Grundstücke sind derart in die Höhe geschnellt, dass viele Ortsansässige sich diese kaum noch leisten können", heißt es in der Einleitung eines mehrseitigen Punkteprogramms, das die Bürgerinitiative für Bezahlbaren Wohnraum in Überlingen (BWoÜ) veröffentlicht hat.
Ursula Binzenhöfer ist Initiatorin und Sprecherin der offenen Gruppe, die sich vor einem Jahr zusammengefunden hat. "Viele sind schon lange unzufrieden mit der Situation auf dem Wohnungsmarkt", sagt sie, "es gibt immer mehr Immobilienmakler in Überlingen und immer weniger bezahlbaren Wohnraum!"
Für ältere Menschen, die eine kleine Rente beziehen, gebe es zum Beispiel nach einer Eigenbedarfskündigung kaum eine Chance, eine finanzierbare Wohnung zu finden. "Da die Wohnungsbaugesellschaft Überlingen keine Sozialwohnungen baut, gibt es kaum noch Wohnungen mit Mietpreisbindung. Rentner oder Menschen mit einem kleinen Einkommen können sich selbst die Wohnungen der Baugesellschaften ohne Wohngeld vom Sozialamt nicht mehr leisten." Ihr Punkteprogramm hat die Initiative an den Oberbürgermeister und die Stadträte geschickt, aber außer von der neuen Wählerinitiative BÜB+ kam laut Binzenhöfer keine Rückmeldung.
Mietspiegel wird nur fortgeschrieben
Eine objektive Quelle, wie die Mietpreise sich in Überlingen tatsächlich entwickelt haben, gibt es nicht. "Den Mietspiegel hat ein bekannter Fachmann einmal als Mietarchäologie bezeichnet, weil er zurückorientiert ist", erläutert Christian Gorber, Immobiliensachverständiger und Vorstandsmitglied im Immobilienverband Deutschland (IVD).
Im August wird zwar ein neuer Mietspiegel veröffentlicht, aber mit fortgeschriebenen Daten. Das heißt, die 2016 aufgelisteten Werte werden anhand des Lebenshaltungsindex angepasst. Die tatsächliche Preisentwicklung in Überlingen kann das kaum abbilden. Im Bundestagswahlkampf hatten fast alle Parteien das Thema auf der Agenda und betonten die Zuspitzung im Bodenseekreis. Trotzdem hält die Landesregierung den Überlinger Wohnungsmarkt scheinbar für entspannt. Sie legt fest, wo die Mietpreisbremse wirken soll und hat dafür Konstanz, Friedrichshafen, Radolfzell, Ravensburg und Singen ausgewählt, aber nicht Überlingen.

Mietpreisbremse als zahmer Papiertiger
Die Bürgerinitiative möchte die Bremse gerne auch hier einbauen. Der Experte erhofft sich davon nur wenig Linderung. "Die beste Mietpreisbremse ist ein ausreichendes Wohnungsangebot", sagt Christian Gorber. "Die Mieten sind in unserer Region gestiegen, aber im langfristigen Vergleich mit der Entwicklung der Durchschnittslöhne nicht exorbitant hoch." Das eigentliche Problem umschreibt er so: "Überlingen hat kein Wohnungs- sondern ein Leerstandsproblem." Zahlreiche Wohnungen würden nur zeitweise genutzt und auch an Neubauten bestehe kein Mangel. "Wir haben eine hohe Neubautätigkeit im hochwertigen Bereich für Eigentümer, ein Bereich, wo es den Mietmarkt nicht entlastet." Diese Immobilien kauften betuchte Eigentümer, die ihren Lebensabend oder ihre Ferien am See verbringen möchten.
Zwei Vorschläge sollen Situation verbessern
Hier müsse man gegensteuern, fordert Ursula Binzenhöfer: "Es gibt Maßnahmen, die kurzfristig umsetzbar wären, wie eine deutliche Erhöhung der Zweitwohnsteuer sowie ein Zweckentfremdungsverbot, das besagt, dass Wohnraum nicht in Ferienwohnungen oder Gewerberäume umgewandelt werden darf." Beide Maßnahmen hält auch Christian Gorber für wirksam. Der Gemeinderat der Stadt Freiburg hat dieses vom Gesetzgeber 2013 geschaffene Instrument genutzt und ein Zweckentfremdungsverbot beschlossen. Und in Überlingen? "Hierzu gibt es keine Beschlusslage", lautet die knappe Antwort von Baubürgermeister Matthias Längin auf die Anfrage.

Die Liste der Vorschläge der Bürgerinitiative ist lang und vieles, wie die Gründung einer neuen sozialen Wohnungsbaugesellschaft oder die Bebauung von städtischem Grund mit Reihen- oder Mehrfamilienhäusern, nicht kurzfristig oder in einer Legislaturperiode umsetzbar. "Trotzdem sollten wir heute anfangen dagegen zu steuern, wenn wir es bis morgen rausschieben, dauert es wieder einen Tag länger!", meint Christian Gorber.
Kontakt zur Bürgerinitiative für Bezahlbaren Wohnraum in Überlingen: https://de-de.facebook.com/BWoUeberlingen
Hintergrund zum Interview
Der SÜDKURIER hat die Verwaltungsspitze der Stadt um eine Stellungnahme zu dem Punkteplan der "Bürgerinitiative für Bezahlbaren Wohnraum in Überlingen" (BWoÜ) gebeten. Das unten stehende Interview wurde schriftlich geführt, da niemand bereit war, in einem Gespräch auf unsere Fragen zu antworten. Der anschließenden Bitte, die sehr knapp ausgefallenen Antworten zu erläutern, wurde nicht entsprochen.
So funktioniert ein Mietspiegel
Alle zwei Jahre gibt es einen neuen Mietspiegel. Die für Überlingen gültigen Werte werden im August veröffentlicht. Allerdings fließen nur alle vier Jahre neue Erhebungen durch Befragungen von Haushalten in die Berechnungen ein. Dann spricht man von einem qualifizierten Mietspiegel. In diesem Jahr werden zum Beispiel die Daten des Mietspiegels 2016 mit Hilfe des Lebenshaltungsindex angepasst, der auf überregionalen Daten basiert. Fachleute gehen daher von einer Steigerung von 3,2 bis 3,9 Prozent aus. Diese Vorgehensweise ist im ganzen Bodenseekreis üblich. "Der Mietspiegel sagt nicht aus, was man aktuell zahlen muss", sagt Experte Christian Gorber, "der Mietspiegel 2020 wird die Situation von heute abbilden." (bus)
Dreimal "Ja" vom Baubürgermeister und ein einsames "S.o."
Was sagt Überlingens Baubürgermeister Matthias Längin zu dem Punkteplan der Bürgerinitiative? Hier seine schriftlichen Antworten.
Warum gilt die Mietpreisbremse nicht für Überlingen?
In Überlingen gelten die Regelungen der Mietpreisbegrenzung (sogenannte Mietpreisbremse) nach § 556 d Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht, weil die Stadt durch das Land Baden-Württemberg nicht in den Anwendungsbereich der hierfür erforderlichen Rechtsverordnung aufgenommen wurde. Die in § 556 d Abs. 2 BGB enthaltenen Voraussetzungen zur Aufnahme einer Stadt in den Geltungsbereich der Rechtsverordnung sind nach statistischen Erhebungen der Landesregierung in Überlingen (noch) nicht erreicht.
Gibt es Bestrebungen, wieder einen sozialen Wohnungsbau zu etablieren?
Ja.
Plant die Stadt neue Flächen für die Bebauung auszuweisen oder sie selber beziehungsweise mit der Wohnungsbaugenossenschaft zu bebauen, vielleicht auch mit neuen Konzepten wie Mehrgenerationenhäuser usw.?
Ja.
Plant die Stadt flächendeckende Bebauungspläne aufzustellen, die die Zahl der Wohneinheiten pro Grundstück festlegen?
Nicht generell, auch in Zukunft werden Bebauungspläne entsprechend städtebaulichen und politischen Anforderungen entwickelt werden, in Einzelfällen werden dann, wie auch bereits in der Vergangenheit, die Zahl der Wohneinheiten festgesetzt.
Gibt es Pläne für Neubauten eine Sozialquote einzuführen?
Ja.
Wie sieht es mit einem Zweckentfremdungsverbot aus, das die Zahl der Ferienwohnungen begrenzen könnte?
Hierzu gibt es keine Beschlusslage
Oder einer erhöhten Steuer auf den Zweitwohnsitz?
S.o.
Fragen: Sabine Busse